Oft werden bei den neugeborenen Kindern mit Down-Syndrom zusätzliche gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt, die manchmal lebensbedrohend sind. Dann haben die Eltern nicht nur die unerwartete Diagnose zu bewältigen, sondern müssen auch noch schwierige Entscheidungen treffen bezüglich notwendiger Behandlungsmaßnahmen. Zu den großen Sorgen um das Überleben ihres Kindes und den unsicheren Prognosen für die weitere Entwicklung kommen dann für die Eltern noch Ängste und Unsicherheit über die daraus folgenden Konsequenzen für die Zukunft ihrer Familie.
»Unser Sohn ist mit einem schweren angeborenen Herzfehler zur Welt gekommen. Er wurde am 7. Lebenstag mehrstündig am offenen Herzen operiert und nach vielen kritischen Momenten (Nierenversagen, Lungenriss, Zwerchfelllähmung, Lungenhochdruck) und dreimonatigen Aufenthalt auf der Intensivstation … mit Sauerstoffgerät, Monitor und Magensonde nach Hause entlassen.« (LmDS 2013, 39)
Es ist verständlich, dass Eltern in dieser Belastungssituation einfühlsame Begleitung, aber auch konkrete Hilfen benötigen, um ihren schwierigen Alltag zu bestehen. Es ist wichtig, ihnen Zeit zu geben, damit das Kind in der Familie ankommen kann, während Ansprüche auf spezielle Förderung des Kindes dagegen nachrangig sind und sogar die Belastungen verstärken können.
Es ist wichtig, bei der Diagnosemitteilung und in der weiteren Begleitung der Eltern nicht nur die besonderen Förderbedürfnisse des Kindes anzusprechen, sondern auch den Eltern selbst angemessene Hilfen zur Verarbeitung ihrer neuen Situation zu geben. »Da die Eltern Teil der sozialen Umgebung und der Gesellschaft sind, unterscheidet sich ihre Grundhaltung zu der Behinderung zunächst nicht wesentlich von den diesbezüglichen Einstellungen ihrer Beziehungspersonen« (Hinze 1993, 15). Deshalb löst die Mitteilung über die Behinderung ihres Kindes bei den Eltern oft tief greifende Krisen aus. »Dabei erleben Eltern starke Gefühle von Bedrohung, Unsicherheit und Angst. Ihr Selbstverständnis ist erschüttert, ihre Lebenseinstellung, ihre Wertorientierung sowie ihr Lebenssinn sind grundsätzlich in Frage gestellt« (ebd., 14).
Die Art und Weise, wie den Eltern die Diagnose vermittelt und dabei über das Kind gesprochen wird, welche Informationen über das Down-Syndrom gegeben werden, wie auf ihre Fragen und Sorgen eingegangen wird, erinnern die Eltern oft noch nach Jahren. Diese Erfahrungen beeinflussen die Einstellungen der Eltern erheblich und prägen nachhaltig, wie sie sich mit ihrer neuen Lebenssituation auseinandersetzen und wie es ihnen gelingt, ihren veränderten Lebensalltag und die besonderen Herausforderungen zu bewältigen. Deshalb kommt der Haltung des Arztes und seiner Fähigkeit, den Eltern die Diagnose einfühlsam zu vermitteln, eine große Bedeutung zu. Wichtig ist auch, angemessene zeitliche und räumliche Bedingungen zu finden, und auch »verbal sollte ein wertschätzender Sprachstil gewählt werden, der eine Orientierung auf Defizite vermeidet« (Seidel 2014, 88). Vor allem stigmatisierende Bezeichnungen spezifischer Merkmale des Down-Syndroms werden von Eltern als emotional belastend erlebt und als deutliche Abwertung ihres Kindes empfunden.
»Der Arzt untersuchte unseren Sohn und stellte dann lapidar fest, dass er vermute, das Kind hätte eine Trisomie, aber das könnte erst die Chromosomenanalyse klären. Aber diese Kinder seien immer so lieb und heute können manche sogar studieren, wenn man genug mit ihnen übt. Der Arzt war freundlich und bemüht, aber seine Informationen halfen uns überhaupt nicht.
Trisomie – Down-Syndrom! Wir waren fassungslos. Was bedeutete das alles für uns! Das konnte doch nicht wahr sein! Unser Sohn, auf den wir uns so gefreut hatten! Die Vorsorgeuntersuchungen waren doch unauffällig gewesen. Was hatten wir falsch gemacht?«
In den letzten Jahren erfolgte eine zunehmend bessere Information der Eltern, und es ist positiv festzustellen, dass problematische Erfahrungen erheblich abgenommen haben. Bei einer früheren Elternbefragung (Wilken 2001a) bezeichneten nur insgesamt 30,6 Prozent der befragten Eltern die erhaltene Erstinformation als gut bzw. sehr gut, während 19,6 Prozent sie als sehr schlecht erlebten. Diese Situation hat sich deutlich verbessert, aber es besteht – wie Berichte von Eltern in Elternseminaren zeigen – weiterhin die Notwendigkeit, diese für die meisten Eltern belastende Erstberatung differenzierter und angemessener zu gestalten.
Für die Befundübermittlung ist wichtig, dass sie »einfühlsam und verständnisvoll sein sollte, verbunden mit Hilfsangeboten und der Vereinbarung weiterer Gespräche. Dabei sollte dieses erste Gespräch nicht von Daten und Informationen überfrachtet sein und Gelegenheit bieten, den Emotionen freien Lauf zu lassen« (Sperling 2007, 48). Auch ist zu bedenken, welche allgemeinen Informationen in den Beratungsgesprächen über Entwicklungsbedingungen beim Down-Syndrom gegeben werden und wie über die verschiedenen Therapien bzw. Behandlungen gesprochen wird, ohne einerseits falsche Grenzen zu beschreiben oder andererseits unrealistische Erwartungen zu wecken. Auch wenn das Down-Syndrom keine Krankheit ist und nicht mit bestimmten Medikamenten geheilt werden kann, sondern eine Lebensbedingung ist, die angenommen und gemeinsam gelebt werden muss, gibt es doch Maßnahmen und Möglichkeiten, die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Eltern müssen deshalb angemessen beraten werden, um dann für sich Möglichkeiten zu finden, sich mit ihrer besonderen Situation zu arrangieren und für das Kind, für sich und die Familie passende Lösungen zu finden.
Als hilfreich haben sich bei der notwendigen Neuorientierung die von den verschiedenen Selbsthilfegruppen entwickelten Informationsmappen, Materialien, Ratgeber und Bücher erwiesen, die mit Texten und Bildern den Eltern ein positives Bild vermitteln und Zuversicht für die gemeinsame Zukunft geben wollen. Auch der Austausch in speziellen Internetforen ermöglicht neu betroffenen Eltern, sich zu informieren und Beratung und Hinweise von anderen Eltern zu erhalten, die selbst ein Kind mit Down-Syndrom haben. Oft werden Fragen gestellt zu allgemeinen gesundheitlichen, pädagogischen oder therapeutischen sowie zu rechtlichen Problemen, aber auch bezogen auf sehr individuelle Schwierigkeiten mit dem Kind und in der Familie. Mögliche Lösungen, die andere Eltern für sich und ihr Kind gefunden haben, werden oft differenziert beschrieben und offen, aber zumeist wertschätzend diskutiert.
3.3 Neuorientierung und Bewältigung der Familiensituation
Familien sind komplexe Systeme, in denen viele Faktoren miteinander verflochten sind und sich wechselseitig beeinflussen. So können Sorgen, die das Kind und seine behinderungsspezifischen Probleme betreffen, sowie besondere Belastungen der Partnerschaft, schwierige Bedingungen allein erziehender Eltern oder eine fehlende soziale Akzeptanz in der weiteren Familie oder in der Nachbarschaft sich erheblich auf das innerfamiliäre Gleichgewicht auswirken. Aber auch die möglichen physischen, psychischen und finanziellen Konsequenzen für die Familie bewirken oftmals starke Belastungen und können eine Bewältigung der neuen Lebensumstände erschweren. In vielen alltäglichen Situationen erleben die Eltern immer wieder, welchen neuen und besonderen Anforderungen sie sich stellen müssen, weil sie ein behindertes Kind haben und welche spezifischen Probleme ihr Kind aufgrund seiner Behinderung hat. Das beginnt mit der Organisation des Familienalltags, setzt sich fort mit der Orientierung, welche und wie viele der verschiedenen angebotenen Therapien wirklich nötig sind, belastet die Suche nach geeigneten Angeboten in Krippe und Kindergarten. Es erschwert das Finden einer individuell angemessenen Schule und führt später zur oft mühsamen Suche nach guten Bedingungen für das Erwachsenenleben. Die Herausforderungen und Belastungen in diesen verschiedenen »Lebenszyklusphasen« verändern sich, aber »das Vorschulalter, die Zeit des Schuleintritts, die beginnende Adoleszenz und die Erreichung des Erwachsenenalters gelten als kritische Übergangspunkte« (Retzlaff 2010, 49), die individuelle Bewältigungsstrategien und oft eine Neuorientierung der Lebensperspektive verlangen.
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