»Und was soll ich demnach tun? Den Kopf einziehen und einfach hoffen, dass die Vollzugsbehörden und Geheimdienste des Königreichs die Schuldigen irgendwann finden und festnehmen werden, bevor sie Shane hinrichten, falls sie es nicht schon längst getan haben?«
Declan schmeckte diese Aussicht ganz und gar nicht, aber was könnte er sonst unternehmen? In dieser Situation gab es nun mal keine offensichtlichen Alternativen, außer auf das System zu vertrauen und optimistisch zu bleiben.
Allardyce blickte nachdenklich aus dem Fenster, während die roten Ziegelsteinfassaden von Knightsbridge dem Stuck der Gebäude von Belgravia und dem Grosvenor Estate wichen. »Nein. Sie fliegen so wie vorgesehen, in die Schweiz und bauen genauso wie ich darauf, dass die Vollzugsbehörden und die Geheimdienste des Königreichs die Schuldigen finden und festnehmen werden, bevor sie noch mehr Bomben legen und Shane hinrichten können, falls sie es nicht schon getan haben.«
Gordon fuhr sie in einem unübersichtlichen Rondell am berühmten Wellington Arch vorbei und dann an den Gärten des Buckingham Palace entlang weiter nach Süden.
»Die Schweiz fällt aus, denn es hat sich alles geändert.« Gerade passierten sie das Victoria-Denkmal und die Toreinfahrt zum Palast. »Ich reise bestimmt nicht unbekümmert in der Weltgeschichte herum, während meine Frau, unser ungeborenes Kind und ich in Lebensgefahr schweben.«
»Sie werden aber nicht um diese Reise herumkommen. Ich muss Sie doch nicht an die Kontroverse erinnern, die ich letztes Jahr im Frühling verursacht habe, nur weil ich Ihnen ein klein wenig unter die Arme gegriffen habe. Dass alles drang bis in die höchsten Führungsebenen des Landes durch. Sogar Prince Charles hat in einem Brief an mich seine Bedenken ausgedrückt. Dass ich nicht suspendiert wurde, ist ein wahres Wunder, und trotzdem habe ich mich wieder weit für Sie aus dem Fenster gelehnt, indem ich ein Treffen wie dieses vorgesehen habe. Die Geschworenen unter Domville müssen über Ihre Unschuld entscheiden, ansonsten wird keiner von uns dieses Stigma je loswerden.«
»Und wie soll ich mit Constance verfahren? Sie kann nicht mehr wie geplant auf dem Landgut bleiben, aber ich werde Sie auch bestimmt nicht mitnehmen und riskieren, dass Sie bei einem Angriff auf mich ebenfalls ins Kreuzfeuer gerät. Folglich wird Sie also allein und ungeschützt an einem Ort sein, mit dem sie nicht vertraut ist. Wenn es den Strippenziehern hinter diesen Vorfällen gelingt, einen Mitarbeiter des Geheimdiensts zu finden und diesen zu kidnappen, Auftragsmörder auf eine längst vergessene Farm zu schicken und Bomben in zwei englischen Städten zu zünden, finden sie garantiert auch meine schwangere Frau.«
Allardyce fuhr sich frustriert über das Gesicht. »Natürlich wäre es ein weiterer Stich ins Wespennest, aber sollte ich ihr hier in London Schutz bieten können, würden Sie dann Ihr Vorhaben, sich mit Lord Justice Domville sowie seinem amerikanischen Pendant in der Schweiz zu treffen, durchziehen?«
Declan schaute dem in die Jahre gekommenen Spionagechef einen Moment lang tief in die Augen. »Aye, aber wirklich nur dann.«
»Noch bin ich kein Statist auf der Politbühne dieses Landes. Ich werde die nötigen Anrufe tätigen müssen und Ihrer Frau noch heute Nachmittag Personenschutz durch die städtische Polizei bereitstellen. In der dritten Etage des St. James Hotels am Waterloo Place befindet sich ein Sicherheitszimmer, das wir von Zeit zu Zeit in Anspruch nehmen. Bringen Sie Ihre Frau in vier Stunden dorthin.«
»In Ordnung. Wird gemacht.«
Gordon hielt mit der Geländelimousine auf einer Taxispur an der Ecke von der Horse Guards Road und Great George Street an, um die beiden an der Allee Birdcage Walk abzusetzen, die einen Block weit entfernt war vom Regierungskomplex Whitehall und Downing Street 10, dem offiziellen Wohnsitz der Premierministerin.
»Wenn Ihre Frau sicher ist, möchte ich, dass Sie bis zum Abend einen Flug am City Airport nehmen. Lord Justice Domville und Senator Ryan werden Sie dort erwarten.
Declan nickte, öffnete die Tür und stieg aus. »Schicken Sie bitte auch jemanden zu Shanes Wohnung, um die Katze zu versorgen, in Ordnung?« Nachdem er die Tür geschlossen hatte, mischte er sich unter die Touristen, die gerade auf dem Weg zu einigen der bemerkenswertesten Wahrzeichen des Vereinigten Königreichs waren.
Allardyce beobachtete, wie McIver im Gedränge auf der Straße verschwand. Zuletzt sah er, wie sich der Mann bei zwei Frauen entschuldigte, die miteinander geplaudert hatten, als er zwischen ihnen hindurchging. Sein offenes Jeanshemd blähte sich ein wenig hinter ihm auf. Der Gedanke daran, der Innenministerin erklären zu müssen, wieso er sich weiterhin mit jemandem traf, obwohl man ihn davor gewarnt hatte, den Kontakt aufrechtzuerhalten, war ihm mehr als unangenehm.
Tom Gordon bog in Richtung Whitehall ab und ließ nach einem Gebäudeblock seine Fensterscheibe hinunter. Er hupte kurz, als er die Abzweigung links in die Downing Street nahm, und bremste mit dem schwarzen Ranger Rover vor dem Einfahrtstor. Dann hieß es warten, solange die schwerbewaffneten Wachen den Unterboden des Wagens mit einem Spiegel überprüften und die beiden Insassen taxierten. Schließlich wurden sie durchgewunken. Die Weiterfahrt über das Kopfsteinpflaster der Straße gestaltete sich äußerst ruckelig, bis sie endlich vor Hausnummer 10 anhielten, einer der berühmtesten Adressen der ganzen Welt.
»Guten Morgen, Direktor Allardyce.« Ein Bediensteter öffnete ihm die Tür und hielt sie fest.
»Guten Morgen.« Dennis ging geradewegs und ohne Unterbrechung auf die glänzende schwarze Tür zu, auf deren silbernem Anschlag die Zahl 10 stand. Man öffnete ihm, woraufhin Allardyce einen prächtig hergerichteten Empfangsflur mit einem dunkelroten Teppichläufer betrat, der einen Teil des Würfelparkettbodens bedeckte. In den drei Jahrzehnten, seit er zum ersten Mal in dem dreistöckigen Haus aus schwarzem Backstein gewesen war, hatte er mehrere Amtsträger ein- und ausziehen sehen. Mit einigen von ihnen war Allardyce besser ausgekommen als mit anderen, und obwohl die gegenwärtige Bewohnerin seiner politischen Partei angehörte, weckten sowohl das Gebäude selbst als auch die Entscheidungen, die darin getroffen wurden, bis heute Ehrfurcht in ihm. Vor allem, nachdem er aufgrund der Situation in Nordirland einmal mehr in Bedrängnis geraten war. Während er sich bemühte, sein Unbehagen zu verdrängen, ging er weiter über den Flur und anschließend in einen offenen Raum, wo eine stattliche Treppe gewunden an der zur Hausseite gehörenden Wand hinaufführte. An deren Fuß baute sich ein Leibwächter in Schwarz vor ihm auf, als Allardyce näherkam.
»Sir.«
Er nickte ihm zu und nahm dann die Stufen in Angriff. Auf der Höhe des mittleren Absatzes zum ersten Stock hin begann an der Wand eine Porträtgalerie. Beim Weitergehen las er langsam die Namen auf den schmalen Messingplaketten, die jeweils unten an den Rahmen angebracht worden waren. Er hatte dieselben Fotos zwar schon viele Male gesehen, doch ihre Geschichtsträchtigkeit beruhigte ihn aus irgendeinem Grund, wenn er die vergangenen Jahrhunderte Revue passieren ließ. Beginnend mit Sir Robert Walpole 1721, reihten sich die Bilder auf dem kanariengelben Putz bis zum Absatz des Obergeschosses aneinander. Jedes von ihnen zeigte einen ehemaligen Premier mit elegant vor dem Körper gefalteten Händen. Im letzten Rahmen hing ein Schwarz-Weiß-Foto des vorherigen Ministers. Ein Bild seiner Nachfolgerin würde man erst hinzufügen, wenn diese ihr Amt niederlegte.
Ein Wachmann mit steinerner Miene packte den Knauf einer Tür links hinter dem oberen Absatz und öffnete sie für ihn. Allardyce rückte daraufhin seine Krawatte zurecht und trat dann über die Schwelle, woraufhin das Schloss hinter ihm leise klickte, als sei eine Stecknadel auf den Boden gefallen. Von der Ecke des rechteckig angelegten Zimmers aus schaute er in sieben Gesichter, die seinen Blick erwiderten; teils mürrisch, teils vollkommen teilnahmslos.
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