»Direktor Allardyce«, sagte eine Frau im strengen Tonfall. Sie saß ganz hinten gegenüber an einem Kamin mit Eisengitter. »Wir haben gerade eben erst über Ihre Unpünktlichkeit gesprochen.«
»Madame Prime Minister.« Er ging um die Sitzgelegenheiten herum auf die Frau mittleren Alters mit den hellbrauen, schulterlangen Haaren zu, die einen olivgrünen Hosenanzug und schwarze Perlenohrringe trug. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, wobei ihr freundlicher Gesichtsausdruck keineswegs zu ihrer Stimme passte.
»Ich bitte um Verzeihung. Leider habe ich keine angemessene Entschuldigung dafür.«
»Also, Sie alle«, rief ein heiserer Mann daraufhin. »Das Thames House schickt seinen Vorzeigeterroristen, um uns zu retten. Mich wundert es sehr, dass er nicht mit Ihnen gekommen ist. Immerhin hat er Ihr Vertrauen gewonnen. Warum lassen Sie ihn denn nicht auch den Rest von uns bezaubern, damit wir uralte Geister zu Grabe tragen können?«
»Direktor Griffin.« Dennis lachte kurz auf und wandte sich dann dem Leiter des MI6 zu. »Ich dachte mir schon, dass wir Ihre Gegenwart heute Morgen hier ertragen müssen. Die Umschreibung ›uralte Geister zu Grabe tragen‹ wäre vielleicht vor hundert Jahren zutreffend gewesen, doch jetzt ist nur noch ein uralter Geist übrig, fürchte ich. Das Positive daran ist: Würde er auch noch begraben werden, bräuchte Vauxhall Cross einen neuen Direktor – obendrein einen besseren, wäre zu hoffen.«
Griffin schnaubte abfällig und stand auf. »Ich werde …«
»… wieder Platz nehmen, das werden Sie tun, William«, lenkte die Premierministerin ein. »Ich werde Sie beide hier bestimmt keine Hahnenkämpfe austragen lassen, während wir eindeutig wichtigere Angelegenheiten vom Tisch zu räumen haben. Meg, würden Sie bitte beginnen, und uns über den aktuellen Stand der Dinge aufklären?«
Griffin setzte sich zähneknirschend zurück auf eine gepolsterte Bank neben eins von zwei Fenstern, die mit weißem Chiffon verhangen waren, und starrte Allardyce mit seinen Knopfaugen ungehalten an, als sich ihre Blicke begegneten. Meg Unruh erhob sich neben der Premierministerin.
»Die Ermittlungen im Fall der Bombenanschläge in Carlisle und Penrith gehen zügig voran. Wir sichten täglich neue Informationen. Mein Büro hat alle von Security Service verlangten Durchsuchungsbefehle durchgesehen und genehmigt sowie Kontakt mit Schottlands Überwachungsdiensten aufgenommen. Da es momentan so aussieht, als laufe alles auf diese oder jene Art wieder auf die IRA hinaus, habe ich mich außerdem mit den Zuständigen für Staatsangelegenheiten in den jeweils betroffenen Bezirken in Verbindung gesetzt. Alle bemühen sich innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeitsbereiche nach Kräften, und Direktor Allardyce hält mich über jeden weiteren Schritt auf dem Laufenden. Bezüglich der genauen Details möchte ich ihm nun das Wort erteilen.«
»Danke sehr, Madame Prime Minister, Madame Home Secretary.« Dennis trat näher und blieb in der Mitte des Raumes stehen, wo er sich jetzt den anderen Sitzplätzen zuwandte. »Ich wende mich hiermit zum ersten Mal an einige von Ihnen und möchte darum eines klarstellen: Trotz meines Wunschs, dauerhaften Frieden in Nordirland zu erzielen, und meinen Versuchen in den frühen 1980ern, zu diesem Zweck einen Dialog mit der IRA zu führen, bin ich in erster Linie britischer Staatsangestellter. Meine Treue habe ich dem Vereinigten Königreich und seinen Bürgern geschworen. Dem Gericht Domville gab ich Beweise für Declan McIvers Unschuld im Falle der Ereignisse vom vergangenen Frühling und meine eigene direkte Beteiligung daran. Hätte ich nur eine Sekunde lang geglaubt, er stelle eine Bedrohung für irgendjemanden außer den Personen dar, die ihn zu töten versuchten, wäre ich ihm bestimmt nicht zur Seite getreten.«
Er ließ seinen Blick über die Gesichter schweifen, um herauszufinden, ob irgendjemand vielleicht Einwände hatte, und fuhr fort, als keine erhoben wurden. Während er die Kenntnisse aller über die Untersuchungen der Sprengstoffattentate auffrischte, verschwieg er bewusst, dass es mittlerweile einen Zusammenhang mit Declan McIver gab. Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, wartete er auf etwaige Fragen, während er die Premierministerin anschaute.
Imogen Clarke blieb einen Moment lang ruhig mit dem Kinn auf die Hand gestützt sitzen. »Hat sich irgendeine der Organisationen, die Ihre Nachforschungen betreffen, auf diese oder jene Weise öffentlich dazu geäußert?«
»Nein noch nicht.«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass sie so lange schweigen, während die Polizei alle Gebäude auf den Kopf stellt, die sie nutzen. Kein Zweifel, in meinen Augen gehen Sie veritablen Spuren nach, aber ich mache mir vor allem Sorgen darum, wie das Ganze in den Medien dargestellt wird. Mancherorts in Schottland herrschen in Bezug auf die Unabhängigkeit immer noch Spannungen wie beim Karfreitagsabkommen in Belfast. Was es im Moment tunlichst zu vermeiden gilt, sind Straßenschlachten.«
Allardyce nickte. »Das sind durchaus berechtigte Sorgen. Ich habe meine regionalen Sachbearbeiter und Staatssicherheitsoffiziere um einen engen Kontakt gebeten, weshalb Sie sich sicher sein dürfen, dass sie so viele Informationen wie nur möglich mit der Öffentlichkeit und den Instanzen teilen, die von den Ermittlungen betroffen sind, obwohl Letztere ungeachtet unserer Bemühungen bestimmt nicht erfreut über das sind, was hier gerade stattfindet.«
»Regionale Sachbearbeiter hin, Staatssicherheitsoffiziere her, ich will jemanden vor der Kamera – jemand wichtigen – und zwar spätestens heute Abend. Meg, das wird Ihre Aufgabe sein. Ich verlange von Ihnen, dass die wilden Spekulationen der Medien bereits im Keim erstickt werden. Da ich mehr Transparenz versprochen habe, möchte ich diese nun auch bieten.«
Allardyce war verblüfft. Belange des Innengeheimdienstes waren für die Medien schon immer absolut tabu gewesen, so lange, bis diese sich erübrigt hatten. Selbst Einzelheiten zu den parlamentarischen Aufsichtskomitees gab man allerhöchstens sporadisch heraus.
»Gibt es mit dieser Entscheidung ein Problem?«, fragte Clarke erwartungsvoll.
Allardyce verneinte stirnrunzelnd. »Natürlich nicht.«
»Ich werde mein Büro umgehend verlassen, und rate Ihnen, sich sofort hinter die Telefone zu klemmen.« Unruh nahm daraufhin ihr Smartphone heraus und tippte eine SMS.
»Gut. Hat noch jemand etwas hinzuzufügen?«
»Ich.« Ein Mann mit schütter werdendem Haar, das noch in dunklen Büscheln über seinen Ohren hing, hatte jetzt einen Arm gehoben.
Die Premierministerin schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Fahren Sie fort, Mr. Hume.«
»Danke.« Egan Hume erhob sich. »Als Führer der Ihrer Majestät treu verbundenen Opposition und des Schattenkabinetts erachte ich es als meine Pflicht, zur Diskussion zu stellen, warum Direktor Allardyce die Erlaubnis erhält, mit eindeutig widerrechtlichen Manövern fortzufahren, die angesichts der Mehrheit der Beweise in diesem Fall absolut untragbar sind. Zur Unabhängigkeitskampagne bestehen allenthalben nur sehr vage Verbindungen – definitiv zu wenige, um bewaffnete Razzien in ganz Belfast durchführen zu können. Würden Sie den Aspekt der Öffentlichkeitsarbeit in dieser Sache und die Frage, wie solche Aktionen auf das schottische Volk wirken, tatsächlich ernst nehmen, Madame Prime Minister, müssten Sie diese sofort unterbinden.«
»Es gab keine widerrechtlichen Manöver, Mr. Hume«, hielt Allardyce dagegen, »und nur eine bewaffnete Razzia. Und diese betraf das Gebäude, in dem ohne jeden Zweifel das Video mit unserem vermissten Offizier aufgenommen wurde. Was Sie hier in einen Topf werfen, waren nichts weiter als gewaltlose Besuche von lokalen Polizeibeamten – in jeder Hinsicht im Rahmen des Gesetzes, wenn eine Person oder Körperschaft unter Verdacht steht, in ein Verbrechen verwickelt zu sein.«
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