»Das ist aber immer noch keine zufriedenstellende Antwort darauf, weshalb so etwas überhaupt getan wird. Die bislang gesammelten Beweise deuten überwiegend auf irische Dissidenten hin, von denen in jüngerer Zeit bereits mehrere in Glasgow festgenommen wurden, als sie Anschläge vorbereiteten. Direktor Allardyce, ich fände es fürchterlich, mir vorstellen zu müssen, Sie würden die Möglichkeit einer Beteiligung der IRA wegen Befangenheit – Sie sind der Gruppe und einigen ihrer früheren Mitglieder insgeheim zugetan – bewusst ignorieren.«
»Das ist ein sehr persönlicher Affront und noch dazu eine vollkommen lächerliche Behauptung. Die Möglichkeit einer Beteiligung der IRA wurde von dem Moment an miteinbezogen, als wir von dem ersten Anschlag erfuhren. Der vermisste Offizier, nach dem wir gerade fieberhaft fahnden, ist einer unserer vorrangigen Experten für irischen Terrorismus, und dass wir der Vermutung, schottische Nationalisten könnten darin involviert sein, überhaupt erst nachgegangen sind, geschah erst infolge seines Verschwindens, als das Video mit den Forderungen zu seiner Freigabe aufgetaucht ist.«
»Ich halte diese Behauptung keineswegs für lächerlich. Wenn Sie mich fragen, gibt es keine Indizien dafür, dass Ihre Worte der Wahrheit entsprechen. Ihre gesamten Ausführungen konzentrierten sich einzig und allein auf schottischen Nationalismus und Maßnahmen, um Ihren vermissten Offizier zu finden, womit ich zu einem weiteren Punkt gelange. Als Mitglied des Kronrats habe ich Einsicht in die recht umfassende Akte dieses vermissten Offiziers erhalten, deshalb weiß ich um seinen früheren Umgang und muss mich fragen, ob er eigentlich gefunden werden will.«
»Officer Underhill, wie er in dieser Akte genannt wird, hat beim Secret Service eine mustergültige Kartei. So etwas zu unterstellen ist deshalb absolut haltlos.«
»Auf den ersten Blick vielleicht, aber Sie haben bei Ihren Ausführungen zweifellos gewisse bedeutsame Fakten ausgespart, die diesen Mann in Verruf bringen könnten. Zum Beispiel haben Sie nicht erwähnt, dass es sich dabei um denselben Offizier handelt, der den Kontakt zu Declan McIver gesucht hat. Einem alten IRA-Freund, und damals gesuchten Terroristen, und er diesem dabei half, vor den Vollzugsbehörden zu fliehen. Wenn Sie mich fragen, macht ihn das zu einem mutwilligen Verräter, doch soweit ich feststellen konnte, wurde er nicht gefeuert oder inhaftiert, wie es sich für dieses Verhalten gehört hätte, und wurde nicht einmal verwarnt. Stattdessen durfte er eine Arbeit fortführen, bei der er Zugriff auf wertvolle Informationen und Staatsgeheimnisse hatte.«
Allardyce schaute sich im Raum um. Alle starrten ihn mit besorgten Mienen an. Die meisten von ihnen gehörten seiner Partei an und hatten seine Ernennung zum Generaldirektor gutgeheißen, doch nun wurde er das Gefühl einfach nicht los, dass es sich hierbei um eine Bewährungsprobe für ihn als Führungskraft handelte. Er schob eine Hand unter die Krawatte an seinen Hemdkragen und lockerte den Knoten ein wenig.
»Wie ich schon sagte, diese Unterstellung ist vollkommen haltlos. Wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus, Mr. Hume, oder ergehen Sie sich nur gerne in Beschuldigungen ohne irgendeine Grundlage, weil Sie sich selbst so gerne reden hören?«
»Ich will darauf hinaus, dass ein Wiedersehen mit alten Freunden Menschen manchmal zu recht seltsamen Verhaltensmustern bewegen kann. Als ich seine Akte gelesen habe, kam er mir wie ein Mann vor, der sich niemals vollkommen von seiner Vergangenheit distanziert hat. Weil er eine frühere Freundschaft, die er während des Nordirlandkonflikts geschlossen hatte, wieder aufleben ließ und somit unmittelbar die Regeln des Security Service brach, möchte ich Sie lediglich darauf aufmerksam machen, dass Underhill möglicherweise nicht der verlässliche Mitarbeiter ist, für den Sie ihn halten.«
»Man kann sich kaum deutlicher von seiner Vergangenheit distanzieren als ein IRA-Mitglied, das schließlich im Dienst des britischen Geheimdiensts landete, Mr. Hume. Sind Sie sicher, dass Sie sich weiter in Verlegenheit bringen wollen, indem Sie diese Fragestellung fortsetzen?«
»Tun wir doch nicht so, als habe es noch nie MI5-interne Verräter gegeben, und ich möchte uns alle auch daran erinnern, dass Direktor Allardyce sein Amt als Nordirlands Staatssekretär vorzeitig aufgeben musste, weil die terroristischen Hunde der IRA die damalige Premierministerin beinahe vor seiner Nase ermordet hatten. In Anbetracht dieses Vorfalls kann ich leider kein starkes Vertrauen in seine Fähigkeiten setzen, Probleme zu erkennen. Warum er überhaupt zum Generaldirektor des Innengeheimdiensts gewählt wurde, sei mal dahingestellt, aber es spricht ausdrücklich nicht für ein kluges Urteilsvermögen seitens der regierenden Partei.«
»Das reicht jetzt aber. Sparen Sie sich diese markanten Sprüche lieber für die Reporter, Mr. Hume«, warf Imogen Clarke ein. »Ich habe jetzt genug gehört. Er hat allerdings nicht ganz unrecht, muss ich zugeben. Da ich die Akte des Offiziers noch nicht kenne, bin ich zugegebenermaßen sehr überrascht, von seinen früheren Verbindungen zur IRA und zu Declan McIver zu erfahren. Ich kann durchaus nachvollziehen, weshalb diese Tatsache Aufsehen erregen würde, und stimme insoweit zu, dass diese Möglichkeit wenigstens nicht vollkommen ausgeschlossen werden sollte. Ich möchte, dass wir alles in Betracht ziehen, Dennis.«
Er tat gleichgültig und gelassen. »Wir ziehen bereits jede Möglichkeit in Betracht, und da ich solche Schwierigkeiten bereits kommen sah, habe ich auch unsere Personalabteilung angewiesen, alle Daten von Officer Underhill noch einmal zu aktualisieren. Sollte es darin irgendwelche Unstimmigkeiten geben, wird man diese also entdecken.«
»Gut. Dann ist diese Besprechung hiermit beendet.« Die Premierministerin suchte die Blicke der Anwesenden. Als sie sah, dass niemand mehr etwas vorzubringen hatte, stand sie von ihrem Platz auf und ging zu einer Hintertür, die in ihre Privatwohnung im dritten Stock führte, in die sich nur der oberste Regierungsberater und ihr Stabschef einzutreten trauten. Zuvor drehte sie sich noch einmal kurz um. »Dennis, ich möchte Sie bitte noch einmal unter vier Augen im Garten sprechen.«
Als die Tür ins Schloss fiel, standen die übrigen Personen im Raum nacheinander auf und machten sich auf den Weg nach draußen. Allardyce steckte seine Hände in die Taschen und verharrte eine längere Zeit, während er über die Bitte der Premierministerin nachdachte. Warum wollte sie sich privat mit ihm unterhalten? Hatte er ihr nicht gerade alle Informationen gegeben, auf die sie aus gewesen war? Irgendwie beschlich ihn das Gefühl, unabsichtlich einen empfindlichen Schwachpunkt offenbart zu haben – wegen Egan Hume, der schon von jeher zu seinen erbittertsten Kritikern gehört hatte. Er biss sich auf die Unterlippe und schaute Meg Unruh erwartungsvoll an, als diese an ihm vorbeiging.
»Ich weiß zwar nicht, was sie will«, sagte die Innenministerin, »aber ich würde sie nicht warten lassen.«
Er nickte nachdrücklich und blickte ihr beim Hinausgehen hinterher. Schließlich war er mit seinem MI6-Kollegen allein.
»Direktor Griffin?«, rief er, während sich dieser der Tür näherte.
»Was ist?«
»Ich dachte, Sie könnten mir vielleicht bei etwas helfen.«
Griffin machte ein erstauntes Gesicht.
»Ich bin mir sicher, Sie sind einverstanden, sobald Sie gehört haben, worum es bei der Sache geht. Bitte schließen Sie die Tür wieder.«
Allardyce ging dieselbe Treppe hinunter, die er nach seiner Ankunft genommen hatte. William Griffin blieb dicht hinter ihm.
»Ich bereite das Ganze innerhalb der nächsten Stunde vor, Dennis.« Mit diesen Worten ging der Leiter des Auslandsgeheimdienstes an ihm vorbei zur Haustür.
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