Michael Großek - Amtlich gewonnen

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In erzählerischer und essayistischer Manier blickt Michael Großek bereits wenige Jahre nach dem Mauerfall zurück auf die Teilung Deutschlands, die Zeit des Kalten Krieges, schließlich auf die deutsche Einheit und die Entwicklung Europas. Als West-Berliner war er nahe am Geschehen, als politisch Interessierter geht er den Gründen der Wiedervereinigung und ihren Folgen nach, als Fabulierer spekuliert er, was möglich sein könnte. Bei allem Jubel der Deutschen 1989 bei der Öffnung der Mauer – das Verschwinden der einstigen Schutzmächte war auch ein Verlust: menschlich, politisch und kulturell.

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Michael Großek

AMTLICH GEWONNEN

Heimliche Gedanken über Ursachen und

Nebenwirkungen der deutschen Einheit

Ein Konglomerat aus Fakten, Frust und Fabel

Es ist dem Untertanen untersagt den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an - фото 1

»Es ist dem Untertanen untersagt,

den Maßstab seiner beschränkten Einsicht

an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen.«

Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg

© 2020 by edition fischer GmbH

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-86455-695-1 EPUB

gewidmet

dem ehemaligen Personal der

7350th Air Base Group (USAFE)

Tempelhof Central Airport, Berlin

als Dank für viele bereichernde Stunden

im NCO-Club »Silver Wings«

Inhalt

Prolog Prolog Endlich hatten wir uns Zeit genommen. Nun saßen wir drei vor dem Kasten Bier, der Gegenstand einer Wette war, die ich wie selbstverständlich gewonnen hatte. Zugegeben, eigentlich wettet man ja gewöhnlich um eine Flasche Schampus und der Anlass hätte das aus meiner Sicht durchaus verdient, schließlich ging es um nichts Geringeres als den Fall der Mauer; genauer gesagt um meine Voraussage der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands. Damals – das war Anfang der 80er-Jahre – hätte ich auf das Jahr 2000 getippt. Weil die anderen beiden daran aber überhaupt nicht glaubten, hatte ich mich vorsichtshalber auf 2010 festgelegt. Weiß der Himmel, was bis dahin noch alles von der gewohnten Landkarte verschwunden sein wird. Insofern kam der Grund des Besäufnisses überraschend und war – trotz der Kosten für meine Kumpels – für uns als eingefleischte West-Berliner überaus erfreulich. Und als Leute, die im Kiez aufgewachsen sind, haben wir für Schampus sowieso nicht viel übrig. Wie dem Saufen der Kater, folgt der Freude oft die Ernüchterung. Tatsächlich wollen viele die Mauer am liebsten wieder aufbauen, und diesmal noch höher und überall. Zumindest tragen einige sie im Kopf weiter mit sich herum. Sollte Erich H. etwa Recht behalten, wenn er am 40. Jahrestag seines »Arbeiter- und Bauernstaates« vor Tausenden mit Winkelementen ausgestatteten, mehr oder weniger überzeugten, vorbeimarschierenden werktätigen Untertanen großspurig der Welt verkündete: »Die Mauer steht noch 100 Jahre!«? Schade, dass der Dialekt nicht rüberkommt; man muss es gehört haben. Nein, sage ich und finde es nach wie vor gut, dass wir wieder eine Nation sind, und ich wette, wir werden auch wieder gedanklich ein Volk. Im Übrigen stehe ich mit dieser Meinung keineswegs alleine da, immerhin kenne ich schon zwei Menschen mit der gleichen Ansicht: »Na denn, Jungs, haut weg die Braun’schen Röhren!« Wirklich schlimm ist nur, was uns alles erzählt und weisgemacht worden ist – auf beiden Seiten. Der Frust sitzt eben tief, wenn man erkennt, wie dämlich man war, und all die Lügen glaubte, wie beispielsweise diese: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.«

Die Fakten

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

EPILOG

Prolog

Endlich hatten wir uns Zeit genommen. Nun saßen wir drei vor dem Kasten Bier, der Gegenstand einer Wette war, die ich wie selbstverständlich gewonnen hatte. Zugegeben, eigentlich wettet man ja gewöhnlich um eine Flasche Schampus und der Anlass hätte das aus meiner Sicht durchaus verdient, schließlich ging es um nichts Geringeres als den Fall der Mauer; genauer gesagt um meine Voraussage der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands.

Damals – das war Anfang der 80er-Jahre – hätte ich auf das Jahr 2000 getippt. Weil die anderen beiden daran aber überhaupt nicht glaubten, hatte ich mich vorsichtshalber auf 2010 festgelegt. Weiß der Himmel, was bis dahin noch alles von der gewohnten Landkarte verschwunden sein wird.

Insofern kam der Grund des Besäufnisses überraschend und war – trotz der Kosten für meine Kumpels – für uns als eingefleischte West-Berliner überaus erfreulich. Und als Leute, die im Kiez aufgewachsen sind, haben wir für Schampus sowieso nicht viel übrig.

Wie dem Saufen der Kater, folgt der Freude oft die Ernüchterung. Tatsächlich wollen viele die Mauer am liebsten wieder aufbauen, und diesmal noch höher und überall. Zumindest tragen einige sie im Kopf weiter mit sich herum.

Sollte Erich H. etwa Recht behalten, wenn er am 40. Jahrestag seines »Arbeiter- und Bauernstaates« vor Tausenden mit Winkelementen ausgestatteten, mehr oder weniger überzeugten, vorbeimarschierenden werktätigen Untertanen großspurig der Welt verkündete: »Die Mauer steht noch 100 Jahre!«?

Schade, dass der Dialekt nicht rüberkommt; man muss es gehört haben. Nein, sage ich und finde es nach wie vor gut, dass wir wieder eine Nation sind, und ich wette, wir werden auch wieder gedanklich ein Volk. Im Übrigen stehe ich mit dieser Meinung keineswegs alleine da, immerhin kenne ich schon zwei Menschen mit der gleichen Ansicht:

»Na denn, Jungs, haut weg die Braun’schen Röhren!«

Wirklich schlimm ist nur, was uns alles erzählt und weisgemacht worden ist – auf beiden Seiten. Der Frust sitzt eben tief, wenn man erkennt, wie dämlich man war, und all die Lügen glaubte, wie beispielsweise diese:

»Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.«

A C H T U N G !

SIE VERLASSEN DEN ANGENEHMEN SEKTOR

1. Kapitel

Die Sommerferien im Fichtelgebirge machten riesigen Spaß, als meine Eltern plötzlich aufgeregt durch die Gegend liefen und mit anderen Gästen heftigst diskutierten. Eigentlich sahen sie ziemlich erschrocken aus. Wenngleich ich damals erst sechs Jahre alt war, schien mir das alles nicht ganz normal zu sein. Ich fragte sie, was los sei, erhielt aber keine richtige Antwort; offenbar wussten sie es selber nicht genau. Erst abends hörte ich die Nachricht übers Fernsehen: Berlin wird mit einer Mauer abgeriegelt. Was immer das auch bedeutete. »Mama, können wir jetzt nicht mehr nach Hause?«, fragte ich mit feuchten Augen. »Doch, natürlich, bestimmt, mein Junge«, antwortete sie. Wie zum Teufel wollte sie das denn wissen? Und dann war sogar von Abreise die Rede; der Spaß war ohnehin weg. Aber geflennt habe ich erst im Bett. Viel später würde ich mir das Datum merken: Es war Sonntag, der 13. August 61.

Auf der Rückfahrt hatte ich Fieber. Die Autoschlange staute sich vor dem Grenzübergang bereits mehrere Kilometer – das konnte Stunden dauern. Da meinte Mutter: »Der Junge ist krank, fahr doch an der Schlange links vorbei!« Mein Vater und ich starrten sie ungläubig an. Zum einen war ich ja gar nicht so krank, zum anderen war mein Vater Polizist und so etwas macht man eben nicht. Wiederum ging es auch nicht vorwärts und mir natürlich immer schlechter. So kam der Befehl: »Leg dir die Decke drüber«, und schon fuhren wir auf der Überholspur an der endlosen Kolonne vorbei. Jetzt war mir wirklich mulmig.

Lange konnte das nicht gut gehen, die armen Gesinnungsgenossen in der wartenden Blechlawine hupten wie die Verrückten, aber für einen Kranken hätten sie bestimmt Verständnis. Und die Kilometer rollten dahin. Gut gemacht, Papa.

Auf einmal stand er uns im Weg, dieser Grepo mit dem schwarz-weiß geringelten Anhaltestab. Da war sie wieder, diese unbestimmte Angst vor dem Ungewissen. Jedenfalls muss ich echt blass ausgesehen haben, denn er setzte sich zu uns ins Auto und nun durften wir autorisiert die Grenzkontrollstelle auf schnellstem Weg passieren. Niemand wagte mehr zu hupen.

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