Bereits in seinem Erstlingswerk » AMTLICH GEWONNEN« besticht der 1955 in Berlin-Kreuzberg geborene Autor durch zeitlich treffsichere Prognosen in Bezug auf wesentliche Elemente der gesellschaftspolitischen Ordnung in Deutschland. Die nun erschienene Science-Fiction-Humoreske schreibt praktisch das »unausweichliche Zukunftsgeschehen« in der Welt fort; allerdings mit einem makaber anmutenden Beigeschmack, der Freunde des Thriller-Genres auf ihre Kosten kommen lässt. Eine kriminalistische Begabung des Lesers ist angesichts des taktischen Verwirrspiels von Vorteil. Die gewählten, Legenden umwobenen Handlungsorte macht den Grenzgang zwischen Realität und Fantasie seiner Erzählung » UNVERZEHRTES LEBEN« ebenso authentisch möglich wie schockierend – die Vision der Ritter der Republik … doch Frauke greint erbost und flehentlich zänkisch: »Geht mir bloß nicht auf den Zünder!«
Michael Großek
Eine wahre Geschichte aus der Zukunft über die »Ritter der Republik«
Michael Großeklebt seit seinem Geburtsjahr 1955 in Berlin. Aufgewachsen in einem durch die Mauer direkt begrenzten Westbezirk der ehemals geteilten Stadt und beeinflusst durch die intensive Berührung mit den amerikanischen Streitkräften, entwickelte er rasch ein ausgeprägtes Gespür für die »Fieberkurve« der politischen Weltlage. Die stete Bedrohung eines fragilen Friedens im Kalten Krieg und die Nähe zum Ostsektor empfand er dabei nie als »Normalität«. Seine über 40-jährige Berufserfahrung als Diplom-Verwaltungswirt im Bundesdienst und ehrenamtliche Mitwirkung im Zivilschutz haben ein enormes Spektrum von ambivalenten Wahrnehmungen erzeugt, die für ihn keine eindimensionale Realität zulassen. Acht Jahre nach seinem ersten Buch ist » UNVERZEHRTES LEBEN« ein neues, völlig anders gestaltetes Werk.
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© 2020 by R. G. Fischer Verlag
Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-8301-9604-4 EPUB
gewidmet
all jenen, die für wahnsinnig gehalten wurden, ohne es gewesen zu sein.
Es sind die Zweifel, die die Menschen vereinen. Ihre Überzeugungen trennen sie
in Anlehnung an »Der Alte Mann und Mr. Smith« von Peter Ustinov
Kapitel ›45‹
Kapitel ›46‹
Kapitel ›47‹
Kapitel ›48‹
Kapitel ›49‹
Glossar
Danksagung
Die Wohnungstür war mit Stahlblech verbarrikadiert, als wenn die Russen wieder vandalisierend zu erwarten wären, die Wirtschaft am Ende, die Rohstoffe zur Neige gehend und für den Durchschnittsbürger nicht mehr erschwingliche Konsumgüter, sofern überhaupt noch Lebensmittel oder Wasser erhältlich waren – aus dem Hahn an der Wand kommt nur noch braun-gelbe Brühe zum Vorschein – schaffte ein »Ambiente«, bei dem man sich selbst im trauten zu Hause nicht mehr richtig heimisch fühlen konnte. Wo war all der Luxus geblieben und wie trostlos würde die Zukunft denn noch aussehen?
Was Frauke Quandt aus dem Fenster ihrer im dritten Stock in der Greifswalder Straße gelegenen Wohneinheit in Berlin dieser Tage sieht, treibt ihr das Wasser in die Augen. Mit ihren jetzt 55 Jahren hatte sie schon eine Jahrhundertwende und den Zerfall eines Staates auf deutschem Boden miterlebt; aber dass die Geschichte sich derart (zumindest in ihrem Ergebnis für die Menschen in Deutschland) wiederholen würde, hätte sie nicht gedacht. Dabei war sie als Deutsch- und Geschichtslehrerin an einer der wenigen noch funktionstüchtigen staatlichen Schuleinrichtungen geradezu prädestiniert, derartige Entwicklungen zu analysieren. Wenn da nur die Sache mit der Theorie und Praxis nicht wäre, denkt sie und ertappte sich gleichzeitig, in die Falle der Illoyalität geraten zu sein. Dabei gab es ja seit einiger Zeit keinen wirklichen Beamtenstatus mehr – zu sehr war dieses Berufsbild systematisch in Verruf geraten, den Staat zerstört zu haben. Sie war sich jedoch keiner solchen Schuld bewusst, denn sie war das nur während einer relativ kurzen Zeit von 19–33, wobei sie erst spät auf diesen Zug aufgesprungen war, aber immerhin.
Die Zeit ist nicht einfach. Die Jugend orientierte sich neu, die Inflation kam dazu und der Respekt vor den Autoritäten nahm von Jahr zu Jahr rapide ab. Wer wollte schon noch regiert werden – und von wem? Selbst ihren beiden Kindern Milva und Merkan, die nun auch schon 32 beziehungsweise 35 Jahre alt sind, kann sie die Geschehnisse nicht wirklich erklären. Wann hat es eigentlich dieses Mal angefangen, sich so dramatisch zu entwickeln, dass erneut alles in Trümmern liegt? Schutt und Asche wären ja eher verständlich gewesen, nur das hier war so gut wie unerklärlich. Ein Stein steht noch auf dem anderen, die Fassaden sehen aus wie neu, aber dahinter: aus und vorbei – nur Ruinen, Hülsen, mentale Zerstörung. Kulissen wie in Hollywood. Bei dem Gedanken an die verlorene Stadt muss sie auflachen – wie lange war das her, dass man aus diesem Teil der Welt etwas gehört hat?
Sie erinnert sich gut an ihren Vater, der vor 33 Jahren gestorben war und stets gesagt hatte, dass »wir den Bach runtergehen« würden. Tatsächlich daran geglaubt hatte sie nie. Doch die Zeichen waren unverkennbar – nur wahr haben wollte sie niemand. Wieso auch? Das Moderne gefiel und die perfekte Technik schien greifbar nahe. Gestört hatten nur die ewigen Mahner! »Und ich muss die Scheiße ausbaden« entfährt es ihren Lippen lauter als gewollt. Jede Zeit hat eben ihren eigenen Albtraum, der vor – wer könnte das genau sagen – begann? Wie soll man es beschreiben, wenn die Welt anfängt unterzugehen? Klar sind die Resultate: kein funktionierender Markt, keine offene Kommunikationsmöglichkeit, vom Klima ganz zu schweigen – dieser Winter will wohl nie mehr aufhören!
Das seit der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts einsetzende gebetsmühlenartige Nachgequatsche über Nachhaltigkeit von diesem und jenem hatte nicht verhindern können, dass so um 2022/23 bis auf Bayern alle Länder der Bundesrepublik pleite waren. Kurzerhand entschloss man sich, eine radikale territoriale Neuordnung verfassungsgemäß zu etablieren: Ab 2026 gab nun es einen Nordstaat, einen Mittelstaat und einen Südstaat.
Im Volksmund wurden diese wegen der linearen Trennlinien in der Reihenfolge mit »Schwarz-Rot-Gold« übersetzt. Dass die Bayern dabei mitgemacht haben, erkaufte man sich mit dem Zugeständnis, München ab 2036 zu Hauptstadt und Regierungssitz zu machen. Der BND konnte wieder in seine ursprüngliche Heimat umziehen. Berlin gehörte jetzt zum Mittelstaat und kämpfte immer noch mit den finanziellen und ökologischen Folgen der 2025 beschlossenen Einstampfung von BER, der unsäglichen »Willy-Brandt-Schutz-Fluch-Hafen-Posse« in Schönefeld, der mittlerweile vom Stadtgebiet auch schon vereinnahmt war. Das über die Jahre arg strapazierte Terminal in Tegel war 2029 wegen Baufälligkeit eingestürzt. Egal, heute fliegen sowieso kaum noch Privatleute. Immerhin hatte Tempelhof klammheimlich wieder seine Ehre als Zentralflughafen mit einer modernisierten Landebahn zurückerhalten, von der aus allerdings nur Militär-, Polizei- und Regierungsflieger operierten.
Das Unheil nahm im Kosmos seinen Lauf, ohne dass die Bevölkerung es zunächst als solches einschätzen konnte, weil keiner es ihr vermittelte. Dabei war der Wissenschaft das Ausmaß der Wahrheit klar: Dass nämlich die riesigen Sonneneruptionen die Umlaufbahn der Erde in Bälde kreuzen und der blaue Planet die Urgewalten des Universums zu spüren bekommen würde. Schließlich musste jeder von den starken Auswirkungen auf die technisierte Zivilisation Kenntnis nehmen; ein geordnetes Leben gehörte nicht mehr zur Normalität des einst gewohnten Alltags. Das bedeutete, sich von lieb gewordenen Dingen und Gewohnheiten zu verabschieden. Dass gleichzeitig das schützende Magnetfeld der Erde langsam aber sicher in sich zusammenbrach, blieb vielen verborgen – nur merkwürdige Krankheiten häuften sich.
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