Viel Geld hatte ich nicht, und für die schon gar nicht. So hinterließ ich auch keine Devisen im Intershop, was mir manches Unverständnis Zigaretten rauchender Freunde einbrachte. Für das Erlebnis, hier fahren zu dürfen, haben 1948/49 einige Menschen ihr Leben gelassen. Holla, was für ein Schlagloch. Bei 100 kommt man ins Träumen. Einige Stellen sind geradezu prädestiniert um Blitzer aufzubauen. Große Hinweisschilder, Brücken, Büsche am Fahrbahnrand (es gab sogar inoffizielle Karten, die alle wahrscheinlichen Aufstellungsorte nach km-Angaben enthielten). Aber wenn man Blickkontakt zum Tacho hielt, konnte nichts anbrennen. Wumm, wumm, wumm, jetzt wird die Strecke aber übel, links ist sie frei und sieht auch viel besser aus. Die Verlockung ist groß. Das weiß auch die Vopo. Ganz hinten auf der Brücke werden die Kerle stehen und mit ihren Ferngläsern glotzen. Wer drauf reinfällt, zahlt 30 DM. Dafür erhält man aber die perfekte Belehrung bezüglich der Nichtbeachtung des Rechtsfahrgebots einschließlich aller Paragraphen. Wen kümmert’s da, wenn der Wagen sich in seine Bestandteile auflöst.
Glücklicherweise kann ich von keiner Geschichte berichten, wo ich auf der Transitstrecke liegen geblieben wäre – allein die Vorstellung war trotz abgeschlossener Schutzbriefversicherung horrorhaft. Einmal konnte ich einem Vopo jedoch erfolgreich klarmachen, dass ich mit meinem Auto keinen 2-Tonnen-Mercedes über hundert Kilometer bis zur Grenze abschleppen kann. Ansonsten wurde so etwas einfach volkspolizeilich angeordnet.
Wie komme ich denn jetzt an diesem stinkenden Trabi vorbei? Das qualmende Gemisch vernebelt mir die Sinne und das ständige Gewinke des Kindes, das auf der Rückbank des Trabis sitzt, geht mir allmählich auf die Nerven. Schließlich ist Kontaktaufnahme verboten, also wird auch nicht zurückgegrüßt, sondern überholt! 105, 108, 110. Tachos gehen immer vor! Gleiche Höhe. Jetzt winken alle – und das sind erstaunlich viele zwischen Gepäck und behäkelten Klorollen. Weit kann die Reise nicht gehen. Kurzes Kopfnicken, hat aber mit denen nichts zu tun. Volles Risiko – 120 km/h –, geschafft. Wieder nach rechts. Mist, habe nicht geblinkt. War damals dort schon Vorschrift und ist heute wohl wieder in Vergessenheit geraten. Eigentlich müsste ich jetzt mal pinkeln. Da, sogar ein Parkplatz, wenn man ihn braucht. Halt, dann wäre der Trabi wieder vor mir, also weiter.
Gut so, denn der Parkplatz hat kein WC. Und direkt auf den Boden der Republik pissen ist wahrscheinlich für Transitreisende auch verboten. Aber das weiß ich nicht genau. Immerhin habe ich mir einen Autofeuerlöscher gekauft, der zur vorschriftsmäßigen Ausstattung auf dem Gebiet der DDR gehört. Da rechts am Fahrbahnrand wieder ein Trabi – ganz frühes Baujahr – mit geöffneter Motorhaube. Der Vater liegt unterm Auto, die Familie steht drum herum. Arme Brüder und Schwestern. Mein Mitleid ist echt.
Scheiße, eine Verkehrskontrolle – 80 –, ab in die Bremse. Wo stand der Blitzer? Oder war es eine Funkstopp-Falle? 60 – Himmel, der Vopo hebt den Haltestab, die Pulsfrequenz steigt. Konnte es noch mit dem Nichtblinken beim Überholen zusammenhängen? Keine Ahnung, was auf mich zukommt. Aber ich bin nicht der Einzige. Da vorn steht schon ein Wessi. »Guten Tag, führen Sie DM mit?« »Ja.« »Können Sie 100 DM klein machen, damit ich Wechselgeld für den Herrn dort habe?« Amtshilfe auf unterster Ebene funktioniert immer am besten. »Vielen Dank. Gute Weiterfahrt.« Den nächsten Parkplatz brauche ich jetzt aber dringend. Hier gilt die Regel: möglichst mit niemandem sprechen, nichts verschenken. Eine Apfelsine leichtfertig verteilt war schon unerlaubte Einfuhr! So, nun aber raus aus der Zone. Schweißausbruch. Wo sind Ausweis und Visum hin? Die werden doch bei der Geldwechselaktion nicht rausgefallen sein? Ein leichtes Zittern begleitet die Suche im Handschuhfach. Nach ganz hinten gerutscht sind sie – alles in Ordnung. Das muss besser werden. »Ende für DDR-Kfz« stand auf einem Schild und an der Grenze gibt es keine Probleme. Sage ich doch: Wer sich korrekt verhält, hat auch drüben nichts zu befürchten. Wirkliche Alternativen zum Auto gab es aus meiner Sicht nicht. Mit der Bahn war man ewig und drei Tage unterwegs, den Flieger konnten sich dank der Monopolstellung der alliierten Fluggesellschaften nur Geschäftsleute und Geheimnisträger leisten. Entsprechendes konnte ich nicht vorweisen.
Und bezahlen mussten wir auch nichts mehr. Jedenfalls nicht direkt. Genug gekostet hat es zwar, doch die Straßen wurden nicht besser; hätte mich auch überrascht, denn Devisen benötigte die DDR für andere Dinge.
Ach ja, dann wurde die Autobahn nach Hamburg gebaut (ade, alte B5), mit Westfinanzierung und Ostarbeitern. Uns hat’s gefreut, die NVA und Rote Armee vermutlich ebenso – endlich neue Planspiele.
Und nun war für die Wessis klar, dass alles von ihnen bezahlt werden muss, was mit diesem elenden Berlin zusammenhing, um uns als Land der Bundesrepublik am Leben zu erhalten – wofür überhaupt? Hätte es nicht besser mehr als nur ein Gerücht sein können, uns gegen einen Teil von Thüringen einzutauschen?
Alles in allem, normal war das nicht. Daran gewöhnt habe ich mich tatsächlich nie. Die Hoffnung, dass die Abnormitäten irgendwann der Vergangenheit angehören würden, ließ in mir die Überzeugung keimen, diesen Tag noch selbst zu erleben. Bis dahin sollte es aber noch ein weiter Weg werden.
Und das Bier wird an diesem Abend wohl auch kaum reichen.
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