»Na, aber die Sachen dort im Hut sind doch unser, nicht?«
»Beinahe, Huck, noch nicht ganz. Hier die Schrift auf der Rinde sagt: Die Sachen gehören euch, sollte ich nicht bis zum Frühstück zurück sein –«
»Was hiermit der Fall ist«, rief Tom und betrat mit großartigem, dramatischem Effekt die Szene.
Ein üppiges Frühstück, aus Speck und Fisch zusammengesetzt, war bald zur Stelle. Die Jungen machten sich drüber her, Tom erzählte dabei seine Abenteuer mit entsprechender Ausschmückung. Sein Ruhm warf einen strahlenden Abglanz auf die anderen. Die Erzählung verwandelte sie alsbald in eine eitle, prahlerische, lärmende Heldenschar. Dann suchte sich Tom ein stilles, verborgenes Winkelchen zum Schlafen, während die anderen Piraten sich fertig machten, um zu fischen und auf Entdeckungen auszugehen.
Kapitel 15: Heimweh und Rauch-Studien
NACH DEM MITTAGESSEN begab sich die ganze Bande zur Sandbank auf die Suche nach Schildkröteneiern. Mit Stöcken durchwühlten sie den Sand und wo sie eine hohle Stelle fanden, gruben sie mit den Händen nach und entdeckten oft fünfzig bis sechzig Eier in einem Loch, runde, weisse, nussgroße Dinger. Am Abend bereiteten sie sich aus den gebackenen Eiern ein köstliches Mahl, ebenso ein leckeres Frühstück am nächsten Morgen, einem Freitag. Danach gingen sie zur Sandbank, schwammen und tollten im Wasser herum und wälzten sich zur Abwechslung im heissen Sande, in dem sie sich förmlich eingruben. Plötzlich kam ihnen der Gedanke, dass der kleiderlose Zustand, in welchem sie sich befanden, die größte Ähnlichkeit habe mit den Trikots der Zirkushelden. Augenblicklich wurde ein Kreis in den Sand gezogen, der einen Zirkus vorstellen musste, einen Zirkus mit drei Clowns in demselben, denn keiner der Jungen konnte sich entschließen, diesen stolzesten, begehrtesten aller Posten einem anderen zu überlassen.
Als dies Vergnügen bis zur Neige ausgekostet war, sprangen Huck und Joe nochmals ins Wasser. Tom getraute sich nicht hinein, da er entdeckte, dass er beim Ausziehen der Hosen seine Klapperschlangenklappern verloren habe. Nur durch ein Wunder konnte er bis jetzt der Gefahr eines Krampfes beim Schwimmen entgangen sein ohne den geheimnisvoll wirkenden Schutz dieses Zaubermittels. Eifrig suchte er danach, und als er sie schließlich fand, die Zauberklappern, waren die anderen des Schwimmens müde und ruhebedürftig. Sie schlenderten nun am Ufer hin, wurden schweigsam, verfielen in Brüten, blieben einer hinter dem anderen zurück und jeder ertappte sich darauf, dass er sehnsüchtig in die Weite starrte, dorthin, wo das heimatliche Nest schläfrig im Sonnenbrande dalag. Tom wurde sich mit einem Male bewusst, dass er mit der großen Zehe »Becky« in den Sand schrieb. Ärgerlich über seine unmännliche Schwäche wischte er’s aus, zog aber im nächsten Moment nichtsdestoweniger dieselben magischen Linien aufs neue, fast gegen seinen Willen; er konnte nicht anders. Wieder löschte er dieselben und entzog sich dann der Versuchung, indem er den beiden Kameraden nachjagte und sie zusammentrieb.
Joes Lebensgeister aber waren mittlerweile so gesunken, dass ein Aufraffen derselben fast unmöglich schien. Er hatte solches Heimweh, dass er es vor Elend kaum mehr aushalten konnte. Verräterische Tränen waren dicht am Überfließen. Auch Huck war melancholisch geworden. Tom war gleichfalls sehr niedergeschlagen, bemühte sich aber redlich, es nicht zu zeigen. Seine Brust barg ein Geheimnis, das ihm aber zur Mitteilung noch nicht reif schien. Sollte sich jedoch diese rebellische Niedergeschlagenheit nicht bannen lassen, so musste er am Ende doch damit herausrücken. Mit erkünstelter Heiterkeit rief er plötzlich:
»Ich wett’, Jungens, auf der Insel hier waren schon vor uns Piraten. Lasst uns noch ‘mal genau alles durchforschen. Vielleicht haben sie irgendwo ‘nen Schatz versteckt. Das war doch ein Hauptspass, wenn wir plötzlich auf eine verfaulte Kiste voll Gold und Silber stiessen, was?«
Diese Aussicht vermochte indessen nur schwache Begeisterung zu erregen, die alsbald erstarb, ohne ein Echo erweckt zu haben. Tom versuchte es mit zwei oder drei anderen lockenden Vorschlägen, – es war verlorene Liebesmüh, Joe saß und bohrte mit einem Stock im Sand herum und sah sehr brummig aus. Schließlich rief er ungestüm:
»Jungens, wir wollen’s sein lassen. Ich will heim, hier ist’s so einsam.«
»Ach, Joe, wart doch,« beruhigte Tom, »bald denkst du ganz anders drüber. Denk doch nur allein ans Fischen!«
»Was liegt mir am Fischen. Ich will heim!«
»Aber, Joe, wo findest du wieder einen Platz zum Schwimmen wie hier?«
»Schwimmen ist mir ganz egal. Ich mach mir gar nichts mehr draus, seit keiner da ist, um’s zu verbieten. Ich will heim.«
»Ach Papperlapapp! Wickelkind! Will seine Mama sehen, was?«
»Ja, das will ich auch! Ich will meine Mutter sehen, und wenn du eine hättest, wolltest du’s auch. Ich bin kein größeres Wickelkind als du!« Und Joe schluchzte ein bisschen vor sich hin.
»Schön, schön! Lass das Kindchen zu seiner Mama gehen, gelt, Huck? Armes, kleines Wickelkind will die Mama sehen. Soll’s haben, armes, kleines Ding. Dir gefällt’s hier, Huck, gelt? Wir zwei bleiben, nicht?«
Huck ließ ein sehr zweifelhaftes, gedehntes »Ja–a–a« hören.
»So lang ich leb, red ich mit dir nie wieder«, damit erhob sich Joe und begann sich anzukleiden.
»Als ob mir daran was läge?« versetzte Tom geringschätzig, »wir brauchen dich nicht. Geh heim und lass dich auslachen, Du bist ein schöner Pirat, du! Huck und ich, wir sind keine Schreikinder, wir bleiben hier, gelt, Huck? Der mag laufen wohin er will, wollen schon fertig werden ohne ihn!«
Tom war es aber doch nicht recht geheuer bei der Sache und unruhig sah er zu, wie Joe wortlos und halsstarrig fortfuhr sich anzukleiden. Es ängstigte ihn auch zu sehen, dass Huck aufmerksam den Vorbereitungen Joes folgte, während er ein Gefahr drohendes Schweigen beobachtete. Alsbald, ohne ein Wort des Abschiedes, begann Joe nach dem Illinoisufer zuzuwaten. Tom sank das Herz bis in die äusserste Zehenspitze. Er warf einen forschenden Blick auf Huck. Dieser vermochte den Blick nicht auszuhalten und schlug die Augen nieder. Dann sagte er:
»Ich will auch fort, Tom! ‘s war vorher schon einsam und jetzt wird’s noch schlimmer. Komm, wir gehen mit!«
»Ich geh nicht. Ihr könnt alle weg, wenn ihr wollt. Ich will bleiben.«
»Ich, ich denk, ich geh!«
»Immer zu, wer hält dich denn?«
Huck begann seine Kleider aufzuraffen. Dabei sagte er: »Tom, ich wollt, du gingst mit. Denk mal drüber nach. Drüben am Ufer wollen wir ‘ne Zeitlang auf dich warten.«
»Na, da könnt ihr warten, bis ihr schwarz werdet, das kann ich dir sagen!«
Kummervoll wandte sich Huck ab und Tom stand und sah ihm nach, während ihm das glühendste Verlangen, den beiden zu folgen, fast das Herz abdrückte. Sein Stolz wollte das aber nicht zulassen. Von Augenblick zu Augenblick hoffte Tom, die Jungen würden stehen bleiben, die aber wateten entschlossen vorwärts, ohne sich umzusehen. Plötzlich überfiel ihn das Bewusstsein, wie still und einsam es um ihn geworden, mit niederschmetternder Gewalt. Einen letzten Strauss bestand er mit seinem Stolze, dann stürzte er hinter den Kameraden her, denselben nachbrüllend:
»Wartet, so wartet doch, ich muss euch etwas sagen.«
Die standen still und wandten sich. Als er sie erreichte, teilte er ihnen sein Geheimnis mit. Sie hörten mürrisch zu; als ihnen aber klar wurde, worauf er loszielte, stiessen sie ein gellendes Kriegsgeheul aus und erklärten den Plan für einen Kapitalspass. Wenn er das gleich gesagt hätte, wären sie niemals weggelaufen, versicherten sie. Tom redete sich heraus, so gut er konnte. In Wahrheit aber hatte er gefürchtet, selbst die Enthüllung dieses geheimnisvollen Plans vermöchte nicht, sie für die Länge der Zeit auf der Insel festzuhalten und darum hatte er sich dies als letztes Lockmittel für den äussersten Notfall aufsparen wollen.
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