3.Bergrechtliche Sonderregeln
7Sie sind charakterisiert durch eigene Rechtsinstitute als Ausdruck des grundsätzlichen Zusammenhanges von berg baulichenSachgesetzlichkeiten und berg rechtlichenNormen. Sie sollen im öffentlichen Interesse an der Rohstoffversorgung
– durch Abspaltung der Bodenschätze von den Verfügungsbefugnissendes Grundeigentümers mittels einer eigenständigen Rechtsordnung für bergfreie Bodenschätze ( Konzessionssystem) die Unabhängigkeit des Bergbaus von Inhalt und Grenzen des Grundeigentums gewährleisten,
– Befugnisse zur Inanspruchnahmebetrieblich notwendiger, fremder Flächen (Recht auf Grundabtretung) im Rahmen der grundgesetzlichen Grenzen einräumen,
– die einer fortschreitenden Betriebsweise und ihren Risiken entsprechende vorbeugende und begleitende Überwachungder Betriebe bei Planung, Errichtung, Führung und Einstellung ( Betriebsplanverfahren) durch eine besondere Behörde (Bergbehörde) zur Verfügung stellen,
– durch VorsorgemaßnahmenGefahren und Schäden für Personen und Sachgüter Dritter aus bergbaulichen Betrieben und ihren Außenwirkungen möglichst gering halten ( Anpassung und Sicherung) und den Ausgleichunvermeidbarer Eingriffe in die Substanz des Grund(Oberflächen)eigentums verbessern (Bergschadensvermutungund Haftungserweiterung).
8Regelungsinhalte und Funktionsweisen dieser Sonderrechtsnormenunterscheiden sich zwar in vielerlei Hinsicht von anderen wirtschafts- und verwaltungsrechtlichen Vorschriften, sie unterliegen jedoch den gleichen Auslegungsregeln und materiell- und verfahrensrechtlichen Grenzen wie solche Normen, mit denen sie notwendigerweise kollidieren oder in deren Regelungsrahmen das Bergrecht trotz seines Sonderrechtscharakters eingebunden ist.
Am deutlichsten hat dies das BVerwG im sog. Moers-Kapellen-Urteil v. 16.3.1989 (BVerwGE 81, 329) ausgesprochen. Unter ausdrücklicher Würdigung der besonderen Sachgesetzlichkeiten und Zwangsläufigkeiten des Bergbaus bei der Auslegung bergrechtlicher Normen muss bei der Anwendung des Bergschadensrechts im Sinne eines „dulde und liquidiere“geprüft werden, ob die damit verbundenen Maßnahmen mit Art. 14 Abs. 1 GG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind.
Ist das nicht der Fall, müssen die Vorschriften des BBergG verfassungskonformso ausgelegtwerden, dass „eine ausnahmslose und völlige Zurückdrängung des Oberflächeneigentümers zugunsten des Bergbaus und eine Verweisung ausschließlich auf Geldersatz für Bergschäden (i. S. von „dulde und liquidiere“) durch eine Abwägung zweier grundrechtlich geschützter Rechtspositionen abgelöst wird.“
9Das Bergrechtist deshalb trotz seiner Besonderheiten kein in sich abgeschlossenes, sondern ein offenes System, das ganz bewusst das Zusammenwirken mit privaten und öffentlichen Nachbarnormen sucht und eine umfassende Regelungaller mit dem Bergbau und dem Bergbaubetrieb verbundenen Rechtsverhältnisses nicht anstrebt.Lediglich angesprochen ist in § 1 Nr. 1 der sparsame und schonende Umgang mit Grund und Boden, nicht jedoch geregelt sind dagegen Umweltschutz- (Schutz von Wasser, Boden, Luft, Natur, Landschaft), Arbeits- (mit Ausnahme des technischen Arbeitsschutzrechts) und Sozialrecht. Umweltschutzrechtliche Fachgesetze finden allerdings Eingang in das Bergrecht über die §§ 48, 55 und die UVP-V Bergbau bei bestimmten bergbaulichen Vorhaben. Begründet ist das darin, dass bergbauliche Tätigkeiten wegen ihrer ständig die Grundstücksgrenzen überschreitenden Raumbezogenheit und Rauminanspruchnahme auf private und öffentliche Rechtsgüter und Interessen stoßen, die bereits durch außerbergrechtliche Normen geschützt sind. Diese Schutznormen kann und will das Bergrecht einer gesonderten bergrechtlichen Regelung nicht unterwerfen, weder im Sinne einer Berechtigung zum Eingriff noch im Sinne eines Verbotes gegenüber anderen Rechtsträgern und ihren Belangen. Das Bergrecht normiert deshalb in § 48 Abs. 1 Satz 1 mit der Unberührtheitsklausel (Nach Rausch, Umwelt- und Planungsrecht, 160, liegt der Sinn darin, dass man auf absolute Beschränkungen, wie etwa die früheren Schürfverbote des ABG, verzichtet hat, s. auch § 48 Rn 4 ff.) ausdrücklich einen bewussten Verzichtauf gesetzesübergreifende Regelungenund sucht, soweit das möglich ist, einen Ausgleich mit konkurrierenden öffentlichen Interessen durch Vorrangregelungen in den eigenen Rechtsnormen oder durch Abwägungsgebote und -verfahren zu schaffen.
4.Bergbau und öffentliche Interessen
10Dabei sind absolute Vorrangregelungen– wie das Moers-Kapellen-Urteil des BVerwG deutlich gemacht hat –, zur Konfliktlösung jedenfalls bei gleichwertigen grundrechtlich geschützten Rechtspositionen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig und nicht geeignet. Zwar ist es nach Ansicht des BVerwG unbedenklich, den Betroffenen dann, wenn „bei Ausführung von Betriebsplänen kleine und mittlere Schäden im üblichen Umfang“ auftreten, „insoweit allein auf die Bergschadensregelungen der §§ 114 ff. BBergG“ zu verweisen. Das ist dann jedoch auch aus der Sicht des BVerwG ein lediglich relativer Vorrang, wie er dem Bergbau etwa auch beim Grundabtretungsverfahren unter der Voraussetzung eingeräumt ist, dass die Nutzung des Grund und Bodens oder die Entziehung des Eigentums im Einzelfall dem Wohl der Allgemeinheit dient (§ 79 Abs. 1).
11Wesentlich ausgeprägter als solche relativen Vorrangregelungen sind allerdings Normen im Bergrecht, die Abwägungsgebotezwischen bergbaulichen und anderen öffentlichen Interessen enthalten. Hiernach müssen nicht nur die bergbaulichen und öffentlichen Interessen im konkreten Fall ermittelt, sondern für die zu treffende Entscheidung auch in einem geordneten Verfahren gegeneinander abgewogen werden. Als besonders markante Beispiele lassen sich anführen:
– § 4 Abs. 4: Beachtung öffentlicher Interessen bei der Wiedernutzbarmachung;
– § 11 Nr. 10: Überwiegende öffentliche Interessen, die eine Aufsuchung im gesamten Feld ausschließen;
– § 23 Abs. 1: Öffentliche Interessen, die einer Veräußerung von Bergwerkseigentum entgegenstehen;
– § 40 Abs. 1: Öffentliches Interesse an der Durchforschung eines Gebietes kann die Zustimmung des Eigentümers bei Benutzung seines Grund und Bodens ersetzen;
– § 48 Abs. 2: Beschränkung von Aufsuchung oder Gewinnung bei entgegenstehenden überwiegenden öffentlichen Interessen;
– § 57b Abs. 1 Nr. 3: Öffentliches Interesse an einem vorzeitigen Vorhabenbeginn der Planfeststellung im obligatorischen Rahmenbetriebsplanverfahren mit UVP;
– § 124 Abs. 3: Vorrang des Bergbaus gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer öffentlichen Verkehrsanlage bei überwiegendem öffentlichen Interesse am Bergbau;
– § 133 Abs. 2: Beschränkung der Versagungsgründe für Errichtung und Betrieb von Transit-Rohrleitungen und Unterwasserkabeln auf die Beeinträchtigung überwiegender öffentlicher Interessen.
Anhand dieser gesetzlichen Beispiele wird deutlich, dass der jeweilige Konfliktlösungsansatznur durch Ermittlung der Sinn- und Regelungszusammenhänge und durch eine sachgerechte Wertung und Auslegung der Normen praktikabel, handhabbar und umsetzbar ist. Wesentliche Lösungsansätze ergeben sich dabei bereits aus den Leitklauseln in § 1 und ihrer Regelungsmaterie.
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