Bereits erschienen:
eISBN 978-3-649-63641-0
Auch als Print-Ausgabe erhältlich:
ISBN 978-3-649-63344-0
5 4 3 2 1
eISBN 978-3-649-63714-1
© 2020 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise
Text: Lina Frisch
Covergestaltung: Frauke Schneider
Lektorat: Frauke Reitze
Satz: Sabine Conrad
www.coppenrath.de
Die Print-Ausgabe erscheint unter der ISBN 978-3-649-63366-2.
LINA FRISCH
WERDEN DEINE GEFÜHLE DICH RETTEN?
Für all diejenigen, die den Mut haben, ihre Stimme zu erheben .
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
EPILOG
NACHWORT
Die Autorin
Am Horizont beginnt der Morgen, die Dunkelheit zu verdrängen. Ich hebe den Kopf und betrachte Hunters Gesicht neben mir. Seine blonden Bartstoppeln, die so lang geworden sind, dass sie die feine Narbe auf seiner Wange verdecken. Die Locken, die ihm wie immer in die Stirn fallen. Irgendwann müssen wir so eingeschlafen sein, die Rücken gegen den Stamm einer Palme gelehnt, mein Kopf auf seiner Schulter. Der Sand unter mir ist kühl und ich fröstele.
Heute Nacht hatte ich keinen Albtraum. Ich lag nicht, wie unzählige Male zuvor, im Kofferraum eines Fluchtautos, habe keinen Schrei und keinen Schuss gehört. Aber seit gestern weiß ich, dass es diesen Kofferraum wirklich gegeben hat, genau wie den Schuss. Seit gestern weiß ich, warum Mum vor vier Jahren spurlos verschwunden ist und warum Hunter die Kristallisierer mit jeder Faser seines Körpers hasst – ganz besonders meinen Vater. Wer könnte es ihm verdenken? Jeder würde den Mörder seiner Mutter hassen. Mörder . Das Wort fühlt sich nicht richtig an in Verbindung mit dem Mann, der mich aufgezogen hat. Aber der Schmerz, den ich im Mondlicht in Hunters Augen gesehen habe, lässt keinen Zweifel zu. Mörder .
Neben mir beginnt Hunter, sich zu regen. Ich beuge mich vor und drücke meine Lippen auf seine. Nur kurz und nicht halb so leidenschaftlich wie gestern, denn mit der Helligkeit bahnt sich die kalte Realität ihren Weg zurück in mein Herz. Das hier ist ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen werde . Ich blicke hinaus auf das wütende Meer, das in der Nacht noch friedlich an den Strand plätscherte, und spüre den rauen Wind in meinem Gesicht. Wir haben es bis hierher geschafft. Aber alles, was wir erreicht haben, ist wertlos, wenn wir unsere Aufgabe jetzt nicht zu Ende bringen. In meiner Jackentasche schließen sich meine Finger fest um das kühle Metall des Diktiergeräts, das Luce mir im Zentrum gegeben hat. Da sind sie, die beiden kleinen runden Knöpfe. Aufnahme, Wiedergabe. Mein Finger drückt auf Play.
»Wir schwören der Kristallisierung Treue.« Chloe Cremontes Stimme ist trotz des Sturms, der sich über uns zusammenbraut, deutlich zu verstehen. Hell und scharf wie Glas. »Wir verpflichten uns, vor keinem Hindernis zurückzuschrecken, um den Menschen zu seiner Natur zurückzuführen. Für ein Leben in Klarheit!«
Ich bemerke erst, dass meine Hand sich zur Faust geballt hat, als Hunter sich streckt und das Diktiergerät behutsam aus meinen Fingern löst. Chloe Cremontes Worte werden vom Wind davongetragen.
»Sie war einmal wie wir. Sie wollte etwas verändern, diese Welt zu einem besseren Ort machen!« Ich höre selbst die Wut in meiner Stimme. Leiser füge ich hinzu, was mich seit gestern Nacht nicht mehr loslässt: »Ich kann einfach nicht glauben, dass hinter all den Ideen von der gläsernen Gesellschaft ohne Diskriminierung, von Klarheit durch Traits – dass dahinter die ganze Zeit in Wahrheit ReNatura gesteckt hat. Sieht sie denn nicht, dass das Programm Frauen erst zu Emotionalen und dann zu Rechtlosen machen wird?«
»Wir reden von der Frau, die, ohne zu zögern, die Karriere ihrer eigenen Mutter beendet hat«, sagt Hunter hart. »Chloe Cremonte würde für ihren Platz im Weißen Haus alles und jeden opfern.«
»Ich habe mir immer vorgestellt, dass es schwer für sie gewesen sein muss damals …«
»Schwer?« Hunter lacht bitter. »Skye, der große Skandal war für Chloe ein gefundenes Fressen.«
Ich denke an den Tag, als die Ministerin Jessica Cremonte ihre Tochter Chloe in den Händen von Entführern glaubte und den fatalen Befehl gab, sie mit allen Mitteln zu befreien. Am Ende waren unzählige junge Menschen tot, unter ihnen auch Chloes kleine Schwester. Und ihre Mutter war eine gebrochene Frau. »Wie meinst du das?«, frage ich leise. »Sie hatte doch so viel verloren!«
Hunter wirft mir einen langen Blick zu. »Noch am selben Tag, an dem ihre Mutter ins Exil flog, hat Chloe uns zu einer verdammten Feier eingeladen.«
»Uns?« Ich muss so verblüfft aussehen, wie ich mich fühle.
»Ja, uns.« Hunter seufzt. »Meine Eltern, um genau zu sein, und eine Reihe anderer Unterstützer der ersten Stunde. Sie haben auf die Traits angestoßen. Und ich schwöre dir, dass Chloe ihrer Mutter keine Träne nachgeweint hat.«
»Deine Eltern waren Kristallisierungsanhänger?« Der Gedanke will einfach nicht bei mir ankommen.
»Mein Vater vor allem.« Hunters Kiefer spannt sich an. »Bevor Dad bei der Times anfing, hat er Journalistik-Kurse an der Long Island Universität gegeben. Zur gleichen Zeit studierte Chloe dort Politikwissenschaft. Sie gründete eine Hochschulgruppe, eine Art politischen Debattierclub. Dad ging zu einem der Treffen und war von den Themen begeistert. Damit begann ihre Freundschaft.« Hunter schüttelt verächtlich den Kopf.
»Warum hast du mir das nie erzählt?«, frage ich.
Er schaut mich verlegen an. »Vielleicht, weil ich diese Vergangenheit meiner Eltern gern ausblende. Aber immerhin hat zumindest Mum noch rechtzeitig erkannt, dass sie auf der falschen Seite stand.«
»Und dein Dad?«
Hunter zuckt die Schultern und starrt aufs Meer hinaus. Wir schweigen. Ich wünschte, er würde nicht immer diese Mauern um sich hochziehen. Ich wünschte, er würde mir vertrauen.
Vorsichtig frage ich: »Also waren sie zu Beginn beide in diesem … Debattierclub?«
Er nickt. »Dad ging regelmäßiger zu den Treffen als Mum, aber sie waren beide Mitglieder. Als die Gruppe wuchs, organisierte Chloe Klimastreiks und fuhr nach Washington, um dort gegen Waffengewalt zu protestieren.«
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