»Natürlich. Lassen Sie mich Ihnen zuerst ein paar vorausgehende Fragen stellen, um einen Basiswert für die Maschine zu ermitteln. Ihr voller Name lautet?«
»Harold Nichols. Einen Mittelnamen hat man mir nicht gegeben.«
»Anfang Oktober dieses Jahres waren Sie und das Alpha Team der Special Activities Division an einer Operation im Mittleren Osten beteiligt. Sie sind der Anführer des Alpha Teams, nicht wahr?«
»Das ist korrekt.«
»Sehr gut. Darf ich Sie Harry nennen?«
»Meine Freunde nennen mich Harry«, antwortete der Mann gelassen und ohne jede Regung.
Ein Moment peinlicher Stille folgte, dann räusperte sich der Bürokrat. »Gut. Wir können jetzt beginnen, Mr. Nichols.«
Der Mann hob eine Hand vom Tisch und deutete auf die Drähte und das Equipment. »Was erhoffen Sie sich eigentlich von all dem?«
Ellsworth schien über die Frage nachzudenken, dann antwortete er: »Die Wahrheit, Mr. Nichols. Ich erhoffe mir, die Wahrheit herauszufinden.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Mannes, oder vielmehr die ironische, zynische Parodie eines Lächelns. »Ich werde Ihnen etwas verraten. Lügen ist mein Beruf. 2008 wurde ich in den Bergen des Hindukusch von einer Splittergruppe der Taliban geschnappt. Ich verbrachte drei Monate in Gefangenschaft, bis es einem Team gelang, mich zu befreien. Ich wurde jeden Tag gefoltert, um Informationen aus mir herauszubekommen. Es dauerte fünf Monate, bis ich wieder eine komplette Meile rennen konnte. An meinem Körper finden sich noch immer die Narben aus jenen Tagen. In all diesen Monaten erfuhren diese Männer nur das, was ich sie wissen lassen wollte. Desinformation, ohne dass sie es je bemerkten. Wenn Sie also glauben, dass dieser Maschine etwas gelingen könnte, wozu diese Männer nicht fähig waren, verschwenden Sie Ihre Zeit …«
05:42 Uhr Ortszeit
eine Stadtvilla
Fairfax, Virginia
Wie so oft schien der Wecker viel zu früh zu klingeln. David Lay öffnete seine Augen und starrte durch die Dunkelheit an die Decke, während der Alarm misstönend vor sich hin lärmte.
Ächzend schwang er seine Beine aus dem Bett und tastete nach dem leuchtenden Display. Mit zweiundsechzig Jahren war er nicht mehr so fit wie früher, was sicher damit zu tun hatte. Aber die Schlummertaste zu drücken war für den Direktor der Central Intelligence Agency keine Option.
Lay wickelte sich einen Morgenmantel um den Körper und öffnete die Tür, die zu dem Flur führte. Die Temperaturen waren in der vergangenen Nacht auf Minusgrade gefallen und ein Schneesturm zog von Westen heran, der den Vorhersagen zufolge fünf Zentimeter Neuschnee mit sich bringen würde. Der schwache Geruch von Rauch stieg ihm in die Nase und er beschleunigte seine Schritte auf seinem Weg in die Küche.
»Guten Morgen, Boss«, war die beinahe hellseherische Begrüßung des kleinen, stämmigen Mannes zu hören, der aus den Rauchschwaden trat, die den Herd umgaben.
»Na, zumindest haben Sie sich bemüht«, kommentierte Lay mit einem kritischen Blick auf den Stapel Pancakes, der sich auf der Kücheninsel türmte.
Peter Ramirez lachte und wedelte mit dem Pfannenwender in die Richtung des DCIA. »Die schmecken besser als sie aussehen, comprende? «
»Ich bin nicht sicher, ob mich das überzeugt«, lautete Lays Antwort. »Was gibt’s Neues aus Langley?«
»Die Stundenberichte liegen auf dem Tisch«, antwortete Ramirez und wandte sich wieder dem Ofen zu. Lay musterte die unpassende Wölbung einer Glock 21 im Holster unter der Schürze seines Leibwächters und schüttelte den Kopf.
Pete Ramirez war ein zweiunddreißigjähriger Ex-Navy SEAL, der sich nach einer Rückenverletzung während einer Mission auf Mindanao aus dem aktiven Dienst zurückziehen musste. Nach seiner Genesung war das massige, einen Meter achtundsechzig große Kampfschiff von einem Mann dem Secret Service beigetreten. Seit anderthalb Jahren diente er nun schon als Lays persönlicher Leibwächter und die beiden Männer kamen hervorragend miteinander aus. Der Leibwächter und seine Schutzperson.
»Irgendwelche Fortschritte mit Sergei Ivanovich?«
Ramirez schüttelte den Kopf. »Carters Team ist an der Sache dran, aber bisher haben sie noch nichts gefunden. Wenn sein Bild nicht auf diesen Überwachungskameras aufgetaucht wäre …«
»Sagen Sie mir nicht, dass wir uns keine Sorgen machen sollten, wenn ein ehemaliger Speznas -Söldner mit Verbindungen zur Mafia in Philly auftauchen kann, ohne dass wir auch nur die leiseste Ahnung davon haben, dass er sich überhaupt in diesem Land befindet.« Lay seufzte. »Das Bureau in die Sache einzuweihen, ohne erklären zu können, wie genau wir an diese Aufnahmen gelangt sind, wird eine meiner heutigen morgendlichen Freuden sein.«
Darüber hinaus fand sich in dem Stapel der stündlichen Berichte nichts, was erwähnenswert gewesen wäre, weshalb der DCIA ihn müde beiseitelegte und nach der Fernbedienung für den Fernseher griff.
»… und die Wahlschlacht hält auch zwei Monate nach der Wahl noch weiter an, nachdem Berichte über Wahlbetrug in New Mexico an die Öffentlichkeit gelangt sind. Es ist davon auszugehen, dass der Supreme Court sich innerhalb der nächsten beiden Wochen dieses Themas annehmen wird. Es wäre nach der erneuten Stimmenauszählung von 2000 in Florida zwischen dem ehemaligen Präsidenten George W. Bush und dem ehemaligen Vizepräsidenten Albert Gore das erste Mal, dass sich der oberste Gerichtshof in eine Präsidentschaftswahl einmischt. Seitdem Präsident Hancocks Führung vor Senator Richard Norton auf weniger als fünfzigtausend Stimmen geschrumpft ist, könnten die Vorwürfe, dass tausende Stimmen von illegalen Einwanderern abgegeben wurden, tiefgreifende Auswirkungen auf den Wahlausgang haben. Hier bei uns im Studio ist nun der Sprecher der Minderheitsfraktionen im Senat, Senator Scott Ellis aus Utah, mit dem wir uns über die möglichen Auswirkungen einer Entscheidung des Supreme Courts die Legitimation der Norton-Administration betreffend unterhalten wollen. Senator, Sie sprechen sich schon seit längerem …«
Mit einem verächtlichen Schnauben schaltete Lay den Fernseher aus. Außer einem Eingeständnis von Präsident Roger Hancock gab es nichts, was ihn an dieser Wahl interessierte. Und selbst dieses würde von irgendeinem dummen Kommentator ruiniert werden, der keine Ahnung hatte. Der nicht im Ansatz verstand, welcher Abgrund sich dahinter verbarg.
Aber vielleicht war das auch besser so. Das Land hatte schon genug durchmachen müssen …
06:01 Uhr
CIA-Hauptquartier
Langley, Virginia
Das Schicksal hat bestimmt, dass es so endet, Harry. Dem Willen Allahs kann man nicht entkommen.
Er hatte seit drei Tagen nicht geschlafen. Der klassische Schlafentzug vor einem Verhör, Standardvorgehensweise der Agency. Darauf war er trainiert.
Und genau das war es auch … ein Verhör. Der Lügendetektor war da, Ellsworth aber hielt sich nicht an die Vorschriften, wie dieses abzulaufen hatte. An die Standardabfolge von Ja/Nein -Fragen.
Er gierte nach Blut.
Diese Stimme. Sie verfolgte ihn in seinen Träumen. Um genau zu sein, hatte er schon seit langem nicht mehr richtig geschlafen. Er schloss für einen Moment die Augen und verbannte die Stimme aus seinem Kopf.
Ellsworth fuhr fort, und Harry hob den Kopf, um den Generalinspekteur anzusehen.
»Nachdem Hamid Zakiri das Alpha Team verließ und zum Feind überlief, erhielten Sie den Befehl, ihn zur Befragung zurückzubringen. Ist das korrekt?«
Du hast Befehl, mich lebend zu fassen, richtig?
Die Stimme eines toten Mannes, die aus dem Grab zu ihm sprach. Er konnte immer noch sein Gesicht sehen, dort in der Dunkelheit der Masjid al-Marwani, unter dem Tempelberg. Das Gesicht eines sterbenden Freundes. Das Gesicht eines Verräters …
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