»Sehr schön haben Sie es hier«, sagte Gertrud schließlich bewundernd.
Frau Burkhardt senkte bescheiden den Kopf. »Es macht uns auch viel Freude hier zu wohnen. Ursprünglich kommen wir ja aus Wien, das Haus haben wir vor zwölf Jahren gekauft und seitdem muss mein Mann jeden Tag nach Wien pendeln. Er ist Historiker im Wiener Stadt- und Landesarchiv.«
Gertrud lauschte ehrfürchtig. »Sind Sie auch berufstätig?«, fragte sie.
»Ich arbeite in Mödling für einen Geschichtsverlag. Mein Mann und ich haben uns ja schon mit achtzehn beziehungsweise zwanzig während des Geschichtsstudiums kennengelernt.« Und lachend fügte sie hinzu: »Das war’s dann. Seitdem waren wir keinen Tag getrennt.«
Gertrud nickte feierlich. »Liebe auf den ersten Blick!«
Frau Burkhardt wurde ein wenig verlegen. Sie wusste, dass ihr eigenes Glück von anderen nicht immer neidlos aufgenommen wurde.
Gertrud Klampfl beobachtete sie neugierig. Sie war eine wirklich attraktive Erscheinung. Langbeinig und von schlanker Gestalt, mit schmalen Hüften, straffem Busen und kornblumenblauen Augen.
»Schön, wenn die Liebe so einschlägt zwischen Mann und Frau«, seufzte sie ein wenig säuerlich. »Mir war das leider nicht vergönnt.«
»Das tut mir leid. Leben Sie allein?«
»Ja. In dem heruntergekommenen Mietshaus am Ende der Straße. Dort hab ich eine Vierzig-Quadratmeter-Wohnung für vierhundertneunzig Euro im Monat.«
»Das ist unverschämt teuer«, rief Frau Burkhardt und fühlte sich unbehaglich, weil sie selbst in einem schönen Haus leben durfte.
»Ich bin ja schon in der Rente«, berichtete Gertrud offenherzig, »und bekomm grad mal neunhundertsechzig Euro im Monat, obwohl ich fünfunddreißig Jahre geschuftet hab.«
Frau Burkhardt blickte ihr Gegenüber betreten an und suchte nach den passenden Worten.
»Aber vor kurzem hab ich beschlossen, mir eine Nebenbeschäftigung zu suchen. Ab sechzig darf man das ja, ohne dass einem diese Halsabschneider von Politiker auch noch die Rente kürzen. Jetzt such ich eine Stelle, wo ich wenigstens für ein paar Stunden in der Woche arbeiten darf und mir nebenher was dazuverdiene. Alles andere ist ja kein Leben!«
Frau Burkhardt durchzuckte ein plötzlicher Gedanke. Seit Jahren schon hatte sie versucht, eine Haushaltshilfe zu finden. Bisher aber waren die Vorstelligen nicht vertrauenswürdig genug gewesen oder so schlampig, dass sie sie wieder wegschicken musste. Mit dem großen Haus, zwei Kindern und ihrer Verlagsarbeit fühlte sie sich schon seit längerem überlastet. Warum also nicht Frau Klampfl eine Chance geben? Sie schien eine ordentliche Person zu sein und wohnte nur wenige hundert Meter entfernt. Eigentlich ideal.
»Hm«, begann sie, »ich suche seit längerem eine nette Frau, die mir beim Saubermachen hilft. Ich meine, wenn Ihnen diese Arbeit nicht zu …« Sie suchte nach den richtigen Worten, schließlich wollte sie Frau Klampfl nicht beleidigen. Vielleicht war Putzen und dergleichen niedere Tätigkeiten ja nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Aber ihre Sorge schien unbegründet. Frau Klampfl war Feuer und Flamme.
»Damit würden Sie mir eine große Freude machen!«, rief sie. »Ich versichere Ihnen, dass ich eine ehrliche und reinliche Person bin.«
»Und Sie finden putzen und so was in der Art nicht zu … zu gewöhnlich? Ich meine …«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen! Ich putze richtig gern. In meiner kleinen Wohnung gibt‘s eh nix zu tun.«
Frau Burkhardt lächelte erfreut. »Tja, wenn Sie das so sehen …«
»Ich kann Ihnen auch beim Kochen behilflich sein. Ich hab früher als Köchin bei der Caritas gearbeitet. Ich wasche und ich bügle. Putz nix die Fenster, gibt’s bei mir nicht! Ich mach alles.«
Frau Burkhardt erschrak fast ein wenig über diesen Enthusiasmus. »Wenn Sie zehn Stunden in der Woche kommen für zehn Euro die Stunde, wäre das für Sie akzeptabel?« Sie sah ihr Gegenüber unsicher an, aber mehr konnte sie sich schlicht nicht leisten.
»Sie würden mich zum glücklichsten Menschen machen!«, rief Gertrud. »Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie zufrieden sein werden.«
Frau Burkhardt streckte Gertrud spontan die Hand hin. »Ich heiße Carla«, lächelte sie.
Gertruds Finger umklammerten die dargebotene Hand. »Und ich bin die Gertrud«, erwiderte sie dankbar.
Gertrud Klampfl schöpft Argwohn
Aus dem Vorzimmer drangen polternde Geräusche herein, dann betrat ein Mädchen das Wohnzimmer. »Hi, Mami!«
Beim Anblick von Frau Burkhardts Tochter zuckte Gertrud Klampfl zusammen. Klatschnasse blauschwarz gefärbte Haare, auf Vampir geschminkte Augen und viel Metall im Gesicht. Über die tätowierten Handgelenke tropfte Regenwasser direkt auf den schönen Teppich, und Gertrud musste gegen das akut auftretende Bedürfnis ankämpfen, augenblicklich aufzustehen und den Teppich trockenzuwischen. Nur mit eisernem Willen krallte sie sich an der Couch fest.
»Stefanie«, sagte Carla Burkhardt mit leiser und sanfter Stimme, denn jetzt musste sie ihrer Tochter die traurige Nachricht vom Tod ihres Katers beibringen. »Das ist Frau Gertrud.«
»Hi!«, sagte Stefanie.
»Frau Gertrud wird mir zukünftig im Haushalt helfen.«
»Cool. Hoffentlich hält wenigstens sie länger als zehn Tage durch.«
Carla Burkhardt blickte verlegen zu Gertrud hinüber, aber Gertruds Gesicht blieb ausdruckslos. Nur eine steile Falte hatte sich zwischen ihren Brauen gebildet. Was für eine vorlaute Rotznase! Gertrud sog den Atem so tief ein, dass sie husten musste. Wenn das ihre Tochter wäre, hätte sie ihr längst die Ohren langgezogen! Und ihr dieses scheußliche Metall im Gesicht verboten, das sie regelrecht entstellte. Aber immerhin stand dem Mädchen eine schlimme Nachricht bevor, was Gertruds Unmut etwas milderte.
»Steffi«, begann Carla behutsam, »du musst jetzt ganz stark sein. Ich habe eine schlimme Nachricht.«
Stefanie zupfte verunsichert an ihrem linken Ohr, das aussah wie ein Minenfeld. »Ist was passiert?«
»Ja. Wir haben Black Sabbath gefunden.«
Unter ihrer Schminke wurde das Mädchen kalkweiß. »Sag jetzt nicht, dass er tot ist!«
»Leider ja. Es tut mir so leid, Schatz …«
»Wo ist er?«, schrie Stefanie.
»Es ist besser, wenn du ihn nicht …«
»Habt ihr ihn der Tierkörperverwertung gegeben?«
»Aber nein! Wir werden ihm im Garten ein schönes Begräbnis bereiten. Mit einem kleinen Grabstein und so …«
»Wo ist er?«
»Im Wintergarten«, seufzte Carla.
Stefanie riss die Terrassentür auf und stürmte hinaus. Bald schon hörten die beiden Frauen einen Aufschrei, der sie zusammenfahren ließ.
Als Stefanie wenige Minuten später ins Zimmer trat, war sie wie versteinert. »Wer hat ihn bloß so furchtbar zugerichtet?«, flüsterte sie.
Carla zuckte hilflos mit den Schultern.
Niemand hatte Stefanies Bruder Tobias gehört. Er betrat das Zimmer und ein Blick auf die Gesichter der Anwesenden, ließ ihn ausrufen: »Kommt ihr von einem Begräbnis?« Dabei ahnte er nicht, wie nahe er der Wahrheit kam.
Gertrud betrachtete ihn neugierig. Er war etwas älter als seine Schwester, groß und schlaksig, noch lange kein Mann, aber auch kein Kind mehr, irgendwas dazwischen halt. Mit den blonden Haaren und den kornblumenblauen Augen kam er ganz nach seiner Mutter.
»Black Sabbath ist tot!«, schrie Stefanie ihn an, so als wäre er schuld.
»Ach du Scheiße! Wurde er überfahren?«
»Mein Blacky wurde zu Tode verstümmelt!«
»Furchtbar! Wo ist er jetzt?«
»Draußen im Wintergarten. Du kannst ihn dir ansehen.«
»Lieber nicht …« Ihm war nicht nach verstümmelten Haustieren. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den fremden Besuch, der mit verschlungenen Händen und neugierigen Rosinenaugen auf der Couch saß.
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