Dieses Buch ist dem Andenken des am 6. Februar 2008 verstorbenen Anton Staller, Orgelbauer aus Grafing, seinen Bootskameraden auf U188 sowie allen U-Boot-Fahrern seiner Zeit gewidmet .
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2008
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Lektorat: Dagmar Becker-Göthel, München
Satz: SF-Design GmbH, Stefan Felder, Rosenheim
Bildreproduktion: Stragenegg Scan, Kolbermoor
eISBN 978-3-475-54321-0 (epub)
Als Angehöriger des Geburtsjahrgangs 1934, dem, wie dies unser Altbundeskanzler Kohl nannte, »die Gnade der späten Geburt« zuteil wurde, habe ich selbst den Krieg bis zum Einmarsch der Amerikaner nur zu Hause in einem Dorf im Bayerischen Wald bewusst miterlebt. Dies allerdings mit wachen Sinnen. Die fast unbeschreiblichen Ängste, Strapazen und Nöte der oftmals nur wenige Jahre älteren Kriegsteilnehmer kenne ich also nur aus ihren oft sehr beeindruckenden Erzählungen. Deshalb habe ich lange mit mir gerungen, ob ich es wagen kann, die Erlebnisse eines der wenigen heute noch lebenden U-Boot-Fahrer des Zweiten Weltkrieges so wiederzugeben, wie er sie mir aus der Sicht eines einfachen Besatzungsmitgliedes schilderte.
Erst als mir Toni die Kopie des Kriegstagebuches von Unterseeboot 188, kurz das KTB U 188, vorlegte, in dem die jeweils wachhabenden Offiziere und Kapitänleutnant – in der Soldatensprache kurz Kaleu – Lüdden alle wichtigen und ungewöhnlichen Ereignisse in knapper militärischer Sprache festgehalten haben, begann ich meine Bedenken zu überwinden. Dieses KTB geriet 1944 in die Hände der französischen Résistance und kam danach in den Besitz der Engländer. Diese haben die für sie aufschlussreichen Aufzeichnungen über die Bewegungen von U188 auf See, alle durchgeführten Torpedoangriffe des Bootes, Versenkungen sowie auch die Orte und Zeitpunkte der Verfolgungen des deutschen U-Bootes durch ihre eigenen Seestreitkräfte ausgewertet. Erst Jahre nach dem Krieg gelangte dieses KTB nach Deutschland.
Es gibt heute nur noch wenige lebende Besatzungsmitglieder von U-Booten, die durch glückliche Umstände in einen deutschen Hafen zurückkehrten. Sie sind Zeitzeugen eines gnadenlosen Seekrieges. Einer von ihnen, Anton Staller, war von Anfang an als Matrose auf U 188.
Als er mir einen Besucher, Elektro-Maat Baumann, vorstellte, der mit ihm während dreier »Feindfahrten« auf U 188 zusammen war und Tonis Angaben bekräftigte, schwanden letzte Bedenken. Schließlich gab die Lektüre des Buches »Verlorene Ehre, verratene Treue« von Herbert Maeger den Ausschlag, die Erzählungen eines U-Boot-Fahrers in der Ich-Form wiederzugeben. Denn dabei gelangte ich zu der Überzeugung, dass man Lesern nur so nahebringen kann, wie junge Menschen im Dritten Reich missbraucht und in den Tod geschickt wurden.
Grafing, im Dezember 2007
Klaus Willmann
Schon seit Tagen umtoste uns die See. Unser Boot U 188 wurde wie ein Spielball durch die Wellen geschleudert und vermochte kaum noch Kurs zu halten. Hier im Nordatlantik sollten wir mit einigen anderen deutschen U-Booten zusammentreffen. Alle hatten Befehl, einen der von Kriegsschiffen stark bewachten Geleitzüge unserer Gegner anzugreifen, mit denen die Alliierten Kriegsmaterial aus den USA nach Europa beförderten.
Als Letzter kletterte ich, ausgerüstet mit meinem Öl- und Lederzeug, auf die Brücke, um die Brückenwache abzulösen. Das Heulen des Sturmes und das Tosen der graugrünen Wellen waren so laut, dass ich die Warnrufe der anderen kaum verstehen, sondern nur erraten konnte. Rasch befestigte ich den Karabinerhaken am Ende eines dünnen Stahlseiles in der Öse meines reißfesten Brustgurtes. Nun war ich fest mit dem brusthohen, unseren Turm umrahmenden Schanzkleid aus Stahl verbunden. Ohne diese Sicherung hätten uns die Brecher, die unablässig an unserem Boot zerrten und uns manchmal sogar überrollten, wie Strohhalme über Bord gespült.
So sehr sich U 188 auch gegen die aufgewühlte See stemmte – wir fühlten, dass wir kaum noch Fahrt machten. Und der Sturm wurde innerhalb der folgenden Stunde noch heftiger. Immer öfter vernahmen mein Nebenmann Rötters und ich die Warnrufe unseres Wachoffiziers Korn oder die von Steimer, die hinter uns durch ihre Gläser in Fahrtrichtung die See beobachteten: »Wahrschau!« Wir holten tief Luft, denn wir wussten, dass uns im nächsten Augenblick ein anrollender Brecher überspülen würde. Wir konnten beobachten, dass sich immer wieder schäumende, bis zu zehn Meter hohe Wellen auf uns zubewegten. Sie waren schneller als das Boot, begruben es von hinten, und jetzt musste jeweils einer von uns beiden laut und rechtzeitig warnen: »Wahrschau!« Die Beine wurden unter meinem Körper weggerissen. In der plötzlichen Dunkelheit wurden mir Sekunden zu Minuten, und meine klammen Hände in den durchnässten Handschuhen suchten krampfhaft nach dem Haltegriff des Schanzkleides. Dabei fühlte ich, wie das eiskalte Wasser in mein Ölzeug drang. Das zum Schutz gegen eindringendes Wasser um den Hals gewickelte Handtuch erwies sich als wirkungslos. Kein Faden an unseren Körpern blieb trocken.
Bei der Ablösung nach vier unendlich langen Stunden brannten unsere überanstrengten Augen, und wir taumelten – genau wie die Brückenwache vor uns – halb ertrunken und vor Kälte fast gefühllos hinab in die Zentrale. Durch das Turmluk, das Sprachrohr und auch den Dieselluftmast war ins Boot tonnenweise Wasser eingedrungen, das nun bedrohlich in der Bilge unter unseren Füßen schwappte. Die Lenzpumpen mussten pausenlos arbeiten, um es wieder hinauszubefördern.
Durch diese Wetterverhältnisse war Kaleu Lüdden gezwungen, sich zum Unterwassermarsch zu entschließen. Während wir tauchten, verwandelten sich die bisher heftigen Schlingerbewegungen des Bootes allmählich in sanftes Wiegen. Dabei stand ich im E-Raum (Elektroraum) und versuchte verzweifelt, mich aus meiner Schutzkleidung herauszuschälen. Einige Kameraden halfen mir schließlich und rieben mich mit Handtüchern trocken. Als ich bekleidet mit meinem blauen, dicken Rollkragenpullover, trockener Unterwäsche und Hose zusammen mit den anderen zur kleinen Kochstelle des Smuts eilte und dort einen großen Becher mit dampfendem Tee leerte, fühlte ich wohltuende Wärme meinen Körper durchströmen. Ich erholte mich rasch, und es überkam mich ein fast unwiderstehliches Schlafbedürfnis.
Zwischen dem Gewirr von Rohren dicht über meinem Kopf und dem Torpedo unter meiner Klappe (Liege) zwängte ich mich vom Längsflur aus in den schmalen Schlafplatz. Kurz bevor ich einschlief, stürmten Bilder und Erinnerungen aus nicht allzu fernen Tagen auf mich ein. Wie war es gekommen, dass ich jetzt hier in diesem U-Boot wie ein kleines Rädchen in einem Uhrwerk als Teil des Ganzen zu funktionieren hatte und dem Zeitgeschehen hilflos ausgeliefert war?
Am 9. September 1941, vierzehn Tage vor meinem achtzehnten Geburtstag, erhielt ich vom Wehrkreiskommando Rosenheim die Vorladung zur Musterung zugestellt. Es war ein kurzes Schreiben, auf dem selbstverständlich der Reichsadler mit dem Hakenkreuz prangte. Natürlich war auch ich wie alle meine gleichaltrigen Freunde und Bekannten in der Hitlerjugend gewesen, denn seit dem Jahr 1939 verpflichteten Durchführungsverordnungen zum Reichsjugendgesetz alle deutschen Jungen und Mädchen zur Mitgliedschaft in der HJ – der Hitlerjugend – oder beim Bund deutscher Mädchen. Es würde allerdings nicht der Wahrheit entsprechen, wenn ich heute behauptete, dass mir die Kameradschaft, das gemeinsame Singen an prasselnden Lagerfeuern oder die Wanderfahrten in Zeltlager, ganz einfach das Gefühl der Gemeinschaft keinen Spaß gemacht hätten. Jedoch sollte mir erst viel später bewusst werden, dass wir alle durch vormilitärische Geländespiele und Ähnliches zu unbedingtem Gehorsam erzogen wurden.
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