Am 19. Juni blieb die II./Gebirgs-Artillerie-Regiment 79 in den erreichten Quartieren. Alle Vorbereitungen für ein schnelles und reibungsloses In-Stellung-Gehen wurden getroffen. Vorsichtig und unauffällig erkundete der Abteilungskommandeur die auf einer freien Anhöhe dicht vor dem sowjetischen Grenzraum liegenden B-Stellen. Aus Tarnungsgründen musste diese Erkundung in den Uniformen der Grenzbeamten durchgeführt werden. In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni wurden die Geschütze, die Munition und anderes Kriegsgerät in den Bereitstellungsraum vorgezogen.
Bis zum 20. Juni 1941 bezogen auch die Gebirgs-Jäger-Regimenter 98 und 99 sowie das der 1. Gebirgs-Division zugeteilte Infanterie-Regiment 188 und die Divisions-Artillerie ihre gut getarnten Sturm- und Feuerstellungen. Jeder Landser hatte dabei das beklemmende Gefühl, dass er an der Schwelle eines gewaltigen Ereignisses stand, das das Schicksal eines jeden Einzelnen entscheidend bestimmen würde. Trotz ihres Selbstvertrauens wurden die Infanteristen von etwas Unfassbarem, fast Erdrückendem befallen. Denn sie erahnten sehr wohl die unendliche Weite des sowjetrussischen Raumes, die Stärke der Roten Armee, die Leidenschaft und Opferbereitschaft des russischen Volkes und den Fanatismus der kommunistischen Kommissare.
Der 20. Juni war mit weiteren Angriffsvorbereitungen ausgefüllt. Um 21.40 Uhr kam der Befehl zum endgültigen Beziehen der Bereitstellung für die Nacht vom 20. auf den 21. Juni. An jenem Tage wurde um 11 Uhr auf einer Kommandeursbesprechung der Angriff auf die sowjetischen Grenzstellungen für den 22. Juni 1941, 3.15 Uhr, befohlen. Eine Stunde später kam der Befehl für den Angriff des Gebirgs-Artillerie-Regiments 79 heraus. Er wurde für die II. Gebirgs-Artillerie-Abteilung wie folgt festgelegt:
Die Abteilung ist mit Angriffsbeginn dem Gebirgs-Jäger-Regiment 98 unterstellt. Verstärktes Gebirgs-Jäger-Regiment 98 greift zur befohlenen Zeit im Rahmen der 1. Gebirgs-Division aus der Bereitstellung an, nimmt die Höhen ostwärts von Oleszyeze und stößt über die Lubaczowka nach Südosten durch. Aufgabe der Abteilung ist die Unterstützung des Angriffs durch die Bekämpfung auftretender Ziele im Einvernehmen mit den Kompanien der vordersten Linie. Die 4. Batterie ist auf die Zusammenarbeit mit dem II. Bataillon und die 6. Batterie auf die mit dem I. Bataillon angewiesen. Die Vorgeschobenen Beobachter (V.B.) dieser Batterien melden sich zur Einweisung um 18.00 Uhr auf den Bataillons-Gefechtsständen. Die 5. Batterie tritt mit Angriffsbeginn aus der Bereitstellung sofort hinter dem I. Bataillon an.
Um 17.00 Uhr waren alle B-Stellen am Waldrand nördlich Punkt 229 und sämtliche Fernsprechleitungen besetzt.
Am Nachmittag des 21. Juni 1941 teilte der 1. Generalstabsoffizier (Ia) des XXXXIV. Armeekorps der 4. Gebirgs-Division mit, dass der Angriff gegen Russland am kommenden Tag, um 3.30 Uhr, beginnen werde. Damit hatte sich der Schleier des streng gehüteten Geheimnisses auch für die »Enzian«-Division endgültig gelüftet. Das Unternehmen »Barbarossa« nahm nun seinen verhängnisvollen Lauf.
Unter dem 21. Juni 1941 finden wir im »Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht« folgende Eintragung: »OKW gibt in der Nacht 20./21. 6. das Stichwort ›Dortmund‹ durch. Damit ist der Angriffsbeginn endgültig für den 22. 6. befohlen. Der Befehl wird an die Heeresgruppen weitergeleitet. Das Aufschließen in die Bereitstellungsräume verläuft planmäßig.« 29
Währenddessen war die 99. leichte Infanterie-Division der Heeresgruppe Süd zunächst als Reserve zugeteilt worden. »Abmarsch zur Front!«, so lauteten bereits im Mai 1941 die entscheidenden Befehle der Bataillone, Abteilungen und Regimenter.
Wer von den Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften schon auf dem westlichen Kriegsschauplatz eingesetzt gewesen war, der wusste, was ihn erwartete. Wer den Krieg bisher jedoch nur vom Hörensagen kannte, der sah dem Kommenden mit gemischten Gefühlen entgegen. Und wie immer, wenn Soldaten in den Krieg ziehen, dann beginnen sie laut und inbrünstig zu singen, um die bohrenden Zweifel und Ängste beiseitezudrängen. Sie singen nicht zuletzt auch deshalb, um im Gefühl des Miteinanders dem Kameraden noch näher zu sein. Die »Märkische Heide«, »Die blauen Dragoner« oder das Soldatenlied »Morgen marschieren wir« erschallten daher schon bald auf dem Marsch der 99. leichten Infanterie-Division zur Front. Der Leutnant, den sie geringschätzig »Bubi« nannten, stimmte an, und die Kompanie fiel ein:
Auch unser Hauptmann Eichenfeld ,
das war fürwahr ein tapfrer Held .
Doch kaum dass er den Säbel zog ,
erlitt er schon den bittern Tod …
Aber während des Marsches an die Ostfront wurde nicht nur gesungen, sondern auch noch alle Möglichkeiten zur Hebung der Schlagkraft der Division ausgeschöpft. Erfahrungen, die man bisher gesammelt hatte, wurden in organisatorische und personelle Maßnahmen umgesetzt, um die Disziplin, den Korpsgeist und die Leistungsbereitschaft der Truppe zu heben. Während der Ruhepausen wurde das mit den Transportzügen herangeführte Kriegsmaterial übernommen oder aus den näher gelegenen Depots herangeholt. Alles wurde getan, um in der bis zum Einsatz noch zur Verfügung stehenden Zeit jene Mängel zu beseitigen, die den Erfolg gefährden oder unnötige Verluste verursachen konnten.
Schließlich erreichte die 99. leichte Infanterie-Division den Raum um Sandomiez, wo die verschiedenen Truppenteile ihre Quartiere bezogen. In Sichtweite der deutsch-sowjetischen Grenze war den meisten – nicht zuletzt auch durch die bereits in Stellung liegenden Verbände – klar geworden, dass sich der neue Waffengang nur gegen die Sowjetunion richten konnte. Letzte Zweifel wurden beseitigt, als die Infanteristen in teilweise beschwerlichen Märschen, die aus Tarnungsgründen in der Nacht durchgeführt wurden, in das von der Heeresgruppe Süd zugewiesene Aufmarschgebiet bei Zamosce rückten.
Hier bekam man bereits einen kleinen Vorgeschmack auf die aufgeweichten Straßen und Wege, die die Bewegungen stark hemmten und daher Marschverzögerungen von bis zu zehn Stunden und mehr verursachten. Die zwanzig Panjefahrzeuge, die jedem Bataillon der Division auf Grund der widrigen Straßenverhältnisse zugewiesen worden waren, bildeten da nur einen Tropfen auf den so oft zitierten heißen Stein. Doch es sollte, was die Wegverhältnisse anbetraf, im Verlauf des Ostfeldzuges noch viel schlimmer kommen.
Die Einheiten der 99. leichten Infanterie-Division lagen als Reserve der Heeresgruppe Süd in ihren Bereitstellungsräumen und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Doch vorläufig ereignete sich wenig, denn in der vordersten Angriffslinie standen andere Divisionen der 6. Armee, unter deren Befehl die 99. leichte Infanterie-Division später den Sprung nach Russland unternehmen sollte. Dieses Abwarten wurde für viele zur Qual. Die Nerven der zur Untätigkeit verdammten Infanteristen waren zum Zerreißen gespannt. Warten, tatenlos zusehen und zuhören, wie die Kameraden der benachbarten Divisionen kämpften und litten – nein, das war nichts für Soldaten, die für den Ernstfall hart geübt hatten und gedrillt worden waren.
Nicht viel anders erging es den Soldaten der Berlinbrandenburgischen 68. Infanterie-Division. Bei ihr hatten die ersten Umgruppierungen im Frühjahr 1941 begonnen, so dass bereits Ende Mai die sogenannte »Braune-Bären«-Division in zwei Abteilungen aufmarschiert war: die eine im Raum Jaroslau und die andere im Grenzwinkel nördlich von Sieniawa. Es war am 21. Juni 1941, Punkt 3.30 Uhr morgens, als die ersten Stoßtrupps über den San setzten und die sowjetischen Grenzwachen überwältigten. Im zügigen Angriff wurde rasch schwächer werdender Widerstand gebrochen, so dass sich die Infanteristen im Raum von Jaworow wieder vereinigen konnten. Ein Bataillon des Infanterie-Regiments 196 wurde nach Süden verlegt, um bei der Einnahme der sich noch zäh verteidigenden Festung Przemysl zu helfen.
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