»Das ist Jeremy Slater«, sagte der Wirt, nachdem der Cowboy die richtige Person im Blickfeld hatte. Seine Stimme war nicht mehr als ein leises Flüstern. »Ihm gehört die Blue-Lodge-Ranch außerhalb der Stadt.«
»Einer von Desmond Picketts Männern?«, erkundigte sich der Cowboy.
Doch der rothaarige Wirt schüttelte den Kopf. »Nein, Slater ist ein Rebell. Die Blue-Lodge-Ranch führt seit Jahren Krieg gegen Pickett und seine Männer. Er ist der Einzige, der ihm Paroli bietet. Wenn du unbedingt ein Maverickjäger werden willst, dann sprich mit ihm.«
Mit der Faust klopfte der Cowboy auf den Tresen. »Danke, Kumpel! Das werde ich gleich machen!« Bevor er sich jedoch von ihm abwenden konnte, hielt dieser ihn mit seiner fleischigen Pranke an seiner Lederjacke fest. »Nicht so schnell! Informationen kosten Geld!« Der Cowboy rollte mit den Augen, dann zog er eine weitere Dollarnote aus seiner Tasche und ließ sie in der ausgestreckten Hand des Iren verschwinden. »Danke, mein Freund! Du bist zwar verrückt, aber ich mag dich! Viel Glück, denn das wirst du brauchen!«
Der Cowboy rutschte vom Barhocker und ging zielstrebig auf jenen Mann zu, den der Wirt als Jeremy Slater bezeichnet hatte und der inmitten der anderen Gäste wie ein Fels in der Brandung wirkte. Als der Cowboy nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, richtete Slater seinen Blick auf den Fremden. Seine Augen waren so grau wie ein kalter Gletscherfluss im Winter. Seine schiefe Nase schien mehrere Male gebrochen worden zu sein, was ihm aber einen männlichen, selbstbewussten und kühnen Anblick verlieh. Ja, dieser Mann war durch und durch ein Revolverheld!
»Greetings, ich habe gehört, dass Sie auf der Suche nach fähigen Männern sind? Nun, ein solcher Kerl steht jetzt vor Ihnen!«, eröffnete der Cowboy das Gespräch und streckte dem Mann seine Hand zur Begrüßung entgegen.
Die grauen Augen blicken kurz in Richtung des Tresens, wo der Ire stand und das Gespräch neugierig verfolgte. Dann musterte er den Cowboy stillschweigend, ohne den Händedruck zu erwidern.
»Gefällt Ihnen, was Sie sehen?«, wollte der Cowboy wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe dich in dieser Gegend noch nie gesehen? Woher kommst du?«
»Odenwood!«
»Nie gehört.«
»Wie sieht es aus? Brauchen Sie eine starke Hand oder nicht?«
»Ich habe genug Männer. Tut mir leid, aber ich brauche deine Hilfe nicht!«, antwortete Jeremy Slater und blickte wieder in sein Whiskeyglas, um zu zeigen, dass die Sache für ihn erledigt war.
»Schade, sehr schade!« Der Cowboy fasste zum Abschied an seine Hutkrempe, kehrte Slater den Rücken zu und trat durch die hölzerne Schwingtür ins Freie. Es war bereits dunkel geworden; überall brannten Öllampen oder Laternen in den Fenstern. Bei Nacht wirkte die Stadt mit ihren Arkaden richtig heimelig. Der Cowboy begann »Jezebel« von Frankie Laine zu pfeifen, während er zu der Haltestange ging, an der er sein Pferd angebunden hatte. Kurz überlegte er, ob er einem der schäbigen Varietés einen Besuch abstatten sollte, doch die Müdigkeit von dem harten Ritt steckte ihm schwer in den Knochen. Er sehnte sich nur noch nach einer Matratze. Außerdem hatte er Angst, dass er seine letzten Dollars einem der Tingeltangel-Girls zustecken würde. Seine Geldreserven waren fast aufgebraucht.
»Einen Moment, Mister!«, erklang es hinter dem Cowboy, als er gerade dabei war, sein Pferd loszubinden. Langsam drehte er sich um. Hinter dem Handlauf des Gehsteiges stand ein Mann mit einem langen Schnurrbart. Sofort stach ihm der silberne Stern ins Auge, der die staubige Weste des Mannes zierte. Dies ist also der Deputy-Sheriff von Cheops! , dachte der Cowboy und erwiderte den Blick des anderen.
Der Deputy-Sheriff fuhr sich mit der Hand über die Enden seines Schnurbartes, die spitz nach oben standen, um diese zu zwirbeln. Es war wohl eine alte Angewohnheit, die so in Fleisch und Blut übergegangen war, dass es fast unmöglich war, sie sich wieder abzugewöhnen.
»Wer bist du?«, wollte der Deputy-Sheriff wissen.
»Ein Besucher dieser Stadt!«
»Und was willst du hier?«
»Ehrlich gesagt, will ich nur noch ein weiches Bett und schlafen. Ich habe einen harten und weiten Ritt hinter mir«, antwortete der Cowboy grinsend.
»Du kommst erst einmal mit in mein Office!«
»Und, was will ich da?«
»Ich werde nachschauen, ob deine Visage sich nicht auf einem Steckbrief wiederfindet. In meiner Stadt haben Satteltramps nichts verloren, verstanden?«
»Und wenn ich mich weigere? Ich bin ein Reisender und außer Alkohol und geilen Weibern habe ich keine Laster!«
»Du weigerst dich?«, zischte der Ordnungshüter böse, und seine Hand fuhr über den Griff seines Colts, der in einem Lederhalfter an seinem Gürtel hing.
»Sheridan, lass den Fremden in Ruhe!«, ertönte es auf einmal hinter dem Deputy-Sheriff. Es war Jeremy Slaters Stimme, der gerade aus dem Saloon getreten war.
»Misch dich nicht in Angelegenheiten ein, die dich nichts angehen, Slater!«, erwiderte der Deputy-Sheriff trotzig.
»Und ich sage es dir noch einmal: Lass den Mann in Ruhe! Sonst …«
»Sonst was?«
Jeremy Slater machte einen Schritt auf den Deputy-Sheriff zu. Er überragte diesen um mindestens einen Kopf. In der Dunkelheit ließ sich Slaters kantiges Gesicht nur erahnen, trotzdem spürte man Bedrohung und mitleidlose Härte, die von ihm ausgingen. Instinktiv wich der Deputy-Sheriff einen Schritt zurück. Er glich in diesem Moment einer verängstigten Bergkatze, die vor einem mächtigen Löwen zurückweicht. Dann spürte der Cowboy, wie Slater den Blick auf ihn richtete. Die Konturen des mächtigen Mannes waren nun vom Licht des Saloons, das nach draußen fiel, klar umrissen.
»Das hier ist Sheridan Webster, der sich für den Ordnungshüter dieser Stadt hält«, begann Slater mit knirschender Stimme – eine Stimme, die zu seiner rauen Gestalt wie die Faust aufs Auge passte. »Er ist Desmond Picketts Knecht, der Sklave eines verabscheuungswürdigen Kerls, der meint, mit Angst und Schrecken könne man alles kaufen. Solange Webster macht, was Pickett will, darf er diesen Stern tragen.«
Sheridan Webster, der Deputy-Sheriff, blieb still. Trotz der Geräusche, die aus dem Saloon drangen, lag so etwas wie eine angespannte Stille über dem Gehsteig. Eine unsichtbare Glasglocke, die alle Geräusche von draußen dämpfte. »Pass auf, Sheridan! Irgendwann wirst du für diese Banditen nichts mehr wert sein und dann werden sie dich zum Teufel jagen!«
»Wir werden sehen, wer zum Teufel gejagt wird, Slater!« antwortete der Deputy-Sheriff, doch in seiner Stimme klang ein unsicherer Ton mit. Deshalb zog er seinen Hut tief ins Gesicht und würdigte die beiden Männer keines Blickes mehr. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass seine innere Unruhe in seiner Stimme mitgeschwungen war. Wie ein Schemen verschwand er in den dunklen Gassen von Cheops.
»So ein Arschloch!«, murmelte der Cowboy und spuckte auf den Boden.
Slater bückte seine massige Gestalt unter den Handlauf des hölzernen Laufstegs und trat dem Cowboy direkt gegenüber. Und diesmal streckte er ihm die Hand entgegen. »Mein Name ist Jeremy Slater, aber das weißt du bestimmt schon – sonst hättest du nicht nach einem Job gefragt!«
Der Cowboy ergriff die Hand und musste sich sichtlich anstrengen, vor lauter Schmerz keine Grimasse zu schneiden. Der Händedruck seines Gegenübers war so stark, dass er das Gefühl hatte, Slater würde ihm alle Knochen brechen.
»Mein Name ist …«, er stockte für einen Moment, denn seinen alten Namen hatte er schon lange abgelegt. »Ich bin Rainer.«
»Du siehst aus, als hättest du einen langen Ritt hinter dir! Es sind noch ein paar Meilen bis zur Blue-Lodge-Ranch, aber wenn du die Zähne zusammenbeißt, dann kannst du in einem warmen Bett bei mir auf der Ranch schlafen und eine heiße Bohnensuppe am Lagerfeuer genießen!«
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