Der Erbe, Emdens einziger Sohn, hatte sich vor den Nazis nach Chile abgesetzt und zeigte keinerlei Interesse an den Inseln. Schließlich verkaufte er sie 1949 an eine Interessengemeinschaft aus Kanton, Anliegergemeinden und Heimatschutzorganisationen, die 1950 den botanischen Garten der Öffentlichkeit zugänglich machte und heute mit einem geschickten Marketing dafür sorgt, dass die Besucher nicht ausbleiben.
Brissago
Schon fast Italien. Die letzte Gemeinde vor der Grenze zeigt einen malerischen Ortskern um die mittelalterliche Pfarreikirche Santi Pietro e Paolo. In den Gärten blühen Zitronen und Orangen, am Berghang ziehen sich die Villen hoch.
Zur Grenze hin häufen sich die Tankstellen, das Benzin ist in Italien wesentlich teurer als in der Schweiz. An der Durchgangsstraße herrscht viel Verkehr, und nicht selten kommt es zum abendlichen Pendlerstau. Über 2000 „Frontalieri“, wie die in der Schweiz arbeitenden und in Italien wohnenden Personen genannt werden, befinden sich dann auf dem Heimweg.
Davon merkt wenig, wer auf der Promenade südlich des Ortskerns spaziert. Irgendwann stößt man dort auf den ruhigen „Dialogo“: Ein Mühlrad lässt eine metallene Kugel gemächlich hin und herrollen. Die mobile Brunnenskulptur ist ein Werk des Malers und Bildhauers Benno Schulthess, der in der Deutschschweiz und in Brissago wohnt. Weiter südlich endet der Spaziergang dann etwas abrupt vor den Toren der ehemaligen Fabbrica Tabacchi Brissago, heute das Centro Dannemannund dem Tabakimpe-
rium Burger Söhne einverleibt. Hier wird die „Brissago“, die berühmte krumme Virginia-Zigarre, hergestellt.
Sehenswertes
Museo Ruggero Leoncavallo: Im Palazzo Branca-Baccalà, mit seiner Barockfassade das schönste Gebäude des Orts, sind drei Säle für Ruggero Leoncavallo (1857-1919) reserviert. Der in Neapel geborene Opernkomponist und Librettist ließ sich 1903 oberhalb der Kirche Madonna di Ponte eine Villa bauen (heute abgerissen) und wurde schon im Folgejahr Ehrenbürger von Brissago. 1916 verließ er den Ort wieder und starb 1919 in Montecatini Terme (Toscana). Erst 1989 entsprach man seinem Wunsch und überführte seine sterblichen Reste nach Brissago ( → Chiesa Madonna di Ponte).
Das Museum ist eher etwas für Spezialisten, ein Saal ist der Rekonstruktion seines Arbeitsraums, restaurierter Flügel inklusive, gewidmet.
♦ Mitte März bis Okt. Mi-Sa 10-12 und 16-18 Uhr. Eintritt 5 CHF.
Chiesa Santi Pietro e Paolo: Die Pfarreikirche von Brissago stammt aus dem 16. Jahrhundert und zeigt im Inneren außer einem schmucken holzgeschnitzten Orgelprospekt wenig Aufregendes. Besser als die Kirche selbst hat uns der schmale Vorplatz mit seinen vier eindrucksvollen Zypressen gefallen: Blick auf den See und einen kleinen Fischerhafen. Die Stele auf dem Platz wurde 1903 zum 100-jährigen Jubiläum des Tessins als vollwertiger Kanton der Eidgenossenschaft errichtet, eine zusätzliche Tafel aus dem Jahr 2003 verdoppelt das Jubiläum.
Brissago und seine Inseln
Gleich neben der Kirche steht das Cinema Arlecchino, ein Bau aus den 1950er Jahren und damit modern in der unmittelbaren Umgebung. Ein „Verein der Harlekin-Freunde“ setzt sich dafür ein, dass das früher von der Kirche betriebene Kino mit seinen 130 Sitzplätzen renoviert und als Kulturzentrum eröffnet wird.
Chiesa Madonna di Ponte: Die Kirche mit ihrem freistehenden Campanile, zwischen dem Schwimmbad und einer Garage eingeklemmt, stammt wie die Hauptkirche aus dem 16. Jahrhundert und wurde vom selben einheimischen Architekten geplant. Die Einflüsse der Renaissance schlagen hier eindeutig stärker durch, insbesondere im auffälligen achteckigen Kuppelbau über dem Chor mit seinen Säulen und dem aufgesetzten sechseckigen Türmchen; das Innere der Kirche birgt nichts Interessantes.
Unter dem kleinen Portikus gegenüber dem Eingang hat - gegen den See hin mit Ketten geschützt - der Opernkomponist Ruggero Leoncavallo mitsamt Gattin Berthe seine letzte Ruhe gefunden (→ Museo Ruggero Leoncavallo). Die prunkvolle Villa Myriam, die er etwas oberhalb der Kirche bauen ließ, wurde 1978 abgerissen.
Centro Dannemann: Die Fabbrica Tabacchi Brissago, Geburtsort der berühmten krummen Zigarre (→ Kastentext „Schlank und krumm“), wurde 1999 von der Dannemann-Gruppe übernommen, die ihrerseits dem Schweizer Tabakkonzern Burger Söhne gehört. Heute präsentiert sich die Fabrik, vor dem Ersten Weltkrieg mit 700 Angestellten größte Arbeitgeberin im Kanton, als „Dannemann Center“ in Anlehnung an ein ebensolches in Bahia/Brasilien. Zwar werden die berühmten Zigarren weiterhin hergestellt, allerdings geht dies maschinell zu, der Personalbestand ist seit langem reduziert, rund 60 Angestellte - größtenteils italienische Grenzgänger - arbeiten hier noch.
Auswärtige begnügen sich mit einem Besuch im Dannemann-Shop (Mo-Fr 10-17 Uhr). Führungen sind nur gruppenweise möglich, dann wird Ihnen eine Arbeiterin demonstrieren, wie die Krumme einst von Hand gerollt wurde. In der Hauptsache aber ist das Centro Dannemann heute eine Örtlichkeit mit Sälen, die für Gala-Abende, Hochzeiten und andere private Anlässe vermietet werden. Gelegentlich finden im „Dannemann-Grotto“, das mit seinen 210 m 2Fläche mit einem Tessiner Grotto recht wenig gemein hat, Veranstaltungen statt, die man hier „Events“ nennt. Auskunft bei der Touristinformation.
Praktische Infos
PLZ 6614
Information Lago Maggiore Tourist Office, an der Durchgangsstraße. Viel Material über die Umgebung und freundliche Auskünfte. Mitte März bis Mai und Okt. Mo-Fr 9-12/14-18 Uhr, Juni und Sept. Mo-Fr 9-12/14-18, Sa 9-12 Uhr; Juli/Aug. Mo-Sa 9-12/14-17 Uhr; Nov. bis Mitte März Di-Do 13.30-17, Fr 9-12 Uhr. Via Leoncavallo 25, Tel. 0848-091091, www.ascona-locarno.com.
Hin & weg Bus, mehrmals tägl. mit FART Nr. 316 nach Ascona und Locarno sowie mit dem Lokalbus Nr. 8 über Porto Ronco nach Ronco s/Ascona. Ebenfalls mehrmals täglich fährt eine italienische Buslinie über die Grenze und an der Küste entlang bis Pallanza bei Verbania.
Schlank und krumm - die Brissago
Kenner loben ihren würzigen Geschmack, Snobs rümpfen die Nase, sie finden die schlanke Krumme zu wenig aristokratisch, und Passivraucher schimpfen über ihren besonders beißenden Rauch. Seit 1847 wird in der Fabbrica Tabacchi Brissago der krumme Stängel hergestellt, dessen besonderer Geschmack sich der „Concia“ verdankt, der Beize, die das Deckblatt mit der Tabakeinlage verbindet. Das Rezept der Concia wird in Brissago so streng gehütet wie im amerikanischen Atlanta die berühmte Formel der originalen Coca Cola. Eine weitere Besonderheit der Brissago ist der Strohhalm, der in ihr steckt. Zieht man ihn heraus, so hat die dunkle Zigarre einen idealen Rauchkanal. Schließlich aber dient der Strohhalm auch dazu, die Zigarre in Brand zu setzen - eine Zeremonie, die jeder Brissago-Raucher kennt und deren Beschreibung der Schweizer Autor Friedrich Glauser schon 1936 in seinem Kriminalroman „Wachtmeister Studer“ beschrieb: „Umständlich setzte Studer den Strohhalm in Brand, den er aus der Brissago gezogen hatte, hielt die Flamme unter das Ende derselben, wartete bis der Rauch oben herausquoll und steckte sie dann in den Mund.“
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