So bilanzierte der deutsche Publizist und Anarchist Erich Mühsam seinen Aufenthalt auf dem „Berg der Wahrheit“, den er 1904 aufsuchte. Bei den Gründern der legendären Lebensgemeinschaft auf dem Asconeser Berg wurde gesunde Ernährung tatsächlich großgeschrieben. Henri Oedenkoven, Spross eines Großindustriellen aus Antwerpen, und Ida Hofmann, eine Münchener Pianistin, erwarben 1900 den Monte Monescia von Ascona, tauften ihn kurzentschlossen in „Monte Verità“ um und gründeten mit einer Handvoll Gleich- oder Ähnlichgesinnter eine „vegetabile Cooperative“. Das reformerische Projekt wurde schnell bekannt, und bald trafen Künstler und Intellektuelle oder einfach Individualisten, die ihre bürgerliche Existenz gegen eine libertäre Bohème eintauschen wollten, in Ascona ein, um mit Zurück-zur-Natur und anderen neuen Lebensformen zu experimentieren. Freikörperkultur und Ausdruckstanz standen hoch im Kurs, manche plädierten für sexuelle Freiheit, andere versanken in spirituellem Gedankengut, und gesundes Wohnen praktizierte man am besten in sogenannten Licht-Luft-Hütten. Weltverbesserer aller Schattierungen fanden sich auf dem Monte Verità ein. Die Idee von einem radikal anderen Leben war umso attraktiver, als Europa auf einen Krieg zusteuerte. Während man in Berlin die Kriegstrompete blies, lauschte die Bohème von Ascona den Klängen der Friedensschalmei.
Die Liste illustrer Zeitgenossen, die den Monte Verità für einen kürzeren oder längeren Aufenthalt aufsuchten, ist lang. Schriftsteller wie Gerhart Hauptmann, Klabund, Else Lasker-Schüler, Friedrich Glauser und allen voran Hermann Hesse, der das Leben auf dem Berg direkt in seine Erzählung „Demian“ einfließen ließ, waren Gäste, auch Maler wie Hans Arp, Sophie Täuber, Paul Klee und Marianne von Werefkin sowie Ausdruckstänzerinnen wie Isidora Duncan und Mary Wigman. Zu den Politikern zählten Lenin, Trotzki, Stresemann, Chamberlain und Konrad Adenauer, zu den Blaublütigen der belgische König Leopold. Der Psychoanalytiker C. G. Jung besuchte den Berg, der Soziologe Max Weber, der Philosoph Ernst Bloch ... alle im Zeitraum von 20 Jahren.
Das so viel Aufsehen erregende Projekt ging nach dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Bereits 1917 - der oben zitierte Erich Mühsam hätte sich gefreut - wurde wieder Fleisch gegessen. Mit der wirtschaftlichen Rentabilität der Naturheilanstalt stand es nicht zum Besten, und schließlich verließ das Gründerpaar 1920 den Berg, um in Brasilien eine neue vegetarische Kolonie zu gründen.
Piscina: Im Schwimmbad, einst Juwel des Heydt’schen Hotelkomplexes, finden heute kulturelle Veranstaltungen statt - eine wunderbare Open-air-Bühne.
Elisarion „Chiaro nel Mondo dei Beati“: Seinen Namen verdankt der Bau Elisàr von Kupffer, einem deutschstämmigen Esten, dessen Wirken in die Zeit der ersten Siedler auf dem Monte Verità fiel. Er begründete den Klarismus, eine spirituelle Bewegung, die sich mit der Weltanschauung seines Zeitgenossen Rudolf Steiner vergleichen lässt. Daneben betätigte sich „Elisarion“, wie sich der umtriebige Mann nannte, auch als Dichter und Maler. In den 1920er Jahren zog er ins nahe Minusio, wo er für sein Rundgemälde „Chiaro nel Mondo dei Beati“ (Licht in der Welt der Seligen) ein eigenes Sanktuarium bauen ließ.
Der ruinöse Pavillon auf dem Monte Verità stammt aus dem Jahr 1987 und wurde eigens für eine Ausstellung von Elisarions Rundgemälde konzipiert. Ausstellungsmacher Harald Szeemann wollte damit die ideologische Verwandtschaft der utopistischen Kolonie mit dem Ideengut der Klaristen unterstreichen. Nach Jahren der Restaurierung soll das Elisarion 2020 wiedereröffnet werden.
Torre dell’Utopia: Wer der Beschilderung zum „Turm der Utopie“ folgt, findet am Ende des Wegs einen kleinen, aus grobem Stein gemauerten Rundturm, gekrönt von einem trafoähnlichen Häuschen mit Antenne. Bei der granitenen Wendeltreppe fehlen die untersten Stufen - kein Zutritt zu den utopischen Gefilden.
Losone
Das Dorf im Schatten Asconas wirkt auf den ersten Blick etwas zersiedelt: Losone ist gewachsen, und mittlerweile zählt man hier mehr Einwohner als im berühmten Nachbarort. Ein Dorfzentrum ist nicht auszumachen, weil Losone gleich drei Ortskerne besitzt.
Die drei Ortsteile San Lorenzo, San Rocco und San Giorgio (dieser mit einem kompakten Ortskern), jede mit eigener Pfarrkirche, sind längst zusammengewachsen.
Nicht zuletzt auch dazu beigetragen hat die touristische Entwicklung. Losone selbst ist zwar keine Destination des Fremdenverkehrs, aber der Quadratmeter ist hier billiger als in Ascona, man ist schnell in Locarno, im Hinterland lockt das Centovalli, und am Ortsrand findet man ein paar einladende Grotti.
Sehenswertes
Chiesa San Giorgio: Die Kirche des Ortsteils San Giorgio liegt am talseitigen Rand von Losone und zeigt eine rot-weiße Fassade. Im Inneren fällt erst der kühle Granitboden auf. Hinter dem Chor stößt man dann auf einen tiefer liegenden Chor mit noch gut erhaltenen Fresken. Es sind Relikte einer Vorgängerkirche, deren Fundamente man links des Altars unter den Glasplatten entdecken kann. Doch spiegelt das Glas dermaßen, dass man - wie der berühmte Narziss von Caravaggio - erst einmal sich selber sieht.
Chiesa San Rocco: Die kleine Kirche im Ortsteil San Rocco stammt aus dem 16. Jahrhundert, der dreibogige Portikus kam im 17. Jahrhundert dazu. Sie ist Rochus, dem Schutzheiligen gegen die Pest und andere Seuchen, gewidmet. Rochus soll in den Pestjahren 1576-1578 seine Hand über Losone gehalten haben. Heute gilt die Pest - wenigstens in Europa - als ausgestorben, und die Chiesa San Rocco wird für Gottesdienste nicht mehr genutzt.
Chiesa San Lorenzo: Die Kirche des Ortsteils San Lorenzo wurde mehrmals erweitert und im 18. Jahrhundert barock umgestaltet. Aus dieser Zeit datiert auch der auffällige Kreuzweg des Kirchenvorplatzes. Bei dessen Konzeption wurde das bereits bestehende Beinhaus kurzerhand als Station 3 in die Passionsgeschichte integriert.
Praktische Infos
PLZ 6616
Hin & weg Bus, problemlos mit FART-Bus Nr. 7 nach Locarno, stündlich mit FART Nr. 314 ebenfalls nach Locarno und in die andere Richtung nach Ronco sopra Ascona. Abfahrt bei der Post (gegenüber der Kirche San Lorenzo).
Übernachten San Giorgio, im Ortsteil San Giorgio. Bekannt ist das Haus vor allem für sein Restaurant (s. u.), verfügt aber auch über mehrere Zimmer. Ganzjährig geöffnet. Renovierte DZ mit Du/WC 150 CHF. Vicolo Bruglio 3, Tel. 091-7914800, www. san-giorgio-losone.ch.
Camping **** Melezza, auf halbem Weg nach Intragna, hinter der Industriezone „Zandone“. Von Locarno aus mit FART-Bus Nr. 7 erreichbar (Endstation Zandone). Ruhige Lage an der Melezza, die hier einige Flussbecken bildet. Ausreichend Schattenplätze oder man mietet sich einen der leicht futuristisch anmutenden halbrunden Mini-Bungalows aus Holz. Über 200 Stellplätze, Swimmingpool, Snackbar und gepflegte sanitäre Anlagen. Geöffnet April-Okt. Via Arbigo 88, Tel. 091-7916563, www.camping-melezza.com.
Riposo, einfaches, kleines Wiesengelände mit wenigen Schattenplätzen gegenüber den Kasernen am Ortsrand Richtung Intragna. Von Locarno aus mit FART-Bus Nr. 7 erreichbar (Haltestelle Caserma). 50 Stellplätze. Nur für Zelte, nicht für Wohnmobile. Sanitäre Anlagen okay, einladende Osteria mit Terrasse. Geöffnet April-Okt. Via Arbigo 19, Tel. 091-7921204, www.campingriposo.ch.
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