Diego hatte mir versprochen mich retten zu kommen. Mein Vater würde es ebenfalls versuchen. Aber ich konnte mich gegen den allmächtigen Cristiano nicht auf sie verlassen. Wenn ich dort wieder herauswollte, musste ich einen Weg finden. Bis dahin musste ich durchhalten.
Buchstäblich, wie es aussah. Ich hielt mich an der Tür fest, als der SUV umherrumpelte und wir die Schnellstraße verließen. Üppige grüne Berge ragten aus der dürren Wüste hervor, zeichneten sich klar gegen die dunklen Wolken ab. Ich wusste, dass sich hinter der Bergkette der Pazifik befand. Es war eine Dreifaltigkeit aus natürlicher Schönheit und es überraschte mich nicht, dass er diesen besonderen Ort gewählt hatte, um seine menschengemachte Hölle aufzubauen.
Er mochte schöne Dinge, also nahm er sie sich.
„Wird dir beim Autofahren schlecht?“, fragte er.
„Normalerweise nicht.“
„Gut. Hier wird es holperig. Die Straßen hoch zum Eingangstor sind nicht asphaltiert.“
„Sind wir schon da?“
„Die Entfernung zum Haus deines Vaters ist nicht sehr groß. Es ist das Gelände, das die Leute aufhält.“
Ich hielt mich am Türgriff fest, während wir die steinige Straße entlangfuhren. „Warum lässt du die Straße nicht machen?“
„Dann wäre es zu leicht reinzukommen.“
Oder heraus.
Mein Magen verknotete sich. Über uns wuchs ein Steinwall aus der Wüste, wie eine Festung, fasste das Land ein, das an die Bergseite grenzte.
Die Badlands.
Die Bezeichnung ergab jetzt einen Sinn. Es war schwer hineinzukommen und jeder, dem es gelang, wäre nicht in der Lage schnell zu entfliehen.
Ein leichtes Grinsen zeichnete sich auf seinen Zügen ab.
„Anhand deines Gesichtsausdrucks sehe ich, dass dir die Gerüchte zu Ohren gekommen sind. Ich habe diesen Ort zugrunde gerichtet. Beschmutzt, entehrt und die Menschen verjagt. Dass ich hier mit eiserner Faust regiere.“ Er schob seine Hand unter den Saum des langen Kleides, hoch zu meiner Wade. „Vielleicht kannst du diese Faust öffnen, Natalia. Sie von Eisen in flüssiges Quecksilber verwandeln und sie zu etwas formen, das dir gefällt. Wie deine Mutter es einst mit deinem Vater getan hat.“
Ich biss die Zähne aufeinander. „Wenn ich Diego nicht erwähnen darf, dann sollte es dir verboten sein über meine Mutter zu sprechen.“
Ich versuchte ihm mein Bein zu entziehen, doch er hielt es fest. „Ich kannte Bianca gut“, sagte er. „Sie hatte Einfluss. Und ein Rückgrat aus Stahl um an Costas Seite zu stehen. Soweit bist du noch nicht, aber es steckt auch in dir.“
„Sie wäre entsetzt über das, was aus dir geworden ist. Wie du Frauen behandelst. Und über was auch immer du mit mir vorhast.“
Röte stieg an seinem Hals empor und er sah weg. Ich zog meine Beine von seinem Schoß und die Knie an meine Brust. Ich schlang die Arme darum und wir holperten auf die eisernen Tore zu, die um einiges größer als die Männer waren, die sie bewachten.
Stille legte sich zwischen uns, als die Reifen knirschend über den staubigen Boden fuhren und Steine gegen den Unterboden des Autos schleuderten. Es sah so aus, als ob das alles war, was er über meine Mutter einräumte. Oder die brutalen Zustände, die vor uns lagen. Ich würde noch schnell genug herausfinden was daran wahr war und was nicht. Aber wo gehobelt wurde, fielen auch Späne. Ich konnte die Mauern und Tore selbst sehen. Sie versteckten Geheimnisse und Menschen. Und in dieser Welt konnte das nichts Guten verheißen.
Wenn er dachte, ich würde jemals Toleranz entwickeln, Menschen wie Handelsware zu behandeln, wenn er dachte, dass meine Mutter so etwas für mich gewollt hätte, dann war er nicht ganz richtig im Kopf.
Wir hielten vor dem Tor an. Die Mauern waren so dick, dass man Checkpoints darin eingerichtet hatte. Als würde man eine Grenze passieren. Männer mit Maschinengewehren und Klemmbrettern traten heraus, als sich die Tore nach innen öffneten.
Mein Sichtfeld wurde von einem Laster mit laufendem Motor verdeckt. Ich reckte den Hals, als wir daran vorbeifuhren. Männer sprangen hinten von der Ladefläche und zogen die Klappe herunter, als ich Leute darin erspähte.
Wer waren sie? Kamen sie gerade an, oder wurden sie irgendwo hingebracht? Ich musste unbedingt fragen. Aber was fing ich dann mit der Antwort an? Ich war genauso gefangen wie sie. Ich drückte mir die Beine noch fester an die Brust und holte tief Luft, um mein rasendes Herz zu beruhigen, als wir hineinfuhren. Die Pforten der Hölle hatte Tepic es genannt.
Um mich geistig vorzubereiten, schloss ich die Augen und stellte mir das Schlimmste vor. Eine Geisterstadt mit verbrannter Erde. Patrouillen mit AR-15 Gewehren, die damit Bettler und Prostituierte vorantrieben, schwere Ketten die Ausgänge und Menschen verhängten. Bordelle und leer stehende Ladengeschäfte, Lagerhäuser voll mit Waffen und Drogenlaboren. Flüchtige, die es nicht geschafft hatten, die zur Abschreckung aufgeknüpft von Bäumen baumelten.
Mittelalterlich, aber effektiv.
Als meine Neugier zu groß wurde, öffnete ich die Augen und ich sah durch die Windschutzscheibe hinaus.
Mir das Allerschlimmste vorzustellen war zwecklos gewesen.
Nichts hätte mich auf das vorbereiten können.
Natalia
Es hätte die Hauptstraße von irgendeinem wohlhabenden Ort sein können. Saubere und instandgehaltene Gebäude lagen vor uns, überragt von dem hohen Berg, der die Badlands beschattet hätte, wäre Sonnenschein gewesen. Das hier war keine Geisterstadt. Was immer das Calavera Kartell mit den Leuten, die hier einst wohnten, angestellt hatte, die Struktur und die Häuser hatten es nicht nur unbeschadet überstanden, sie sahen sogar aus, als wären sie noch nie besser gepflegt gewesen. Die roten Ziegelsteinfassaden strahlten, die weiß verputzten Wände waren sauber, und im Asphalt war nicht ein Riss sichtbar.
Der Ort war in einem besseren Zustand, als der, aus dem ich stammte.
Nicht länger hüpfend und schwankend begann sich der Wagen langsam auf der Straße in die Badlands zu bewegen, die sich von Schlaglöchern und Steinen in asphaltierte Straßen und Kopfsteinpflasterwege verwandelt hatte. Wir fuhren eine breite Hauptstraße entlang, die von Geschäften gesäumt wurde und sich von den Toren bis zum Fuß des Berges erstreckte.
Ich hob das Kinn von meinen Knien und ließ die Beine los, um näher ans Fenster zu rutschen. Obwohl die Mauern hoch waren, war der Ort so groß, dass ich nicht sehen konnte, wo er anfing oder aufhörte. Unter uns lag das Meer, verspottete die Gefangenen mit salziger Luft und dem Versprechen auf einen Horizont, den sie nicht sehen konnten. Ich fragte mich, ob irgendwer jemals versucht hatte auf diesem Weg zu entkommen und wie weit sie wohl gekommen waren.
Zwei junge Mädchen in T-Shirts und Shorts standen unter dem Vordach eines Delikatessenladens und sahen zu wie wir vorbeifuhren. In den Händen hielten sie Plastikeinkaufstaschen und unter den Armen hatten sie Regenschirme geklemmt.
Man hatte sie der Freiheit beraubt, aber immerhin waren sie trocken, dachte ich sarkastisch. Männer auf Pferden ritten zur Seite, nickten uns zu. Eine Gruppe Frauen mit Obstkörben auf den Schultern stand zusammen und eine schubste eine andere an die Schulter, als wir vorbeifuhren.
Der Regen begann zu fallen und hörte wieder auf. Kaum einer der Passanten hielt nicht an, um uns anzustarren, als wir uns den grünen Bergausläufern näherten, die dicht bewaldet waren. Ich hatte keine Ahnung was ich von dem, was ich gesehen hatte, halten sollte. Verwirrt und ein bisschen schwindelig lehnte ich mich auf dem Rücksitz an.
„Mehr, als man auf Anhieb aufnehmen kann?“ Cristiano ließ die Trennscheibe herunterfahren. Wolken verdunkelten den Himmel aber der Fahrer schaltete die Scheibenwischer aus, als kaum noch Regen fiel. „Du kannst das Haus da vorn sehen“, sagte Cristiano.
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