1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 Peter Aufschnaiters Freunde vom AAVM Paul Bauer und Eugen Allwein hatten ihre jeweilige Hochschulausbildung stringenter durchgezogen als ihr österreichischer Freund. Allwein promovierte 1925 nach nur dreijährigem Studium zum Dr. med. und trat dann eine Stelle als Assistenzarzt an. Paul Bauer wird in der auf 15. November 1925 datierten Mitgliederliste des AAVM als Assessor und Syndikus geführt. Ihre berufliche Tätigkeit scheint den bergsteigerischen Tatendrang nicht beeinträchtigt zu haben. Denn beide lieferten für die Jahre 1926 und 1927 opulente Tourenberichte ab mit namhaften Touren in den Ost- und Westalpen, darunter zahlreiche Erstbegehungen. Und sie waren keine Einzelfälle im AAVM! Kein Wunder, dass der kleine Eliteverein in alpinen Kreisen als ausgezeichnete Adresse galt. Nicht ohne Stolz berichtete der Erste Vorstand des Vereins, Karl Wien, in seinem Überblick über die Jahre 1926 und 1927: „Als äußeren Ausdruck dafür, dass der AAVM nach wie vor eine angemessene Stellung im alpinen Leben einnimmt, dürfen wir es wohl betrachten, wenn der Hauptausschuss des DuÖAV unserm A. H. Hans Pfann die Leitung seiner Bolivien-Expedition im Jahre 1928 übertragen hat und zwei der jüngeren AAVMler, Dr. Eugen Allwein und Karl Wien, zur Beteiligung an der Pamir-Expedition 1928 ausersehen hat.“ 27
Pik-Lenin-Erstbesteiger Allwein 1927 auf der Alai-Pamir-Expedition .
Bei dem von Karl Wien angesprochenen Unternehmen handelte es sich um die von der Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaft, dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein und der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion gemeinsam organisierten Alai-Pamir-Expedition. Dazu wurden nicht weniger als 66 Teilnehmer, zwei Flugzeuge, 60 Kamele, eine große Anzahl wechselnder Träger sowie militärische Begleitmannschaft aufgeboten. Leiter des Unternehmens war der aus Bremen stammende Reeder und Forschungsreisende Willy Rickmer Rickmers. Chef der vier beteiligten Bergsteiger war der ebenfalls bremische Regierungsrat Dr. Philipp Borchers; zusammen mit Allwein und Wien gehörte noch der aus Hall in Tirol stammende Bergbaustudent Erwin Schneider zu der kleinen Gruppe. 28
Dem ungemein tatkräftigen Team gelang es, neben zahlreichen Fünftausendern auch acht schöne Sechstausender zum ersten Mal zu besteigen. Nach mehr als drei Monaten in der dünnen Luft des Hochlandes gingen Schneider, Wien und Allwein den in der Hauptkette des Transalai liegenden Pik Lenin an. In nur vier Tagen erreichten sie vom Standlager im Sauk-Sai-Tal den 7134 Meter hohen Gipfel, den damals höchsten bestiegenen Berg der Welt. Vom Hochlager auf 5700 Meter hatten die drei gerade sieben Stunden gebraucht. Lange Zeit stellten sowjetische Alpinisten die Erstbesteigung in Frage. Die letzten Zweifel zerstreute erst Jahrzehnte später der Österreicher Erich Vanis, als er das von Eugen Allwein auf dem Gipfel hinterlassene Brillenetui zurück ins Tal brachte.
Währenddessen hatten weitere Mitglieder des AAVM in den Bergen der Welt ihre Spuren hinterlassen. Im Sommer 1928 war ein kleiner Stoßtrupp der Münchner Akademiker unter der Führung von Bauer, der sich am Berg gern per „Hauptmann“ ansprechen ließ, in den Kaukasus vorgedrungen. Heinz Tillmann, dem bergsteigerisch Leistungsfähigsten der Mannschaft, widerstrebte die militärische Art Bauers, der sich laut Tillmann zu Aussagen hinreißen ließ wie : „Ein Kapitän auf hoher See hat das Recht, einen Matrosen, der einen Befehl verweigert, zu erschießen. Das gleiche Recht müsste ein Expeditionsleiter haben.“ Ob diese Verlautbarung auch einen gepfefferten Schuss augenzwinkernder Provokation enthielt, können wir heute nicht mehr feststellen. Unstrittig dürfte aber sein, dass Bauer die bedingungslose Unterordnung der Expeditionsmitglieder unter seinen Willen einforderte. 29Trotz der Dissonanzen im Team gelang den AAVMlern die Besteigung einer Reihe von Vier- und Fünftausendern. Höhepunkt war ein Versuch an der Südkante des 5198 Meter hohen Dychtau durch Paul Bauer, Ernst Beigel, Hans Niesner und Heinz Tillmann vom 21. bis 25. Juli 1928, der 80 Meter unter dem Gipfel im Schneesturm scheiterte.
Nach diesen sensationellen Erfolgen fühlten sich die Münchner Akademiker bereit, es auch mit den höchsten Bergen der Welt aufzunehmen, und beschlossen, einen „Vorstoß“ in den Himalaya zu unternehmen. Dass auch Peter Aufschnaiter zur Mannschaft gehörte, war nicht ganz selbstverständlich. Erstens war er bergsteigerisch nie durch Leistungen aufgefallen, die jenen der anderen Expeditionsanwärter nur annähernd ebenbürtig waren; und an Eiserfahrung fehlte es ihm gänzlich. Zweitens hatte Peter Aufschnaiter noch am 26. März 1929 beim amerikanischen Generalkonsulat in München einen Registrierungsantrag für amerikanische Einwanderungs-Visumserteilung gestellt. Der Antragsteller gibt an, dass seine Eltern die Überfahrt bezahlen würden, und beantwortet die Frage „Ist in den Vereinigten Staaten bereits Arbeit gesichert?“ mit Nein. Außerdem gibt Aufschnaiter an, in den letzten fünf Jahren mit dem Studium der Landwirtschaft an der Technischen Hochschule beschäftigt gewesen zu sein, was seine Tätigkeit während der zwei Jahre zwischen dem Abschluss des Studiums im März 1927 bis zur Antragsstellung für das Einwanderungsvisum eher unzureichend beschreibt. 30
Wir wissen nicht, ob der Antrag abgelehnt wurde und Peter Aufschnaiter mangels besserer Alternativen in den Himalaya mitgefahren ist oder ob ihn Paul Bauer wegen Aufschnaiters hervorragenden Kenntnissen des Englischen und seiner Kommunikationsfähigkeit in einigen orientalischen Sprachen zur Teilnahme an der Expedition überredet hatte. Wir wissen aber mit Sicherheit, dass die von Paul Bauer initiierte Reise nach Indien und Sikkim im Leben Peter Aufschnaiters eine entscheidende Wende einleitete.
1Otto Zimmeter: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie …, Deutsche Alpenzeitung 10/1926, S. 306–309, 307.
2Technische Hochschule München, Programm 1921, 1922, München 1921, S. 130.
3Ebd.
4Vgl. Akademischer Alpenverein München, Bericht über das 29. Vereinsjahr 1920/21, 12, München 1923.
5DAV-Sektion Bayerland, Chronik Bayerlands 1933–1945, S. 265, Mitgliederliste des A.A.V.M. 1934.
6Vgl. Akademischer Alpenverein München, Bericht über das 27. Vereinsjahr 1918/19, München 1920, S. 90.
7Vgl. Akademischer Alpenverein München, Bericht über das 23.–26. Vereinsjahr 1914–1918, München 1919,31/32 sowie XXI. Jahresbericht 1912/13, S. 22–39.
8Akademischer Alpenverein München, Bericht über das 27. Vereinsjahr 1918/19, München 1920, S. 86.
9Zitiert nach Herbert Kadner (…): Jahresbericht des A.A.V.M. 1921/22, S. 3.
10Ebd., S. 12.
11Ebd.
12Paul Bauer: Im Kampf um den Himalaja, München 1931, S. 7 f.
13Paul Bauer: Vorläufiger Bericht über die Himalaja-Expedition, Jahresbericht des A.A.V.M. 1928/29, S. 12.
14Vgl. Schreiben Paul Bauers an den Reichssportführer von Tschammer und Osten vom 10. 12. 1934, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München.
15Vgl. Schreiben von Paul Bauer an Staatsanwalt Heinrich Lieberich vom 21. 05. 1919, Personenakte Otto Herzog, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München, Signatur 03.02.2001.0001.
16Fritz März: Vermerke für Zebhauser über Gespräch mit Dr. Heinz Tillmann am 3. Juni 1997 und Gespräch mit Dr. Eugen Allwein ebenfalls am 3. Juni 1997, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München, Signatur Zeb, Sm1.
17Fritz Rigele: 50 Jahre Bergsteiger, Berlin-Wilmersdorf, 1935, S. 180 f.
18Ebd., S. 326.
19Vgl. ebd., S. 330–336.
20Vgl. Jahresbericht des A.A.V.M. 1924/25, S. 32.
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