»So ist der Traktat über den Hedonismus gar nicht von Euch?«
»Nein, bedaure …«, sagte Volpi. »Und Tomaso schrieb zudem die Traktate über das Glück, über die Spektren und den Witz. Aber von mir sind das Botanologicon und die Traktate über die Zahlen, die Blumen, den Urin und die Heuschrecken.«
»Ach? De urinis … Das schätze ich sehr!«, sagte Bartholdi, und seine Augen leuchteten.
Volpis Lächeln war wie ein flüchtiger Sonnenstrahl, der durchs Gewölk stach.
»Lasst mich in eurem Harn lesen, und ich sage Euch, ob Ihr den Steinschneider braucht …«
Bartholdi schüttelte sich leicht pikiert und sagte:
» Über die Heuschrecken ? … Davon habe ich noch nie gehört!«
»Diese Abhandlung ist auch noch ungedruckt«, sagte Volpi. »Vielleicht bleibt sie’s sogar … Ich habe darin Regio-Albanus angegriffen, der ein zwölftes Stück von Aristophanes entdeckt haben will – eben Die Heuschrecken –, das doch offenkundig von ihm selbst stammt … Ich für meinen Teil lehrte bis vor einem halben Jahr in Padua die Rechte. Zudem Logik, Kasuistik und Naturlehre, vor allem Medizin und Botanik.«
Bartholdi gluckste erstaunt.
»Was verschlägt Euch dann hierher? Mit Logik oder Kasuistik ist in Goslar kein Brot zu verdienen. Nennt mir etwas, das weniger mit Logik zu tun hätte, als die Ratschlüsse des Goslarer Rates, und ich trete Euch sofort meine gut dotierte Stelle ab! Und wie wollt Ihr in einer Stadt wie dieser je die Morallehre kasuistisch auf den Einzelfall anwenden, wo Moral den Hiesigen so gänzlich abhold ist? Für die Bergwerke seid ihr zu groß, und um die Rechte schwirren Syndici wie Schmeißfliegen. Wir können uns nicht retten vor Rechtsverdrehern! Botanik und Medizin … Das wär zwar auch kein lohnendes Gewerbe für Euch hier, doch zwei interessierte Gesprächspartner hättet Ihr. Otto Herbst, der Feuerhüter des Rammelsberges, ist ganz verrückt nach der Botanik. Ihm gehört der schönste Garten weit und breit, drüben am Steinberg, gleich neben der Kupferhütte seines Bruders Hans …Und auch Damian Baader, unser Medikus und Stadtchirurgus, zöge sicher gerne Gewinn aus einem Gedankenaustausch mit Euch. Er hat in Paris studiert, bei Winter von Andernach.«
Bartholdi hielt inne und besann sich. Dieser Volpi hatte Hanno als Fürsprech. Aber bevor er einen Gelehrten auf die Stadt losließ, musste er doch wissen, wie es um dessen Liquidität bestellt war? Davon hinge schließlich auch ab, wen man um Beherbergung bitten könnte …
»Woher habt Ihr das Geld, in unserer armen, aber teuren Stadt Quartier zu nehmen? Jetzt dämmert mir’s: Ihr seid gar kein Magister, sondern ein Kaufmann, der aus unserer Misere Kapital schlagen will! Billig einkaufen wollt Ihr hier, wo alles die Abzucht runtergeht, gebt’s zu! Da denkt Ihr, man könnte uns jeden Preis nennen, für Tuche, für Silber, für Kupfer … Wir müssten ja doch akzeptieren. Wenn Ihr Euch da mal nur nicht täuscht! Es stimmt zwar, dass der Handel Einbußen erlitten hat. Und er wird zweifellos durch den Herzog noch weitere erleiden … Aber all die Kaufleute, die bis heute durchhielten, werden auch die stärkste Krise, die noch kommen mag, überstehen!«
Der Kleine hatte sich kampfeslustig in die Brust geworfen. Volpi schüttelte belustigt den Kopf. »Kein Gedanke an Handel, ich darf Euch beruhigen. Für mein Auskommen sorgt der Hauptmäzen des Botanischen Gartens in Padua, dem sehr an meinem Wohlergehen und an meinem Auftrage gelegen ist. Er will mich heil wiedersehen mit all meinen Sämereien, denn ich soll ihm in Padua einen deutschen Garten anlegen. Das ist der Hauptgrund meiner Reise durch die nördlichen Provinzen Germaniens … ich meine Euer schönes, wildes, heiliges deutschrömisches Reich … Ich sammele auch Pflanzenbeschreibungen und sende alles an botanischen Büchern, was ich irgend kriegen kann, meinem Herrn. Außerdem … wünscht er, Bartholomeo von Bacchiglione, für seine Gemahlin, die schöne Monika … ein längeres … Gedicht …«
Er stockte. Bartholdi bemerkte, wie Volpis Adamsapfel eine Berg- und Talfahrt am feinen Hals vollführte …
»… über Goslar, denn sie wurde in dieser wunderschönen Stadt geboren und wuchs hier auf. Das wird die meiste Zeit meines Aufenthalts in Anspruch nehmen.«
Im Grunde schätzte Volpi, wenn er ehrlich war und die Hartnäckigkeit seiner Schreibhemmung in Rechnung stellte, dass es ein Aufenthalt für immer werden würde …
»Monika von Bacchi… Bacchiglione?«, fragte Bartholdi. »Aus Goslar?«
Volpi reichte als Erklärung nach: »Ihr Geburtsname ist Borngräber, ihr Vater Gerhard hat das Glockengießen beim großen Henrich Schellhorn gelernt.«
Bartholdi merkte auf:
»Ist sie eine Schwester des Buchdruckers? Der letztes Jahr mit 54 gestorben sein soll, in Köln?«
Volpi zuckte die Achseln: »Sie ist auch schon über Fünfzig. Ich weiß nur, dass ihre Mutter Gundel Borngräber, geborene Schellhorn war und nach der Geburt ihres dritten Kindes dreißigjährig am Kindbettfieber starb. Monika kam mit ihrem Vater und einem ihrer beiden Brüder nach Rom. In der ewigen Stadt lernte sie Bartholomeo von Bacchiglione kennen. Da sie seither die Sehnsucht nach der Stadt, in der sie ihre Jugendjahre verbrachte, in ihrem Herzen trägt, soll ich zu ihrer Erbauung das alte Goslar in einem Poem wiedererstehen lassen.«
Bartholdi lachte. »Eine schöne Aufgabe. Ich wünsche Euch die nötige Muße zu einem solch ehrbaren Unterfangen! Bei der Gelegenheit könnt Ihr all das, was inzwischen nicht mehr steht, wieder aufbauen – das Bergdorf, das Kloster Sankt Peter und das Georgenkloster, die Reepervorstadt und die Grabeskirche.«
Bartholdis Lächeln wurde hämisch. Ein Poem über Goslar? Der Arme, da wollte er nicht mit ihm tauschen … Auch die Großen hatten es nicht leicht. Beruhigend und erhebend zu wissen.
»Ich brauche also eine Bleibe für eine gewisse Frist …«, sagte Volpi. »Eine Unterkunft, in der ich einigermaßen ungestört meinen Gedanken nachhängen und dichten kann. Wenn’s geht mit Zugang zu einer Bibliothek wie der Euren.Wie könnte ich je ohne die Bücher sein, ohne die Lichter in meiner Einsamkeit? Gibt es einen belesenen gastfreien Mann am Ort, der bereit ist, mich ab und an mit einem Buch zu unterstützten? Und wenn’s nur etwas Livius wäre … Meiner Heimatstadt größter Sohn, vor mir … Ich vermisse seine Römische Geschichte über die Maßen, auch wenn ich das meiste auswendig kann …«
Er lachte und war froh, dass Bartholdi einstimmte. Niemand lernte auch nur eines der 142 Bücher Ab urbe condita von Titus Livius auswendig … Bartholdi hatte eine Entscheidung getroffen. Und sie war ihm, wie es aussah, am Ende gar nicht schwer gefallen …
»Ich schicke Euch zu meinem guten Freund und Worthgildebruder Daniel Jobst ins Unruh-Haus.«
»Unruhe ist nicht gerade das, was ich suche …«, wandte Volpi ein.
Bartholdi lächelte. »Das Haus ist bloß nach dem Erbauer so genannt, Jobsts Oheim: Unruh! Es steht zwar an der lautesten Mühle, der Daniel- oder Kehlmannmühle, an der Ecke von Abzucht und Unterer Mühlenstraße, aber es hat dicke Mauern. Jobsts Bibliothek ist weit besser ausgestattet, als meine hier … Er sitzt schon seit 25 Jahren im Rat. Wenn es eine erste Adresse für Euch gibt, Magister Volpi, dann ist es die! Ich werde später einmal kommen und nachsehen, ob meine Wahl für Euch die richtige war …«
Von der Breite seines Grinsens her schien sich Bartholdi seiner Sache jetzt sehr sicher zu sein.
» Doktor Volpi, wenn ich bitten darf!«
Bartholdi nickte eilfertig und verlachte zuinnerst die Eitelkeit der Gelehrten. Von ihm aus auch Doktor …. Gelehrter hin, Gelehrter her – Gelehrter fort war jetzt am besten. Ein neuer Stoß Akten vom Reichskammergericht war gekommen … Dutzende von Mappen, vollgestopft mit beschriebenem Papier, ein heilloses Chaos, Kraut und Rüben … Aus reiner Schikane hatten herzogliche Schergen irgendwo auf dem weiten Weg von Speyer nach Goslar die Sendung durchwühlt. Er, Bartholdi, musste das viele Papier wieder ordnen, die Schriftstücke in Registern erfassen, Blatt für Blatt auffindbar ablegen. Wozu das alles? Das wusste keiner mehr. Der Rechtsstreit war seit Langem bloß ein Klumpfuß für die Verwaltung. Der Streit um den Rammelsberg hatte eine Abraumhalde an beschriebenem Papier hervorgebracht. In Bartholdis Träumen brannte es unentwegt. Das Ratsarchiv in hellen Flammen – das wäre seine Erlösung! Doch es müsste gewissermaßen ein selektiver Brand sein, einer, der nur die nervtötenden Akten dieses unseligen Bergprozesses erfassen, das übrige Archiv und die Bücher aber unangetastet lassen würde … Andererseits … oh nein! Er liebte seine Arbeit ja doch! Was sollte er ohne die Akten tun? Es war schon kurios, dachte er im Fortwackeln, welch unauflösliche Widersprüche das Leben bereithielt.
Читать дальше