»Lupa?«, fragte Volpi schwach.
»Hört«, sagte Baader, »was Euricius Cordus über sie schrieb!«, und er rezitierte:
Wann immer du, Lupa, mir dich zeigst in deiner Pracht, stellst all deinen Schmuck am Leib du zur Schau! Haarband, Stirnreif, Brusttuch, Goldgehänge und Gürtel, am Hals ein Geschmeide und an den Fingern Ringe, Amethyst, Karneol, Saphir, Rubin, Opal und Chrysopras … Deine großen Brüste regen sich unterm Busentuch. Aus Frankreich ein Schleier umzaubert dein volles Haar. Wie du mich all das leise lächelnd gering schätzen siehst, sagst du: „Solche Kleinode besitzt sie nicht, deine Frau!“ Das gebe ich dir zu … Doch hat sie auch einen Mann nur, die Ärmste, und diesem allein will sie gefallen.
Volpi hatte wohl zugehört und registrierte das beifällige Lachen der Anwesenden. Doch im Augenblick war er mit den Gedanken woanders.
»Die Türen waren zu. Die beiden wollten nicht gestört werden. Ob sie sich den Trank beschafft oder selbst bereitet hatten, wer weiß? … Möglicherweise wollten sie sich gar umbringen …«
»Durch Gift oder durch Feuer? Oder durch beides in Verbindung?«, fragte Bader, und es klang leicht höhnisch. »Bevor man so viel vermutet, ist tatsächlich erst einmal der Giftnachweis gefordert.« Er trat gebieterisch vor die Liegenden. »Darf ich den Herren die Proben abverlangen, damit wir sie Johann Kohler schicken können, dem Apotheker, dem alten Lurch? Er hat Euer Buch sicher, Herr Volpi, aber für alle Fälle solltet Ihr mir die Prozedur noch einmal diktieren … am besten lateinisch, das mag er besonders!«
Sie folgten Baaders vernünftigen Worten. Auf dem Weg in ein freundlicheres Zimmer mit einer richtigen Bettstatt machten die wiedererweckten Toten auf dem Necessarium Station, um ihr flüssiges Zeugnis abzulegen. Ein Bote mit zwei warmen Tonflaschen wurde zur Ratsapotheke in die Marktstraße geschickt. Jobst, Baader und die anderen leisteten Volpi und Bartholdi im Krankenzimmer weiter Gesellschaft, trinkend.
»Wenn man nur wüsste, wer das war, neben ihr …«, fragte Baader, und alle nickten, denn diese Frage beschäftigte sie zuinnerst schon die ganze Zeit.
»Ach … da habe ich, glaube ich, etwas, das Euch helfen wird, ihn zu erkennen …«, murmelte Volpi und kramte in den geräucherten Innereien seines Wamses.
Seine rechte Handfläche war noch immer stark gerötet. Als er im brennenden Haus zugegriffen hatte, war er scheint’s durch die Wirkung des Stechapfels gegen Schmerz gefeit gewesen … Jetzt zog er einen goldenen Ring hervor.
»Den konnte ich erhaschen, bevor die Verkohlten den Abgang machten. Er gehörte dem Liebhaber.«
Das Wappen zeigte drei Blätter neben der Hälfte eines angedeuteten Baumes.
»Otto Herbst«, entfuhr es Baader, Bartholdi, Jobst und den anderen fast unisono, als sie es sahen.
»Der Feuerhüter des Rammelsberges!«, sagte Bartholdi.
Volpi erinnerte sich dunkel der Bartholdi’schen Worte über die weitere Liebhaberei dieses Herrn.
»Wie tragisch! Was wird jetzt aus seinem Garten?« fragte er, und verstand nicht, warum ihn jeder missbilligend betrachtete und alle dem Bier noch vehementer zusprachen. Die Mägde kamen kaum nach mit dem Heranschleppen der Schleifkannen. Das war nur noch ein Trinken und Kopfschütteln, allseitiges Schwenken der ohnehin schon schweren Häupter und Becher …
»Tragisch!«, ächzte der Bergmeister Adener, selbst die Tragödie in Person. »Ohne Otto Herbst wird es im Berg wieder Katastrophen geben! … Auch wenn ich ihn oft auf einen seiner Schränke gewünscht habe …«
»Feuer im Berg? Feuerhüter? Schränke?«, fragte Volpi und wandte sich, da keiner die Kranken weiter beachtete, an Bartholdi. »Das Feuersetzen ist, wenn ich Cordus’ Schrift recht entsinne, wichtig für den hiesigen Erzabbau …«
»Ja«, bestätigte ihm sein Bettnachbar. »Man setzt Holzstöße oder Schränke unter die Firste und brennt sie ab, bis das Hangende herunterkommt. Das Feuer zermürbt den Fels und lässt das Erz von der Decke fallen.«
»Ist das sehr gefährlich?«
»Es geht so …« Bartholdi lächelte gequält und rieb sich das Bein. »Es hat mich mal erwischt, das Erz, als es herunterkam. Das war der Unfall, von dem ich dir schon erzählt habe. Der Feuerhüter hat eine der verantwortungsvollsten Aufgaben im ganzen Bergbau. Er beaufsichtigt die Feuerknappen beim Setzen der Schränke oder Holzstöße, er zündet sie an, beaufsichtigt den Brand und entwettert die Feuerörter und Stollen.«
»Entwettert?«, fragte Volpi.
Der Bergmeister hatte zugehört und schaltete sich ein:
»Ja, denn er allein weiß immer genau – wenn er denn sein Handwerk von der Pike auf versteht –, welche Entlüftungswege es an jeder Stelle im Berg gibt! Der Feuerhüter öffnet oder schließt demzufolge stets die richtigen Wettertüren, bevor die gesetzten Schränke angesteckt werden. Wenn er Fehler macht, können ganze Trupps von Hauern ersticken. Schlimm besonders nach dem Feuersetzen, wenn die Stickgase in toten, ungelüfteten Stollen oder Schrägschächten stehen, und die ahnungslosen Bergleute im Vertrauen auf gute Wetter wieder einfahren …«
Henning Adeners Stimme klang unheilvoll, und der kleine, untersetzte Mann schwankte wie eine Pappel im Wind: »Herbsts Erfahrung ist nicht zu ersetzen! Sein Gehilfe, Veit Warbeck, wird hart kämpfen müssen, aber es doch nicht allein bewältigen … Herbst hätte ihn noch über Jahre unterrichten müssen …«
Wie tragisch und wie komisch, dachte Volpi: Feuerhüter zu sein und durch einen Kaminbrand neben jener Frau zu sterben, für die man freventlich entflammt ist …«
»Wer überbringt Herbsts Gattin diese Hiobsbotschaft und den Ring?«, fragte Jobst trübselig.
Er blickte flehentlich zum Bergmeister. Aber Adener wehrte ab, sturmbewegt in den Morgen hinausfliegend.
Ratsapotheker Kohler hatte sich der kniffligen Aufgabe dankbar angenommen. Das Humanistenlatein des Probenrezepts war ihm Ansporn genug gewesen. Nachdem er den Inhalt der Urinflaschen eingedampft hatte, untersuchte er den Rückstand in der von Volpi beschriebenen Weise: Für diesen Nachweis ist es nicht weiter nötig, den Harn zu reinigen, hieß es in de urinis. Und weiter: Das beim Absieden zurückbleibende Salz ergibt in der Spiritusflamme eine blaue Farbe. Das ist das Salz in der Probe. Man mische ein Gran des Salzes oder ein entsprechendes Quantum zu gleichen Teilen mit Bärlapp- oder DrudenfußSporen (mit diesem Hexenmehl betreiben die Feuerspucker ihre Künste): Leuchtet die Flamme jetzt gelblich, ist die Probe rein. Schwarzer Rauch aber bedeutet Gift.
Kohler hatte nickend das New Kreutterbuch zu Rate gezogen und auch Volpis treffliche Beschreibung des Stechapfels im Botanologicon nochmals überflogen: Der Stechapfel, dessen pflaumengroße Frucht wie ein kleiner Morgenstern aussieht, enthält reichlich Gift, vor allem in den getrockneten Samen. Denn zu ihrem Schutze vorm Verzehr durch Tiere ist dieses in der Natur gut. Am grasbestandenen feuchten Waldhang, wo das Tageslicht gedämpft oder gar nicht auftrifft, fühlt sich die Pflanze am wohlsten. Oft steht sie dort in Ringen und kann von einem, der sich nicht auskennt, von der Blattform her für eine Kürbis- oder Gurken-Art genommen werden. Die weißen länglichen Blüten jedoch sollten jeden alarmieren, denn sie sehen aus wie die Posaunen von Jericho. Die stacheligen Nüsse stehen oben mittig auf den Astkreuzen und ähneln den Hüllen der wohlschmeckenden Esskastanie. Doch die Stacheln an diesen Schutzkapseln der Samen stechen sehr unangenehm und machen ein Pflücken nur schwer möglich. Dies möge jedem aufmerksamen Wissenden die Gefahr rechtzeitig anzeigen. Der Stechapfel wird höchstens knie-, hüft- oder schulterhoch und ist kein Baum, im Übrigen einjährig. Nicht selten fressen Weidetiere, Schweine und Schafe und Kühe, die man unbewacht gelassen, in ihrer Blödigkeit Stechäpfel beim Grasrupfen mit auf und verzucken daher reihenweis tot auf dem Boden. Das Fleisch vergifteter Tiere muss unbedingt vor dem Verzehr ausgiebig gekocht oder geräuchert werden!
Читать дальше