Wir gingen in den Garten zurück und sahen einen weiteren Zombie auf dem oberen Rundgang des Turms, der umherrannte und gelegentlich über das Geländer schaute, hektisch mit den Armen rudernd und schrilles Geschwafel brüllend. Dieser Typ war jung. Es musste eines der Kinder sein. Ich drehte mich zu Robert um.
»Da raufzugehen und ihn zu erledigen wird bestimmt nicht lustig. Besteht eine Chance, ihn einfach da oben zu lassen?«
»Da liegst du richtig – und nein. Warte eine Sekunde und lass uns erst einmal schauen.«
Die Kreatur setzte ihre unkontrollierten Bewegungen um den Gehweg fort, kam aber immer wieder zurück, um sich hinüberzulehnen und uns anzubrüllen. Roberts Augen ließen nicht eine Sekunde von dem Ding ab und er nahm Haltung zum Feuern ein, fast wie ein Samurai, der sich bereit machte, sein Schwert zu ziehen. Er hielt seine Glock mit beiden Händen nach unten.
»Warte einfach ab, er wird sich schon zeigen.«
Nach etwa einer halben Minute blieb der Zombie keuchend stehen und schaute uns wieder über das Geländer hinweg an. In einer flüssigen Bewegung hob Robert die Arme, zielte und feuerte. Aus dieser Entfernung sah es wie eine Staubwolke aus, die an seinem Hinterkopf explodierte. Er fiel auf das Deck.
»Ich hab dich schon schießen sehen, aber … Teufel, Robert. Das war ein höllisch guter, olympiareifer Schuss!«
»Danke. Hoffen wir, dass nur noch einer übrig ist, aber wir dürfen das Personal nicht vergessen, Bedienstete …«
»Dienstmädchen, ja, weiß ich. Was denkst du? Zum Turm jetzt?«
Ich wurde langsam aufgeregt.
»Nach der Art und Weise, wie Papa Orca reagiert hat, sollten wir uns lieber den Rücken freihalten und immer schön umsehen.«
Es gab zwei relativ kleine Nebengebäude, auch weiß gestrichen mit roten Dächern. Das Erste stand gut zwanzig Meter vom Haupthaus entfernt und sah nach einem Lager für Gerätschaften aus. Es war nicht schlecht, dass das Gebäude Fenster auf allen Seiten hatte, also wussten wir, dass es sicher war, als wir die Tür öffneten. Wie erwartet, sahen wir einen Rasenmäher, Trimmer, Schläuche, Harken, und alles, was dazugehörte. In einer Ecke war ein Schreibtisch mit ein paar Fotos darauf und ein Kalender, der den Monat Mai anzeigte. Es kann gar nicht Mai sein. Ist es nicht mittlerweile Juni? Welchen Tag haben wir überhaupt? Ich schätzte, es war inzwischen eigentlich auch egal geworden.
Das andere Gebäude war weiter entfernt, vielleicht hundert Meter. Ein kleines Fenster ließ vermuten, dass es auch leer war, aber wir mussten rein und auf Nummer sicher gehen.
»Ja ja, Robert, ich weiß … ich nehme den Zombie.«
»Falls es einen gibt.«
Da waren wir wieder: Robert als Türöffner, ich als Köder. Dieses Mal stürmte nichts heraus. Nach einer Minute ging ich näher. Mit nur etwas Licht von dem Fenster war es innen sehr dämmrig. Ich schob mich zur offenen Tür. Ein paar große Gegenstände blockierten die Sicht. Ich machte einen Schritt in den Raum und es wurde schlagartig laut. Ich schrie und war nur eine Nanosekunde davon entfernt, mit der Mossberg loszulegen, als eine kleine Stimme in meinem Kopf sagte: Das ist kein Zombie, du Idiot! Wie gut, dass ich auf die kleine Stimme gehört hatte, denn sobald sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass der Raum einen Dieselmotor und einen sehr großen Benzintank enthielt, welcher, wie ich später erfuhr, zu dreiviertel voll war.
Robert schaute hinein und sah dann mich an. »Du hast doch nicht etwa ans Schießen gedacht, oder?«
»Oh Gott, nein. Nicht ohne ein sicheres Ziel, ich meine, komm schon, ich hab das schon mal gemacht.«
Was war mit dem ruhigen, furchtlosen Zombiekiller passiert, der ich letzte Woche noch gewesen war? Oder war das alles schon zwei Wochen her?
Robert betrat das Gebäude.
»Muss 'ne Zeitschaltuhr sein«, rief er zurück. Er fand den Lichtschalter und nach etwas Herumbasteln kam er herüber.
»Mensch, Scheiße, ist das toll! Wir haben den Volltreffer gelandet. Lass uns den Turm räumen und was Richtiges essen. Ich koche!«
»Was? Ich kann dich nicht hören! Lass und rausgehen!«
Er wiederholte sich und klärte mich über die Details auf, einschließlich des Abendessens.
»Was für ein Glückstag«, flüsterte ich leise, als ich zum Turm lief.
Dieses Mal ging die Tür nach außen auf. Robert drückte die Klinke herunter und zog sie auf. Nichts! Gott sei Dank. Wie gewöhnlich warteten wir eine Minute, bereit für alles, was da im Lichtstrahl der offenen Tür auftauchen könnte.
»Hey, wir sind hier draußen! Kommt und holt uns!«, rief ich.
Immer noch nichts. Ich stellte mich in den Durchgang, aber der Raum war zu dunkel, um irgendetwas deutlich sehen zu können. Ich riskierte es und fing an, die rechte Wand nach dem Lichtschalter abzutasten. Die Flinte war in meine Hüfte gestemmt, und falls ich feuern müsste, würde ich es mit einer mörderischen Prellung bezahlen. Er musste hier irgendwo sein. Ich ging weiter hinein und strich mit der Hand an der Wand entlang. Endlich fand ich den Schalter und knipste ihn an. Dies weckte eine Reihe von im Raum verteilten Lampen zum Leben. Es war nicht das übliche weißglühende Licht, sondern ein weiches, warmes Leuchten.
Der Fuß des Turms war in ein geschmackvoll eingerichtetes Büro verwandelt worden, mit einem monströsen Mahagonischreibtisch und einem ebenfalls überdimensionierten Lederstuhl, in den Mr. Orca vielleicht sogar hineingepasst hatte. Wie zum Teufel sie die Möbel hier hereinbekommen hatten, muss zu den größten Rätseln der Menschheitsgeschichte zählen. Auf der linken Seite wand sich eine Wendeltreppe aus Stahl wie ein Korkenzieher nach oben.
»Sollen wir?«, fragte ich, als ich zu sehen versuchte, wo die Treppe endete.
»Nichts dagegen.«
Als wir vordrangen, fand Robert einen weiteren Schalter und legte ihn um. Daraufhin wurde die Treppe beleuchtet bis hin zu einer Luke, die zum Rundlauf führen musste. Wir gingen hinauf. Genau wie die Außenseite war innen alles frisch gestrichen und makellos, kein Staub, Rost oder Spinnweben. Die Luke war unverschlossen und ich benutzte den Kolben meiner Flinte, um sie aufzuklappen. Sie fiel mit einem lauten Knall auf den Metalllaufsteg. Wir warteten. Zwar hatten wir nur einen hier oben gesehen, aber man konnte nie sicher sein, und wie bei allem heutzutage konnte ein winziger Fehler das Leben kosten.
Ich spähte über die Kante und konnte ein paar Turnschuhspitzen sehen, die bewegungslos hinter einer Ecke hervorragten. Die andere Richtung war frei. Sobald wir auf dem Rundlauf waren, gab ich Robert Deckung und wir schlichen voran. Die Luft war rein. In der Mitte des Turms war ein gläserner Raum mit einer kleinen Eingangstür und darin stand ein großer Reflexionsspiegel. Ich war noch nie in einem Leuchtturm gewesen, aber ich vermutete, dass es kein Ort war, an dem man sich aufhalten wollte, wenn das Licht in Betrieb war.
Die Aussicht war umwerfend. Sogar mit meiner vorgefassten Meinung, die Stadt wäre eine Touristenfalle, fand ich sie tatsächlich ziemlich idyllisch. Von hier oben aus konnte man Bauernhöfe sehen, sanfte Hügel, und Waldstücke, die gleich außerhalb des Ortes begannen; keine Vororte, keine Einkaufszentren. Dies wäre ein wirklich prima Platz zum Leben, sogar mit Touristen.
Keine unserer Aktivitäten ging unbemerkt vonstatten. Die Zombies sahen uns und dank des Windes, der vom Festland herüberwehte, konnten wir das fast einstimmige Stöhnen und Brüllen deutlich hören. Es waren inzwischen mehrere Hundert.
Wir warfen das tote Kind, einen jungen Teenager, über das Geländer. Irgendwann würde er sowieso mit seinen Eltern im Atlantik landen. Als wir ihn hochhoben, fiel mir das große Loch in seinem Hinterkopf auf, die Austrittswunde, aus der Gehirnmasse herausquoll, die noch recht frisch aussah. Sie hatte immer noch die bläulich-graue Farbe und Festigkeit, die ich aus den etwa hundert Autopsien kannte, an denen ich teilgenommen hatte. Eigenartig, der Rest des Körpers wies deutliche Anzeichen von Verwesung auf, aber das Gehirn sah noch frisch aus. Es wäre interessant, so eines auf den Seziertisch zu bekommen.
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