1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 »Wir haben alle ziemlich Schiss hier in Atlanta. Niemand scheint zu wissen, was zu tun ist. Oh Mann, ich bin aus Kalifornien, du weißt schon, ein Sonne-und-Strand-Typ , und ich werde in Georgia sterben! Irgendwo im Kosmos lacht sich gerade jemand über mich schlapp. Ich wünsche uns allen das Beste! Ich muss weg, mein Freund. Ich denke nicht, dass wir uns noch mal wieder sprechen werden, also pass auf dich auf.«
»Viel Glück, David.«
Ich hielt den Hörer noch lange Zeit fest und starrte auf die Tasten. Mein Verstand hörte nicht auf, die Zahlen rückwärts zu lesen, von neun bis eins. Ich hatte nicht erwartet, dass der Anruf erbaulich werden würde, aber dass er mich so hart traf, hatte ich mir auch nicht vorgestellt. In Zeiten wirklicher Krisen waren die USA sehr gut, sogar brillant, und das kleine Kind in mir war sich fast sicher, dass wir uns noch ein Kaninchen aus dem Arsch ziehen würden. Aber wenn David recht behielt … Ein Filovirus aus Menschenhand? Wer … Warum … Wofür? Warum zum Teufel sollte man so etwas tun? Waren Atomwaffen zu sehr zwanzigstes Jahrhundert? Zwei Milliarden waren niedrig geschätzt? Was war verdammt noch mal mit Indien und Pakistan los?
Irgendein Typ brüllte mich an, ich solle das Telefon freigeben, und als ich mich umdrehte, um ihn anzuschauen, trat er nur zurück und rannte davon. Ich legte auf, lief rüber zu einem Schaufenster und sah mein Spiegelbild an. Ich wusste jetzt, warum er weggelaufen war. Schweiß lief an mir herunter und ich zitterte. Ich schaute auf meine Hände. Sie waren ganz weiß.
Die Familie der Filoviren war eine Sorte negativ polarisierter Einzelstrang-RNS. Sie hatte verschiedene Gattungen, wobei Ebola und das Marburg-Virus am bekanntesten waren. Beide waren extrem tödlicher Scheiß. Als junger Student hätte ich fast zu Mikrobiologie gewechselt, um diese Art von Virus zu studieren. Ebola war faszinierend, weil es die volle Bandbreite der Sterblichkeitsraten umfasste, von null Prozent wie bei Ebola Reston bis zu über achtzig Prozent bei Ebola Zaire, einem der tödlichsten bekannten Krankheitserreger. Es verursachte hämorrhagisches Fieber und eine wirklich fiese Art zu sterben: massives Organversagen und Blutungen aus allen Körperöffnungen, das volle Programm. Anders als grippeartige Viren waren Filoviren nicht aerogen. Sie benötigen direkten Kontakt mit dem infizierten Material: Blut, Gewebe oder Erbrochenes. Wenn es also einen Ausbruch gab, normalerweise in einem abgelegenen, rückständigen Nest (sorry, Reston, Virginia), dann lief es sich schnell tot. Nun, dieses würde sich nicht totlaufen, da wir eine ganz neue Wendung in der Epidemiologie-Geschichte haben; verdammte Zombies!
Ich kam heim und versuchte es noch einmal bei Liz, aber ohne Erfolg. Es schien, als wäre das System noch in Ordnung, aber dieses Mal bekam ich keine Ansage zu hören, dass die Leitungen besetzt wären. Der Anruf ging einfach nicht durch. In gewisser Weise lenkte mich das Ende der Welt ab und ich versuchte nicht über Liz und meine Familie nachzudenken oder ob ich sie je wiedersehen würde.
Jeden Tag wurde es schlimmer und schlimmer. Ägypten, Kasachstan, Türkei, Rumänien, Brasilien, Deutschland, Argentinien, Israel, Frankreich, Australien … die Liste wurde immer länger. Es war einfach ein klassisches Beispiel eines neuen tödlichen Virus in einer jungfräulichen, mobilen Population. Es ärgerte mich, dass Südamerika und Australien es nun auch hatten. Ich hatte im Stillen gehofft, dass sie es schaffen würden, sich abzuschotten und den Sturm auszusitzen.
Am Anfang der zweiten Woche seit meiner Rückkehr wusste jeder, dass es auch in den USA war, es konnte gar nicht anders sein. Ich startete den Versuch, meinen Bruder in Montana anzurufen und kam sogar bis zum ersten Klingeln, als die Verbindung abbrach. Während die Welt den Bach runterging, fütterten uns die Medien mit dem immer gleichen Scheiß. Niemand könne über die Grenzen, die Quarantänebestimmungen der USA seien die besten der Welt, wir hätten bald ein Gegenmittel, in ein paar Wochen würde alles wieder unter Kontrolle sein und die Toten stünden nicht wieder auf. Uns allen stand das Wasser nun bis zum Hals.
Ich dachte daran, mich in den Süden abzusetzen und zu meiner Mutter nach Rhode Island zu fahren, aber es war schon zu spät, die großen Schnellstraßen waren nun auf militärische und offizielle Zwecke beschränkt. Laut den Berichten aus Internet, Fernsehen und Radio sah es so aus, als wären die Nebenstraßen ein heilloses Durcheinander. I95, Route 1 und die 202 waren nichts weiter als ein länglicher Parkplatz. Abgesehen von einem Helikopter, sollte man die Freigabe zum Abflug haben, oder einem Boot gab es keinen Weg mehr in Richtung Süden.
So wie jeder andere hatte auch ich mehrere Ausflüge zum Supermarkt und zum Eisenwarenladen gemacht, um mich mit dem Wichtigsten einzudecken, in der Hoffnung, ich könnte in meiner Wohnung bleiben und dieses Ding vorbeiziehen lassen. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht sicher, was wirklich das Wichtigste war. Ich hatte Glück, da ich zu beiden Läden laufen und einen meiner großen Expeditionsrucksäcke benutzen konnte, um das Zeug nach Hause zu schleppen. Wie erwartet waren die Läden brechend voll. Es war nicht wie das Warten darauf, dass ein Hurrikan oder Schneesturm eintraf. Man sah sich nicht an, kein Getratsche über angesagte Landungen oder Windgeschwindigkeiten oder eine Sturmflut. Jeder war auf einer Mission, das zu besorgen, was man brauchte und zu seiner Familie zurückzukehren. Wir alle waren von Angst geplagt, versuchten aber sehr angestrengt, uns normal zu benehmen.
Im Supermarkt begegnete mir eine Frau, die zwei Dosen gebackener Bohnen hielt, verschiedene Sorten meiner Lieblingsmarke, B&M, original und Ahorn . Es schien, als könne sie sich nicht entscheiden, welche sie kaufen wollte. Sie musste schon eine Weile da gewesen sein, da der komplette Gang leer geräumt war. Ihr Einkaufswagen war ebenfalls leer. Ich ging hinüber, um zu sehen, ob sie Hilfe brauchte und hörte, wie sie mit sich selbst über den unterschiedlichen Kaloriengehalt der Dosen sprach. Ich stand einfach da und mir ging auf, dass der Frau nicht zu helfen war.
Bei meiner zweiten Lebensmitteltour war die Frau verschwunden und es war fast nichts mehr zu bekommen und keiner zahlte. Ich landete schließlich bei den Konserven und alles, was ich finden konnte, waren Pilze! Ich hasste Pilze, verdammt noch mal!
Miami war die erste große US-Stadt, die offiziell infiziert war, aber hey, der Staat war eine große Halbinsel und könnte unter Quarantäne gestellt werden. Ich hörte einen Experten erzählen, wir könnten in ein paar Tagen einen Zaun um Florida bauen, so etwas wie der mexikanische Grenzzaun. Problem gelöst! Dann bauen wir einen um: LA, New York, Philadelphia, Atlanta, St. Louis, Omaha, Denver, Houston und so weiter und so fort. Ich kannte die genaue Reihenfolge nicht, die Dominosteine fielen so schnell. In den USA, genauso wie im Rest der Welt, war die Reaktion der Menschen zu randalieren, zu plündern und Feuer zu legen. Im Grunde genommen war nach achtundvierzig Stunden alles vorbei. Als Boston ebenfalls zur infizierten Stadt erklärt wurde, füllte ich meine Badewanne, das Waschbecken und jedes Gefäß, das ich besaß, mit Wasser. Ich wohnte ganz oben im vierten Stock und der einzige Weg hinein führte durch die Vordertür. Ich entschied mich dazu, mich abzuschotten und zu warten; mich durchzuschießen, wenn ich musste, und die letzte Kugel für mich selbst aufzuheben. Wenn ich meine Vorräte rationierte, waren drei Wochen kein Problem, aber was dann? Mein Nachbar Burt war verreist und ich schätzte, er würde in nächster Zeit nicht zurückkommen, also verschaffte ich mir Zutritt (wir hingen nicht wirklich zusammen rum, hatten aber vor Jahren Schlüssel ausgetauscht) und durchsuchte seine Wohnung. Als Erstes ging es ans Wasser. Burt war ein Junggeselle wie ich, im Finanzwesen beschäftigt, und ein Gesundheitsfanatiker. Während die Wanne volllief, checkte ich die Schränke. Im Gegensatz zu mir aß er anscheinend nichts aus Dosen, mit einer Ausnahme … Pilze. Ich wusste, dass der Strom irgendwann ausfallen würde und ich würde das Gemüse zuerst essen müssen, nicht, dass es viel davon gab. Möhren, grüne Bohnen, Tomaten, Brokkoli, Salatmix in der Tüte und Grünkohl. Grünkohl? Wer aß denn so was? Bei meinem flüchtigen Durchsuchen fiel mir in der Wohnung nichts weiter auf. Ich fühlte mich wie ein Eindringling, also ließ ich Schubladen und Schränke geschlossen, fürs Erste zumindest. Meine anderen zwei Nachbarn gingen nicht an die Tür. Ich gab mir selbst einen Tag Zeit zu entscheiden, ob sie zu Hause waren, bevor ich bei ihnen einbrechen würde.
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