»Aber die beiden waren bewaffnet«, gab Zeller zu bedenken.
»Ja, diese Maschinenpistole … aber die hat der eine gleich weggelegt, als ich gesagt habe, er soll nicht dauernd damit herumfuchteln.«
»Der andere hatte auch eine Waffe.«
»Ja, so eine kleine schwarze. Hab ich aber nicht genau gesehen.«
Zeller entschied, eine direkte Frage loszuwerden: »Hatten Sie während des Überfalls den Eindruck, dass es zwischen den Tätern und Herrn Seifritz einen persönlichen Bezug gab?«
»Persönlichen Bezug? Wollen Sie damit sagen, Herr Seifritz könnte die Täter gekannt haben?«
Zeller schwieg und sah der Frau in die Augen, was sie verunsicherte. »Ich hatte nur den Eindruck«, sagte sie schließlich, »dass sich die Täter mit Bankgeschäften ausgekannt haben.«
»Und mit dem persönlichen Umfeld des Herrn Seifritz«, stellte Zeller fest.
»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen«, gab sich die Frau beharrlich.
»Wenn Sie sich zurückerinnern – hat sich in den Monaten vor der Tat jemand bei Ihnen auffällig über Seifritz’ familiäre Verhältnisse erkundigt?«
Karin Rügers Gesicht wurde ernst. »Bei mir? Wie soll ich dies jetzt verstehen?«
»Es könnte doch sein. Nur so beiläufig im Gespräch. Im Freundes- und Bekanntenkreis vielleicht.«
»Ich bitte Sie, Herr Kommissar, wollen Sie mir jetzt unterstellen, mit den Tätern gemeinsame Sache gemacht zu haben? Und das jetzt, ein Dreivierteljahr nach der Tat?«
Es war der Tag nach Aschermittwoch. Vom grauen Stuttgarter Himmel rieselte feiner Schnee, als Zeller seinem Vertreter, dem engagierten Kollegen namens August Häberle, gegenübersaß und, wie so oft schon, die immer dicker werdenden Aktenberge zum Göppinger Raubüberfall sichtete.
»So viel scheint festzustehen«, fasste Häberle zusammen, »die Täter sind Deutsche. Alle Zeugen berichten übereinstimmend, dass sie Deutsch mit badischem oder schwäbischem Akzent gesprochen haben.«
»Sie scheinen einen Bezug ins Remstal zu haben«, resümierte Zeller. »Das ergibt sich unter anderem aus dem Abstellort des Fluchtfahrzeugs im Gmünder Parkhaus.«
»Und der Tatsache, dass sich im Remstal die Hütte befindet, in der das Mädchen gefangen gehalten wurde«, bekräftigte Häberle, der es dank seiner Kombinationsgabe schon als junger Beamter zu den Sonderermittlern geschafft hatte.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass es einen Bezug zu Seifritz geben muss«, sagte Zeller, der diese Äußerung niemals öffentlich gemacht hätte.
»Da wäre ich vorsichtig«, meinte Häberle. »Die Vorgehensweise lässt natürlich vermuten, dass sich die Täter in bankinternen Dingen auskennen. Aber mal unterstellt, Seifritz hätte das alles selbst arrangiert, dann wäre das doch ziemlich aufwendig und gefährlich gewesen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass in der Bank etwas schiefläuft, war doch groß. Dann hätten die Komplizen ziemlich schnell ihren Auftraggeber verpfiffen.«
»Ja, schon. Aber warum öffnet der Seifritz abends arglos die Wohnungstür? Die Täter vermuten zwar, dass die Ehefrau anwesend ist, werden dann aber mit der Marion konfrontiert – und sie fragen nicht nach der anderen Tochter oder einem Sohn. Wie reimt sich das zusammen?«
»Zufall«, entgegnete Häberle entwaffnend. »Ich würde den armen Mann in Ruhe lassen. Die Kollegen sagen, er sei noch immer ziemlich mitgenommen.«
»Ist er, ja. Insbesondere macht er sich Vorwürfe, seine Tochter nicht genügend vor den Tätern geschützt zu haben. Die ist übrigens in psychologischer Behandlung.«
»Ich schlag dir vor, Hartmut: Lassen wir die beiden erst mal außen vor. Stattdessen sollten wir uns um einige Bankkunden kümmern, die möglicherweise ihre hohen Kredite nicht zurückzahlen konnten und Grund hätten, sich auf illegale Weise Geld zu besorgen.«
»Du meinst im Ernst, es könnten Kunden der Sparkasse gewesen sein?« Zeller blätterte in seinen Unterlagen. »Suspekt erscheint mir da eher dieser eine Geldbote. Nolte heißt er. Wolfgang. War mal bei der Bereitschaftspolizei, hat dort die Ausbildung gemacht, wurde aber nicht ins Beamtenverhältnis übernommen.«
Häberle nickte: »Hab ich gelesen. Ja. Ex-Polizist und Polizeiuniform. Das macht einen tatsächlich hellhörig.«
»Er könnte nicht nur die Utensilien beigesteuert haben, sondern auch die Kenntnisse über die Vorgänge in der Bank«, ergänzte Zeller, gab aber zu bedenken: »Er hat sich jedoch mit einem der Gangster anlegen wollen, was aber auch ein Täuschungsmanöver sein könnte.«
Dieter Blaubart pflegte internationale Kontakte. Insbesondere die Offiziere der 1. Infanteriedivision Forward, die kriegsstark in Göppingen in den sogenannten Cooke Barracks stationiert war, schätzten seine Dienste, wenn es darum ging, Nobelkarossen von Übersee zu beschaffen, Gebrauchtwagen anzunehmen und gewinnbringend in die osteuropäischen Staaten zu verkaufen. Wie er es in den Zeiten des Kalten Krieges schaffte, diese Geschäfte mit der Sowjetunion und den Anrainerstaaten einzufädeln, blieb sein Geheimnis. Aber es gab genügend Kanäle und Beziehungsstrukturen, deren er sich geschickt bediente. Bisweilen halfen einige US-Dollars, um mit gewissen Zuwendungen die bürokratischen Grenzkontrollen zu umgehen.
Nicht immer hatte er es allerdings mit seriöser Kundschaft zu tun. Aber das war er längst gewohnt, weshalb er in seinem Geschäftshaus am Rande der Stadt Göppingen mehrere Alarmanlagen installiert hatte. Nur die Anschaffung von Überwachungskameras hatte er bisher aus Kostengründen gescheut, zumal deren Aufnahmequalität insbesondere bei Nacht nicht vom Feinsten war.
Angestellte hatte er keine, denn er wollte niemanden in sein Geschäftsgebaren einweihen. Auch dem Steuerberater enthielt er das Meiste davon vor, es sei denn, es trug zu einer Minimierung des offiziellen Gewinns bei.
An diesem Winterabend Ende Februar hatte er gerade die Lichter in dem kleinen Büro löschen wollen, als das Telefon läutete. Er sah auf die Uhr: 20.47 Uhr. Keine ungewöhnliche Zeit für seine Geschäfte. In den USA war es immerhin, je nach Zeitzone, erst Nachmittag. Nur bei seiner Kundschaft im Osten ging es langsam auf Mitternacht zu. Von dort kamen trotzdem häufig zu Unzeiten die Anrufe, denn oft brauchten die Kunden aus diesen Ländern viel Geduld, um überhaupt eine freie Telefonleitung nach Deutschland zu erhalten.
Blaubart nahm den Hörer ans Ohr und meldete sich mit einem knappen »Hallo«.
»Ich bin’s«, hörte er eine vertraute Frauenstimme hauchen. »Du bist noch im Geschäft?«
»Wie du merkst«, gab er selbstbewusst zurück. Vor seinem geistigen Auge formte sich das Bild von Kirsten, dieser hochgewachsenen Tänzerin im Luna, die er vor einigen Monaten dort kennengelernt hatte: schulterlange blonde Haare, eine Figur wie ein Titelblattmodel. Sie sah nicht nur im Glitzerlicht des Nachtklubs gut aus, wo sie sich dreimal die Woche aufreizend auszog, sondern auch wenn sie meist im knappen Kleidchen bei ihm auftauchte. Inzwischen wusste er, dass sie auf ihn stand – auf ihn, den erfolgreichen, attraktiven Geschäftsmann, der internationale Kontakte pflegte. Neulich hatte sie sich sogar splitternackt vor einem amerikanischen Straßenkreuzer fotografieren lassen. Sie tat alles, was Blaubart von ihr forderte. Wirklich alles. Fast schien es ihm so, als brauche sie jemanden, der ihr zeigte, wo es langging.
»Hast du heute frei?«, fragte er, weil sie nichts erwidert hatte. Sein Blick fiel auf das gerahmte Foto, das vor ihm auf dem Schreibtisch stand und das diese junge Frau in aufreizender, splitternackter Pose am Kotflügel eines roten Cadillac-Oldtimers zeigte.
»Nein, ich bin erst kurz vor 23 Uhr dran«, sagte sie leise, und es hörte sich so an, als sei sie in Eile. »Ich wollte dir nur sagen, dass er da war.«
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