Teil II DIE BREMSE LÖSEN
5 Spielbrett für Spurwechsler
Karrieren in der Wirtschaft wie im öffentlichen Bereich entwickeln sich in aller Regel in zwei Richtungen:
Entweder über Branchengrenzen hinweg entlang eines Fachbereiches, also zum Beispiel wird der Vertriebsleiter einer Niederlassung zum Gebietsleiter Vertrieb, zuständig für mehrere Niederlassungen, bei einer anderen Firma.
Oder innerhalb eines Unternehmens, wenn der Marketingleiter im gleichen Haus die Bereiche Vertrieb, Marketing und Kundenservice übernimmt.
Typischerweise ist beides verbunden mit einem Zuwachs an Status, Budget, Gehalt, Mitarbeitern oder regionalem Verantwortungsbereich. Das sind die Karrierewege, die Headhunter und Personalleiter bisher gerne gesehen haben. Sie sind in ihren Augen »folgerichtig und schlüssig«, passen ins gängige Schema und sind sowohl der Unternehmensführung als auch dem Mitarbeiter leicht vermittelbar.
Meine Gesprächspartner – die Spurwechsler – ticken da anders. Sie verlassen die Fahrrinnen der traditionellen Denkmuster unseres Wirtschaftssystems, und suchen Neuland. Auch wenn sie einiges aus ihrem bisherigen Karrierepfad nutzen können, zum Beispiel was Marketing oder Betriebswirtschaft anbelangt, helfen ihnen die bisher gemachten Erfahrungen nur bedingt. Manchmal sind diese sogar kontraproduktiv, etwa was die relativ gering geforderte Selbstverantwortung im Konzern anbelangt. Spurwechsler springen also gewissermaßen über Unternehmens- und Branchengrenzen hinweg. Grafisch dargestellt, sieht das so aus wie in Abbildung 5.1.
Abb. 5.1 : Spielbrett für Spurwechsler
Dass Spurwechsler diesen Schritt machen, kommt meist nicht von ungefähr, auch wenn es Aha-Erlebnisse und spontane Eingebungen oder Bekanntschaften gibt, die dieses »Window of Opportunites« eröffnen. Doch in den meisten Fällen braucht es einen regelrechten Arschtritt.
6 Arschtritte ins Abenteuer
Die meisten meiner Gesprächspartner spürten seit Jahren, manche gar seit Jahrzehnten, dass sie das bisherige Leben so nicht weiterführen wollten. Eine latente Unzufriedenheit, ein zunehmender Widerwille, die alten Routinen zu bedienen, machte sich breit. Die eigenen Werte und Grundeinstellungen änderten sich: Was früher erstrebenswert war, fühlte sich jetzt schal an. Körperliche und psychische Probleme wie Schlaflosigkeit, Rückenschmerzen, latente Aggressivität oder gar Depression häuften sich. Und dennoch ist es so schwer, den Absprung zu schaffen. Zu groß sind die Annehmlichkeiten der Führungsposition: der Dienstwagen, das regelmäßige Gehalt, die Sozialleistungen, das gewohnte Umfeld, der Status als Kollege und Vorgesetzter. Deshalb braucht es etwas wie einen sehr starken Impuls, um wirklich die Spur zu wechseln. Ich nenne das einen »Arschtritt ins Abenteuer«. Dieser Arschtritt ist in der Regel ein Bruch im Berufs- oder Privatleben. Gerne auch eine Kombination beider.
Auslöser für einen Spurwechsel
Zu den privaten Gründen zählen das Ausziehen der Kinder in der Lebensmitte, Krankheit, Trennung oder Scheidung, aber auch die Begegnung mit einem besonderen Menschen und späteren Geschäftspartner. Im beruflichen Kontext ist es oftmals die wachsende Unzufriedenheit mit dem Job oder dem Vorgesetzten, aber auch eine Restrukturierung, eine Standortschließung oder ein Abfindungsprogramm. Solche Einschnitte im Leben sind Gelegenheiten, das schon länger virulente Thema »Spurwechsel« anzugehen. Neben den genannten externen Gründen im Berufs- und Privatleben sind es Wechsel in der inneren Einstellung. Was von vielen als »Midlife-crisis« bezeichnet wird, ist genau das: Meine Einstellungen und Werte haben sich geändert, ich hinterfrage vieles und ich frage mich nach der Sinnhaftigkeit meines Tuns. Und stelle infrage, ob ich so weitermachen will. Manche drehen dann erst richtig auf in der alten Spur, tauschen den SUV gegen einen Sportwagen und die Ehefrau gegen eine deutlich jüngere Freundin. Andere treten eine Reise nach Innen an, besuchen Seminare und Workshops zur Persönlichkeitsentwicklung oder engagieren sich ehrenamtlich.
In der Regel sind es immer mehrere Faktoren, die einen Spurwechsel auslösen. Wenn ich ein übergreifendes Thema finden sollte, dann wäre es, dass das berufliche Umfeld nicht mehr zu meiner veränderten Lebenssituation passt. Und wahrscheinlich auch schon länger nicht mehr gepasst hat, dies aber jetzt zunehmend sichtbar wird. Diese Dissonanz, diese Unzufriedenheit und gleichzeitige Angepasstheit halten wir mit der Zeit immer schwerer aus, wie meine Interviewpartner ausnahmslos bestätigen.
In der Mitte des Lebens gibt es oft tiefgreifende private Veränderungen, die einen Richtungswechsel veranlassen können. Hier eine – sicher nicht vollständige – Auflistung:
Die Kinder ziehen aus, es entsteht Raum für neue Ideen und die bisherige Eltern-Aufgaben verlieren an Bedeutung.
Familienangehörige werden krank und brauchen Pflege.
Eigene Krankheit und längeres Fernbleiben von der Arbeitsstelle.
Eine Trennung oder gar der Tod des Partners.
Eine Erbschaft verringert den finanziellen Druck und eröffnet neue Möglichkeiten.
Eine deutlich geringere finanzielle Grundlast, zum Beispiel durch das Ausziehen der Kinder oder die abbezahlte Hypothek.
Ein neuer Partner eröffnet neue Perspektiven, ermöglicht Kontakte in anderen Branchen, oder unterstützt tatkräftig beim Aufbau des neuen kleinen Unternehmens – wie zum Beispiel bei Lars Schepp und Katharina Kupka, die wir später genauer kennenlernen werden.
Eine Begegnung mit besonderen Menschen – bei Petr Štajner war es der Nachbar am Zweitwohnsitz, bei Kari Honkaniemi der zukünftige Geschäftspartner Tom (siehe Kapitel 20und 8).
Die meisten meiner Gesprächspartner für dieses Buch sind nicht aufgrund bestimmter Personen (wie einer schwierigen Führungskraft) aus dem Unternehmen ausgeschieden. Weit häufiger war es eine zunehmende Unzufriedenheit mit der generellen Unternehmensausrichtung und Unternehmenskultur. Diese Unzufriedenheit strahlten sie dann selbst auch nach außen aus! Ein guter Freund von mir, Bereichsleiter in einem Technologiekonzern, wurde von seinem Vorstand darauf hingewiesen, dass man mehr Engagement und neue Ideen auf seiner Position sehen wolle. Vielleicht war es ja hilfreich gemeint, mein Freund aber machte sich spätestens jetzt Gedanken über seine weitere Karriere dort bzw. einen drastischen Richtungswechsel. Allein, wie er zugibt, fehlte ihm die Kraft und der richtige Grund für eine Veränderung, der Arschtritt also.
Manchmal gibt es aber auch ganz handfeste berufliche Gründe für den Absprung:
Eine (erneut) nicht erfolgte Beförderung oder Gehaltserhöhung.
Ein neuer Vorgesetzter, der eigene Vorstellungen oder gar sein eigenes Team mitbringt.
Ein toxisches Arbeitsumfeld, das geprägt ist von Mobbing oder extremer interner Konkurrenz.
Eine Restrukturierung, mit wenig Perspektive auf eine bessere berufliche Zukunft.
Eine Betriebs- oder Standortschließung.
Eine betriebsbedingte Kündigung.
Ein Abfindungsprogramm. Dieses ist oft ein sehr starkes Signal, da es zum einen die Botschaft »Wir brauchen euch nicht mehr (alle)« verbreitet, zum anderen von den Spurwechslern »auf dem Sprung« als günstiger Zeitpunkt und als finanzielle Starthilfe verstanden wird.
Viele Mittelmanager sind schlicht ausgelaugt, müde vom Rattenrennen und der Sandwichposition zwischen Firmenleitung und Mitarbeitern. Sie fühlen sich genauso zerdrückt, eingeklemmt und matschig, als wären sie die Eier in diesem Sandwich. Ein Sandwich, welches schon viel zu lange in der schlecht gelüfteten Theke liegt.
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