1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Erstaunlich, dass die beiden Kontrahenten hier in Bodos Wohnzimmer zusammensitzen und gemeinsam eine Jubiläumsfeier organisieren wollen.
Allerdings – die Sitzordnung sagte alles. Neben Bodo auf der Couch saß Volker, der als Erster gekommen war. Im Halbkreis um den niedrigen Tisch standen drei Sessel. Direkt gegenüber von Bodo hatte sich Christian platziert – in der klassischen Position des Angreifers. Auf dem Sessel zwischen ihnen nahm wiederholt Ramona Platz. Ihr gegenüber saß Philipp.
Natürlich bemerkte Philipp eine Spannung zwischen dem Spielhallen-Unternehmer und dem Lokalpolitiker. Beim Verteilen von kleinen verbalen Seitenhieben nahmen sich beide nichts. Aber insgesamt wurde eine (offenbar zuvor vereinbarte) Waffenruhe eingehalten. Was sicherlich auch an Ramona lag, die nicht nur die Gäste mit Softdrinks und Schnittchen versorgte, sondern gleichzeitig das ausgleichende Element zwischen ihrem Mann und ihrem Bruder war.
Sie weiß, wie sie ihre Männer zu nehmen hat.
Ehe sich die Männerrunde überhaupt der Organisation ihrer Jubiläumsfeier zuwendete, beschäftigte sie sich ausgiebig mit sich selbst: Was bist du geworden? Was hast du privat und beruflich erreicht? Was sind deine nächsten Projekte?
Philipp präsentierte sich als Bestsellerautor, der sich in seinen Büchern für brisante gesellschaftliche Themen engagierte. Natürlich ging es bei ihm und den anderen in der Runde darum, unter dem Mäntelchen der bescheidenen Selbstverständlichkeit Anerkennung und Bewunderung zu erheischen. Die Darstellung seines momentanen Privatlebens fiel kurz aus. Momentan sei er ungebunden und damit offen für Neues.
Bodo betonte, dass er nicht nur der erfolgreiche Unternehmer wäre, sondern gleichzeitig soziale Projekte finanziell unterstützte. Zusätzlich versuchte er mit seiner glücklichen Ehe und dem harmonischen Zusammenleben mit seinen Kindern zu punkten.
Ein Familienleben wie griechischer Samos, dachte Philipp spontan, aber ich mag’s eher herb als zuckersüß.
Volker war ledig, bekleidete eine gute Position bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft in Hannover. Er berichtete über zahlreiche Reisen in exotische Länder, die ihm viele bewegende Einblicke verschafft hätten. Kinder oder Geschwister hatte er nicht. Seine Eltern waren relativ jung an Herzinfarkt beziehungsweise Krebs verstorben.
Ist schon tragisch mit den Eltern, aber ich kann da irgendwie nicht mitfühlen. Volker ist ein Langweiler.
Christian zählte wichtige Projekte seiner Abteilung im Jugendamt auf, wechselte dann in die Rolle des Politikers und umriss sein Engagement für sozial Benachteiligte, Umweltschutz oder Familien. Sein Auto war natürlich ein Elektromobil. Den Bereich Glücksspielsucht und Spielhallen ließ er in dieser Runde unerwähnt. Dafür ging er noch auf seine Reise als Ratsmitglied mit dem hannoverschen Oberbürgermeister nach Hiroshima ein.
Als Christian soziale Brennpunktthemen zur Sprache brachte, verwies Philipp auf „Hannover sehen und lieben“. Die tatsächliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben sei ihm ein aktuelles Anliegen.
Mehrfach am Abend erschien Paul im Wohnzimmer. Er war groß, schlank, trug seine kurzen braunen Haare mit einem Seitenscheitel. Er hielt sich im Hintergrund, lehnte an der Wand oder am Türrahmen.
Der sieht Ramona sehr ähnlich. Ein Mama-Kind.
Philipp hatte den Eindruck, dass der junge Mann die Gäste seiner Eltern sehr genau beobachtete. Insgesamt war er ein schweigsamer Typ.
„Vor zehn Jahren konnten wir uns auf der Feier zwar lang und breit miteinander unterhalten, aber sonst ist nichts passiert“, lenkte Bodo die Runde auf den eigentlichen Grund ihres heutigen Treffens. „Ich möchte, dass wir bei der 30-Jahr-Feier einen attraktiveren Ort finden, wo das Ganze stattfindet. Und insbesondere geht es mir darum, dass wir ein interessantes Programm auf die Beine stellen.“
„Beim Thema Programm bin ich etwas skeptisch“, äußerte Volker. „Bei der Feier hat die Kommunikation untereinander Vorrang. Wir müssen uns nicht als Veranstalter mit einer Show profilieren.“
Philipp dagegen begrüßte Bodos Vorschlag. Am Ende stimmten auch Christian und Volker zu.
Ramona war die Einzige in der Runde, die Alkohol trank. Mehrere Glas Weißwein an diesem Abend, wie Philipp registrierte.
Die letzte Stunde war sie von dem Sessel Philipp gegenüber nicht mehr aufgestanden. Sie schaute ihn immer wieder lächelnd an, strich dabei ihre Haare zur Seite.
Philipp ließ sich vom Gespräch ablenken, konzentrierte sich mehr und mehr auf das, was Ramona tat. Ihre Finger streichelten scheinbar zufällig ihren rechten Oberschenkel. Als sie ihre Halskette richtete, berührte sie dabei kurz ihre Brüste.
Diese Körpersignale, nahm nur er sie wahr? Galten sie tatsächlich ihm?
Er blickte in die Runde. Seine ehemaligen Kumpel waren in ihr Gespräch vertieft. Bodo und die anderen bekamen offenbar nicht mit, was sich da anbahnte.
Mehrfach beugte Ramona den Oberkörper in seine Richtung.
Sie bietet mir ihre Brüste an, oder was?
Er lächelte zurück, nahm eine Sitzposition mit geöffneten Beinen ein und begann reflexartig seine Nasenspitze zu reiben.
Wie passt das zu der Bilderbuch-Ehe mit der braven Ehefrau?
Hinten im Essbereich stand Paul. Er goss sich Apfelsaft ins Glas und stellte es auf dem Esstisch ab. Er wirkte geistesabwesend.
Manchmal macht der den Eindruck, als wär er ein bisschen plemplem. Philipp war irritiert. Wieso streicht der immer wieder durchs Wohnzimmer? Für seine Eltern scheint das ja nichts Ungewöhnliches zu sein.
„Sag mal, Philipp, hörst du überhaupt zu?“ Das war Bodo.
Ertappt!
Philipp klinkte sich wieder ins Gespräch ein. Wie Ramona, die wie auf Kommando einen lustigen Spruch raushaute – und schlagartig die Ausstrahlung erotischer Signale einstellte.
Was läuft hier eigentlich?
Hatte sich Philipp eben alles nur eingebildet? War Ramonas Verhalten die Folge ihres Alkoholkonsums?
Die Gruppe legte fest, die 30-Jahr-Feier auf den kommenden September zu legen.
Der Abend endete mit der Verabredung eines Folgetermins in genau einem Monat. Alle waren damit einverstanden, sich wieder bei Bodo und Ramona in Isernhagen-Süd zu treffen.
Christian und Volker hatten den Bungalow als Erste verlassen. Bodo stand im Hauseingang und sah ihnen hinterher.
Als sich Philipp die Jacke im Flur anzog, um sich ebenfalls zu verabschieden, trat Ramona dicht an ihn heran: „Würdest du mir den Gefallen tun, als erfahrener Autor einige Seiten von Pauls erster Mystery-Geschichte zu lesen? Und ihm eine Rückmeldung geben, welches Potenzial darin steckt? Bisher gibt es seine Romane nur bei Amazon als E-Book, und sie haben wenig Zulauf.“
Ging es Ramona nur darum, ihn zu umgarnen, damit er sich leichter dazu breitschlagen ließ, die Geschichtchen ihres Sohnes zu lesen?
So wenig geistreich wie motiviert antwortete er: „Tut mir leid, ich besitze keinen E-Book-Reader.“
„Kein Problem, ich leih dir meinen“, war Ramonas Reaktion, die gar nicht abwartete, ob Philipp weitere Einwände hatte, sondern kurz abtauchte und gleich darauf mit einem Kindle in der Hand zurückkehrte.
Bodo hatte sich inzwischen zu Philipp und Ramona umgedreht.
„Philipp hat bestimmt was Besseres zu tun, als diesen Mystery-Kram zu lesen“, brummte er.
Das hast du gut erkannt, alter Junge. Bodo scheint auch nicht viel von den Schreibkünsten seines Sohnes zu halten.
Ramona ließ sich durch Bodos Einwand nicht von ihrem Vorhaben abhalten: „Wär echt nett von dir …“
Als sie von der Seite an Philipp herantrat, um ihm den E-Book-Reader zu zeigen, berührten sich kurz ihre Oberschenkel.
Das ist kein Zufall. Sie will was, und dieser Mystery-Quatsch ist nur ein Vorwand.
„Klar, mach ich gern. Ich lese da mal rein“, hörte sich Philipp sagen und wusste noch immer nicht, auf welchen Deal mit Ramona er sich einließ.
Читать дальше