Meinen Sie, ich habe nicht gemerkt, wie sich der Winterberg damals an mich rangemacht hat? Natürlich habe ich das gemerkt. Da kommt die Frau Winterberg zweimal hintereinander nieder, da war dann halt zweimal einige Wochen Pause. Also zwischen den beiden. Da tut sich der Winterberg natürlich schwer damit: sein Verlangen im Hosenstall zu halten. Da war er bei mir aber an der falschen Adresse, das sag ich Ihnen. Nicht, dass ich mal hätte Nein sagen müssen, so weit kam’s zum Glück nicht. Aber eine sensible Frau wie ich spürt auch schon Vorstufen dazu. Und das war schwierig genug. Der Winterberg war also der letzte Mann, den ich sozusagen von der Bettkante gestoßen habe. Aber es gibt ja auch andere Wege, glücklich zu sein. So emotional, im weitesten Sinne, wenn Sie wissen, was ich meine. Gell, das haben Sie schon vermutet! Selbst ist die Frau.
Drei Tage nach dem Mord
»Wir machen das R I E S I G.« Gustav Fromm war außer sich. »Das ist ein Geschenk. So was bekommt man höchstens einmal in zehn Jahren. Höchstens, sag ich dir.« Fromm war eigentlich ein Scheiß-Chefredaktor, zu Höherem geboren, glaubte er von sich selbst, als zu einem Provinzblatt am Rand der Schweiz. Seine neoliberalen Ansichten machten ihn zwar zum Liebkind der Werbekunden aus Gewerbe und Industrie. Mit seiner Redaktion lag er sich aber regelmäßig in den Haaren, nicht nur politisch, sondern auch was Arbeitsethos wie Überstunden oder Bonuszahlungen anging. Oliver Tschanz schien die Euphorie seines Chefs nicht ganz zu teilen. »Was hockst du denn jetzt da wie sieben Tage Regenwetter. Weil Sonntag ist und du arbeitest? Pack schon mal die großen Buchstaben aus.« Tschanz rührte sich nicht.
»Von wem hast du denn den Tipp bekommen?«, fragte Fromm.
»Gustav, du weißt doch: Quellenschutz. Ich möchte dich und deine Freunde nicht in Verlegenheit bringen.« Damit spielte Tschanz auf die enge Verflechtung des Chefredaktors mit der Finanz- und Wirtschaftswelt an.
»Wie du meinst. Ich bedauere dein Misstrauen. Aber schütz du halt den Verräter. Denn die Geschichte ist zu gut, um deswegen einen Keil zwischen uns zu treiben, oder?« Fromm erhielt keine Antwort und fragte stattdessen: »Und das Ganze ist immer noch exklusiv?«
»Wenn du auf eine Bestätigung der Polizei oder Staatsanwaltschaft verzichten kannst …«
Fromm überlegte kurz. Was war das wert? Die Beamten aufscheuchen, auf die Gefahr hin, dass eine Stunde nach der Anfrage eine Medienmitteilung rausging und es alle hatten. Nein: Einmal in zehn Jahren wollte er eine Geschichte für sein Blatt allein. Er drehte sich ein weiteres Mal in seinem Bürostuhl, um etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Mach’s! Ohne Bestätigung. Wenn du der Quelle vertraust, vertrau ich dir.«
Tschanz war überrascht von seinem Chef. »Ich geh noch schnell für kleine Jungs, hole einen Kaffee und mach mich an die Arbeit.« Fromm war die Reihenfolge zwar zutiefst zuwider. Aber er schwieg. »Uhrenvergleich: 17.13 Uhr. In zwei Stunden treffen wir uns wieder hier. Bereit zur Abnahme!«
Tag der Verhaftung
Natürlich war das für mich ein Schock! Wo denken Sie hin? Robert kam im Wagen mit den Beamten von der Brauerei zurück aufs Schloss. Wortlos ging er an mir und der Haushälterin Monika vorbei nach oben. In der ersten Etage hörte ich eine Tür knallen. Der kleine dicke Kommissar und das dünne Etwas an seiner Seite standen verlegen herum.
»Können wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Ich hätte mich für die blöde Frage ohrfeigen können.
»Danke. Aber wir hatten bereits das Vergnügen.«
»Darf ich fragen, was los ist?«
»Ihr Mann begleitet uns auf den Posten. Haben da noch das eine oder andere zu klären.«
Da standen wir und schwiegen. So eine Szene sieht man ja häufig in Krimis im Fernsehen. Aber wenn man selber drinsteckt, ist es doch ganz anders. Tausend Gedanken, das sag ich Ihnen. Da ging oben zum Glück endlich die Tür und beendete das Schweigen. Robert kam mit einer Reisetasche in der Hand nach unten. Das war ein komisches Signal. Seit wann reist man zu einer Befragung mit Gepäck?
»Bereit.« Im Vorbeigehen gab mir Robert einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nickte der Monika zu. Und weg waren die drei. Vielleicht hätte ich da einschreiten müssen. Mit Anwälten drohen, mich vors Auto werfen. Aber der Schock, Sie wissen. Robert war so beherrscht, als hätte ihm jemand den Stecker gezogen. Keine Energie mehr, kein Widerstand. So kannte ich ihn gar nicht.
Natürlich vermutete ich, dass es etwas mit dem »Ableben« der Kuratorin zu tun hatte. Vielleicht eine Befragung wegen des Geldes, schließlich unterstützte Robert das Projekt monetär großzügig. Aber weshalb die Reisetasche?
Der 12. Januar war ein kalter, ungemütlicher Wintertag. Und als Robert Conradsberg verließ, schien die Temperatur noch um einige Grade mehr zu fallen. Mich fröstelte. Monika und ich schauten wortlos dem Auto nach, als es gemächlich die Schlosseinfahrt hinunterfuhr. Ich spürte, dass nun ein neues Kapitel in unser aller Leben aufgeschlagen wurde. Darf ich ehrlich zu Ihnen sein? Der Gedanke gefiel mir.
BRAUEREIKÖNIG VERHAFTET
Nach langem Feilschen einigten sich Tschanz und Fromm auf die Schlagzeile der morgigen Titelgeschichte. Tschanz wollte erst den Namen »Winterberg« unterbringen. Fromm riet davon ab. Danach flocht er zusätzlich zweimal den Begriff »Unschuldsvermutung« in den Text ein. Natürlich setzte sich Fromm durch und Tschanz leistete ungewöhnlich wenig Widerstand. »Gute Arbeit, Oliver!« Fromm rang sich nach seinem Kompliment noch ein Lächeln ab. »Da bleiben wir jetzt dran, an der Geschichte. Also ich mein: Du bleibst da dran. Exklusiv. Hörst du? Der Winterberg hängt an deinem Haken. Nach dem Artikel ist er geliefert. Der Schlossherr von Conradsberg hinter Schloss und Riegel. Was für eine grandiose Fallhöhe.«
Tschanz drehte lustlos sein Plastiklöffelchen in der Kaffeebrühe. »Recherchier den aus!« Fromm geriet in Fahrt. »Ich wette, der hat noch mehr Dreck am Stecken. Garantiert!« Da war sie dahin, die Unschuldsvermutung. »Frag Geschäftspartner, ehemalige Angestellte, Geliebte! Dreh jeden Stein um!« Fromm schien nach Jahren der routinierten Lethargie auf der Redaktion einer Lokalzeitung aufzuwachen. Er fühlte sich ein bisschen wie damals, als er mit dem Journalismus begonnen hatte, die Ressourcen noch nicht auf ein Minimum zusammengekürzt waren, es noch Zeit gab, Geschichten zu recherchieren. Heute bestand der Rechercheaufwand großenteils darin, im Internet anderen über die Schulter zu schauen. Der fleißigste Mitarbeiter hieß »copy paste«. Doch jetzt trieben sie für einmal die Sau durch das Dorf. Deshalb irritierte es Fromm, wie wenig Euphorie Tschanz an den Tag legte. »Oder willst du, dass ein anderer die Geschichte weiterverfolgt?«
»Nein, sicher nicht! Ich mach das. Es ist nur …«, Tschanz suchte offensichtlich nach Worten. »Gustav, ich habe grad auch einen persönlichen Trauerfall zu bewältigen.«
Chefredaktor Fromm hielt einen Moment inne und schaute irritiert zu seinem Angestellten. »Sag nur, das stimmt, was alle erzählen.«
»Ja.«
»Die Amélie und du?«
»Befreundet.«
»Eng?«
Tschanz schwieg.
»Wie eng?«
Oliver Tschanz stand auf, verließ das Redaktionsbüro und warf die Tür hinter sich ins Schloss. Fromm pfiff leise durch seine Zähne, was in etwa mit »verdammt und zugenäht« zu übersetzen war. Er war sich sicher, Tschanz würde nicht allzu lange trauern und schon bald die nächste Schlagzeile im Fall Winterberg liefern.
Ja gut, ganz sauber war das nicht. Aber es wäre ohnehin rausgekommen, eher früher als später. So ein Winterberg verschwindet nicht von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche und niemand merkt’s. Und für mich sind 100 Franken viel Geld. Genau: die Augenzeugen-Hotline des Anzeigers. »Sehen Sie etwas, was alle interessiert? Werden Sie Leser-Reporter! Telefonieren und kassieren.«
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