Cristinas Abend in St. Moritz
Februar 2011
Natürlich werde ich immer wieder gefragt: Wie habt ihr zwei euch eigentlich kennengelernt? Ich versuch’s meist mit der Wahrheit, zumindest was die Fakten angeht. Und das sind folgende: Ich war im Winter 2011 in St. Moritz bei einem Fotoshooting. Meine besten Modeljahre auf dem Laufsteg waren zwar vorbei, aber immer wieder kamen einzelne kleinere Aufträge: mal da Bademode in der Karibik oder eben mal dort Skimode in den Alpen. Ich war nicht mehr so dünn und angesagt wie die jungen Mädels, aber ich verkörperte immerhin den Typ Frau, der sich die sündhaft teuren Stückchen Stoff leisten konnte.
Nach dem letzten Shooting und zum Abschluss der Arbeit im Engadin gingen meine Kollegin Vanessa und ich ausnahmsweise noch auf einen Absacker. Glauben Sie mir, das war wirklich eine Ausnahme. Ein Shooting ist nämlich harte Arbeit, vor allem im Winter: stundenlang rumstehen, frieren und dabei trotzdem gut aussehen. Wir waren froh, hatten wir den Job ohne Frostbeulen überstanden und gönnten uns auf dem Heimweg in unser sehr durchschnittliches und wenig mondänes Dreisternehotel einige Drinks in der Bar des Fünfsternehauses Palace St. Moritz. Im Ausgang wurden wir meist nach kurzer Zeit von Herren angesprochen und zu den Getränken eingeladen. Ja, da staunen Sie: So waren wir damals. Wir ließen uns einladen und gaben den Männern dafür einen Hauch von einem Flirt. An jenem Abend war nicht viel los in der Bar. Vanessa und ich rechneten schon mit dem Schlimmsten und zählten unsere Franken zusammen, in der Hoffnung, die beiden letzten Bloody Marys würden nicht den Rahmen unserer Barschaft sprengen. Da trat endlich ein älterer, aber durchaus gut aussehender Mann zu uns an die Theke.
Vanessa und ich ergänzten uns optisch perfekt. Darum wurden wir beide auch für diesen Job gebucht. Sie kam aus Norddeutschland, hatte lange, glatte blonde Haare und eine Oberweite, die sämtlichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu trotzen schien. Ich hatte meine dunklen schwarzen Locken kunstvoll hochgesteckt und zeigte statt Dekolleté Bein. Da war für jeden Geschmack etwas dabei. »Hätten die Damen noch ein Plätzchen frei?« Der Mann versuchte gar nicht erst, originell zu sein. Kommentarlos rückten wir unsere Hocker etwas auseinander und ließen ihn zwischen uns an die Bar. Die ersten fünf Minuten würden entscheiden, ob er sich mehr Vanessa oder mir zuwenden würde. Und es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich die mit weniger Aufmerksamkeit innert nützlicher Frist zurückzog und der anderen das Feld überließ.
»Robert Winterberg mein Name. Noch zwei Drinks für die Damen?« Schnörkellos. So war er schon damals. Vanessa ließ sich ein Glas Champagner servieren, während ich mich für einen Gin Tonic entschied. Nachdem der Barkeeper schließlich zwei Gins servierte, war der Fall schnell klar. Vanessa saß eine halbe Stunde später im Taxi zum Hotel, während ich einen kürzeren Weg hatte: drei Stockwerke nach oben.
Roberts Abend in St. Moritz
Februar 2011
Mein Jagdinstinkt riet mir eigentlich zur prallen Blondine. Die versprach etwas versauteren Sex als die Dunkelhaarige, die dafür zu schön schien. Aber die Blondine verschwand nach einer halben Stunde plötzlich. Kein Plan, womit ich die vertrieben hatte. Die Zweite, die sich mit »Cristina« vorstellte, war alles andere als ein Trostpreis. Wissen Sie, was ich auf Anhieb bei ihr ganz bezaubernd fand – und bei Gelegenheit auch heute noch bezaubernd finde? Die kleinen Grübchen bei den Mundwinkeln, die sich zeigen, wenn sie lacht. Nun gut, vielleicht hat sie heute nicht mehr so viel Grund zum Lachen wie an jenem ersten Abend in St. Moritz. Der Gin jedenfalls machte mich gesprächiger als üblich. Für einmal schaffte ich es auch, den Mund zu halten und zuzuhören, als sie von ihrer schweren Jugend im italienischen Hinterland erzählte. Und als die Rede auf ihre früh verstorbene Mutter kam, setzte ich sogar meinen legendären Dackelblick auf. Wie gesagt: Ich war in Hochform an diesem Abend.
So kam eins zum anderen. Verlangen Sie jetzt keine schlüpfrigen Details aus jener Nacht. Ich mag mich tatsächlich an nichts mehr erinnern, kein Wunder nach acht Gins für mich und fünf für Cristina, wie die Hotelrechnung später dokumentierte. Als ich aufwachte, fühlte es sich jedenfalls richtig an. Zum ersten Mal seit Gabrielas Tod. Nicht dass Sie denken, ich sei das erste Mal seit anderthalb Jahren neben einer anderen Frau aufgewacht. Aber es fühlte sich anders an, weniger falsch. Sonst ergriff ich meist so schnell es ging die Flucht. Mit Cristinas warmem Körper in der Nähe wurde ich ruhig. Entspannte mich. Schaute am Morgen dem makellosen Gesicht beim Schlafen zu. Und war einfach glücklich. Der Winterberg, verliebt? Ja, lachen Sie ruhig. Das trauen Sie dem alten Zyniker wohl nicht zu! Dabei verehre ich die Frauen. Sie inspirieren mich, sie treiben mich an. Der ganze Erfolg, der Ruhm, die Ehre, das Geld. Das ist nicht für mich oder meine beiden, leider ziemlich missratenen, Kinder. Das war und ist für die Frauen an meiner Seite.
Als Cristina und ich uns in den folgenden Monaten die ersten Male zusammen in der Öffentlichkeit zeigten, tuschelten die Leute natürlich. Der alte Bock und das fast 30 Jahre jüngere Fotomodell. Und was war doch noch mal mit seiner ersten Frau und dem nie ganz geklärten Todesfall? Egal ob an einer Vernissage oder einem Fußball-Match, ob bei einem wichtigen Geschäftsessen oder einem Spaziergang am Ufer des Bodensees, Cristina und ich standen unter dauernder Beobachtung. Träumen Sie ruhig weiter vom Berühmtsein, Sie kleines Rädchen im Getriebe der Bedeutungslosigkeit. Ich sag’s Ihnen, wie’s ist: Das ist nicht immer angenehm. Da fährst du mit dem Maserati auf den Parkplatz des Seehofs und die Leute zeigen mit dem Finger auf dich. Dabei möcht’ ich meist nur meine Ruhe und einen freien Tisch für mich und die Frau an meiner Seite.
Im Herbst desselben Jahres heirateten Cristina und ich. Sie leistete sich ein zusätzliches »h« und nannte sich ab sofort Christina. Das Fest war bescheiden. Nur etwas über einhundert Gäste trafen sich im Garten des Schlosses zur Feier. Dass wir beide auf eine kirchliche Zeremonie verzichteten, verzieh uns Christinas Vater nie. Er blieb dem Anlass fern. Genau wie zwei nahe Verwandte von mir: Alexander und Stephanie. Meine Kinder.
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