Durch sprachenübergreifende Methoden wie Interkomprehension sollten die SchülerInnen ferner dafür sensibilisiert werden, sprachvergleichende Strategien anzuwenden und deren Anwendung zu überwachen, um ihre SLK zu erweitern und auszubauen. Daneben war auch eine Sensibilisierung in Bezug auf affektive Strategien intendiert, z.B. wenn es darum geht, die Motivation aufrechtzuerhalten oder – in Abhängigkeit zur Aufgabe – nicht immer alles verstehen zu müssen. Die SchülerInnenprodukte zeigen, dass ein Großteil der SchülerInnen eine breite Palette an Strategien anwendet (u.a. interlinguale Sprachvergleiche, Kombination von top-down und bottom-up Prozessen, Analyse fremdsprachiger Strukturen durch Segmentieren, Hinzuziehung externer Ressourcen in Form von Wörterbüchern, intelligent guessing , Formulierung von Hypothesen in Form von Regeln). Die SchülerInnen sind also größtenteils in der Lage, ihre „eigenen rezeptiven und produktiven Kompetenzen […] durch geeignete Strategien zu erweitern“ (Standard 2). Weiterhin zeigen die Auszüge aus den SchülerInnenprodukten, dass es den SchülerInnen gelingt, „auch auf Kompetenzen zurückzugreifen, die in anderen Sprachen erworben wurden“ (Standard 5). Allen SchülerInnen gelingt es, ihr mehrsprachiges Repertoire zu mobilisieren und ihr Vorwissen z.B. für die Bedeutungserschließung eines unbekannten Textes fruchtbar zu machen. Insgesamt zeigt sich anhand der Befunde, dass die Förderung von SLK durch den Einsatz eines Lernprotokolls und mehrsprachige Aufgabenformate wie z.B. Interkomprehensionsaufgaben gefördert werden kann (Forschungsfrage 2: Wie kann neben der individuellen Mehrsprachigkeit die Förderung von SLK erfolgen?).
Was die Forschungsfrage 1 (Wie kann die Förderung individueller Mehrsprachigkeit im Rahmen eines kommunikativen und schülerorientierten Französischunterrichts umgesetzt werden?) betrifft, ist festzustellen, dass die Unterrichtsreihe dazu geeignet war, die Kompetenz zur Ausweitung eines mehrsprachigen Repertoires zu fördern. Die SchülerInnenprodukte belegen, dass es den Lernenden – wenn auch in unterschiedlichem Maße – gelang, Ressourcen wie „ wissen, dass zwischen Sprachen Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen“ (K 6); syntaktische oder morphologische Strukturen erkennen und analysieren können (S 1.4) “ (Candelier et al., 2012) zu mobilisieren. Daneben deuten die Befunde darauf hin, dass auch die affektiv-attitudinale Dimension durch sprachenübergreifendes Lernen angesprochen werden konnte. Die SchülerInnenprodukte verweisen darauf, dass die Lernenden die Ressource être sensible à la fois aux différences et aux similitudes entre des langues différentes mobilisieren konnten, wenngleich hier teilweise noch Förderungsbedarf besteht, worin genau die Unterschiede und Ähnlichkeiten bestehen. Schließlich zeigt sich, dass bei einem Großteil der SchülerInnen eine curiosité envers la découverte du fonctionnement des langues; acceptation positive de la diversité linguistique nachgewiesen werden konnte. Allerdings ist auch hier einschränkend festzustellen, dass dies nicht für die gesamte Lerngruppe gilt. Obwohl die SchülerInnen im Selbsteinschätzungsbogen angeben, dass sie durchaus am Erlernen weiterer Fremdsprachen interessiert sind, scheinen Fremdsprachen für einen Teil der SchülerInnen keine große Relevanz zu haben. Thomas‘ Aussage ist insofern programmatisch „Ich kann schon kein Französisch, wieso soll ich dann Spanisch lernen?“. Demgegenüber stehen SchülerInnen wie Petra und Marina, deren Begeisterung für die Auseinandersetzung mit bisher unbekannten Fremdsprachen im Rahmen der Unterrichtsreihe deutlich zutage trat.
5.2 Reflexion des Vorgehens
Ich möchte in diesem Kapitel nun auf grundsätzliche Beobachtungen zur Unterrichtsreihe eingehen. Zunächst ist zu sagen, dass sprachenübergreifende Lehr-/Lernverfahren mit erhöhten Anforderungen an die Lehrkraft einhergehen. Ich bin zwar eine Fremdsprachenlehrerin und verfüge über gute Kenntnisse in Spanisch und auch über grundlegende Kenntnisse in Italienisch – allerdings bin ich eben keine Spanisch- bzw. Italienischlehrerin. So macht Nieweler (2001, S.5) darauf aufmerksam, dass sprachenübergreifendes Lehren und Lernen mit einer veränderten Lehrrolle einhergeht: „Er (der Lehrer) muss auch einen überzogenen Anspruch auf sprachliche Korrektheit im Sinne eines möglichst hohen Grades an Perfektion aufgeben, denn dieser steht dem Erwerb einer Sprachenvielfalt entgegen“. Daran schließt sich die Frage nach den Lehrkompetenzen an (vgl. auch ebd., S.7), denn Fremdsprachenlehrkräfte werden bisher nicht flächendeckend für den Mehrsprachenunterricht ausgebildet. Eine gewisse Expertise in Sachen mehrsprachigkeitsdidaktisch-orientierter Fremdsprachenunterricht ist allerdings unabdingbar für dessen Gelingen, denn LehrerInnen greifen im Unterricht stark auf ihr eigenes mehrsprachiges Repertoire zurück (vgl. auch Prokopowicz, 2017, S. 350f.) Grundsätzlich sprechen diese Erfahrungen dafür, sprachenübergreifenden Unterricht z.B. im Rahmen eines Team-Teaching1 durchzuführen, bei dem zwei Fremdsprachenlehrkräfte als Experte/tin für ihr Sprachfach stehen (vgl. Prokopowicz, 2017, S.355).
Ferner konnte ich die Beobachtung machen – und die Befunde aus den Lernprotokollen und SchülerInnenprodukten stützen dies – dass sprachenübergreifendes Lernen vor allem solche LernerInnen anspricht, die ohnehin Sprachen vergleichen und in der Lage sind, ihren Sprachlernprozess zu reflektieren bzw. zu verbalisieren. Bei ihnen erfolgt der Rückgriff auf Vorwissen mehr oder weniger automatisiert, ihre Brückensprache scheint stärker präsent zu sein als bei denjenigen LernerInnen, die eine Vorentlastung bzw. Formen von scaffolding und zusätzliche Übungen benötigen.
Aus diesen grundsätzlichen Reflexionsansätzen sowie den herausgearbeiteten Gründen für das Gelingen bzw. Nichtgelingen im Rahmen der dargestellten Unterrichtsstunden lassen sich folgende Konsequenzen für die pädagogische Praxis ableiten: Erstens sollten Phasen des reflexiven Lernens als Teil des Fremdsprachenunterrichts etabliert werden. Es hat sich gezeigt, dass das Lernprotokoll Schwierigkeiten deutlich macht und zeigt, wo die SchülerInnen stehen und wo Förderbedarf besteht. Es sollte daher als fortwährendes Diagnose- und Förderinstrument eingesetzt werden, um mit den SchülerInnen in einen Dialog über Gelerntes bzw. nicht Gelerntes zu treten. Um die SchülerInnen zu tiefergehenden Reflexionen anzuleiten, wäre die Methode des Lauten Denkens vorstellbar, bei der die Lernenden bei der Lösung einer Aufgabe ihre Gedanken zur Vorgehensweise verbalisieren und aufnehmen. Die Überlegungen der SchülerInnen über ihre Herangehensweise können eine Grundlage sein, um angewandte Strategien ins Bewusstsein zu heben. Zweitens wurde deutlich, dass der Einsatz von audiovisuellen Medien in Form von Filmauszügen, Liedern und Bildern in Form von Filmplakaten die SchülerInnen motiviert und das Redebedürfnis erhöht. Daneben hat sich gezeigt, dass (unbekannte) Sprachen auch z.B. als Hörverstehensaufgaben wie auch Sprachmittlung gewinnbringend in den Mehrsprachenunterricht integriert werden können. Drittens sind mehrsprachige Vergleiche in Form von Wortserien stärker für die sprachliche Arbeit im Französischen zu nutzen, um Vernetzungen innerhalb der Zielsprache und zwischen Sprachen zu ermöglichen. Die Auszüge aus den SchülerInnenprodukten und Lernprotokollen legen zwar nahe, dass die SchülerInnen für den zwischensprachlichen Vergleich sensibilisiert werden konnten. Um diese Vergleiche aber auch für Französisch nutzbar zu machen, sind Wortserien unabdingbar. So wäre es wünschenswert, dass das Erkennen des spanischen Wortes barras einen Vergleich zu Französisch barre nach sich zieht, der zugleich die Frage aufwirft, inwiefern dies mit deutschen Wort Barren zusammenhängt. Denn beim sprachenübergreifenden Lernen geht es nicht nur um eine zwischensprachliche Sensibilisierung, sondern auch um die Fragen „Woher kommen die Wörter? Wohin gehen sie? Und warum tun sie dies?“ (Nieweler, 2001, S.10).
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