Das Licht der Sonne fällt durch das Tor der Palisade .
In der Mütternacht, in der Nacht der Schöpfungskraft, erleben wir, dass es selbst im größten und tiefsten Dunkel Licht gibt, selbst im Tod gibt es Leben. Diese tiefste, längste und dunkelste Nacht gilt als Mutter aller Nächte. Während die Natur im Winter ruht und Laubbäume kahl sind und die Erde gefroren und unfruchtbar ist, erinnern wir uns an die Lebenskraft der Göttin im Tod, indem wir immergrüne Zweige von Nadelhölzern, Efeu und Hülse in unsere Häuser bringen und zu Kränzen und Girlanden binden.
Wir stellen am 4. Dezember Weidenzweige oder Forsythien in eine Vase, die in der Mütternacht blühen. Wir zünden Kerzen für unsere Mütter an, Kerzen, die Perchtas glänzendes Licht in unser Haus bringen, und Kerzen, die die Wiedergeburt des Lichts in tiefster Dunkelheit symbolisieren. Der christliche Weihnachtsbaum und Adventskranz, in dessen Ringform das zyklische Weltbild wiedergegeben wird, haben mit ihren immergrünen Zweigen und leuchtenden Kerzen ebenfalls die Symbolkraft der Göttin übernommen. In der tiefsten Dunkelheit schließlich erscheint Perchta als Lichtfrau und bringt das Licht zurück. 24
In der Nacht, in der das Licht wiedergeboren wird, feiern wir unsere Mutterlinie. Nicht das Lichtkind steht im Mittelpunkt, sondern die Lebenskraft, die Fähigkeit der Mütter, Leben zu schenken. Wir alle sind Teil der Kette des Lebens. Aus diesem Grund ist es besonders schön, gemeinsam mit Kindern zusammen diese Bräuche zu pflegen. Wir verbinden uns mit unseren Ahninnen und gedenken unserer Mütter, unsere biologischen Linie und unserer Herzenslinie. Wir gedenken unserer Mütter und Großmütter und wieder ihrer Mütter und Vormütter, gedenken aber auch der Frauen unseres Umfeldes, die uns geprägt und beeinflusst haben wie mütterliche Freundinnen, Lehrerinnen, Mentorinnen, und wir gedenken der unbekannten Mütter, wie Frauenrechtlerinnen, Suffragetten und anderer Frauen, die wir nicht persönlich kannten, und denen wir doch dankbar sind.
Wenn unsere Beziehung zu unseren leiblichen Müttern keine gute sein sollte, so haben sie uns doch das Leben geschenkt, und es ist bestärkend zu erkennen, dass alles, was in unserem Leben geschehen ist, uns dahin gebracht hat, wo wir jetzt sind.
Die Bezeichnung Rauhnächte geht auf Rauchnächte zurück, und auf den alten Brauch, in diesen Zwölfen täglich im Haus und den Ställen zu räuchern, um den Hof und die Familie und alle, die dort leben, vor Unheil zu bewahren. Dieser Brauch ist sehr alt, was sich wieder an der Benennung dieser heiligen Zeit nach Nächten ablesen lässt (anstelle von »Rauhtagen«).
Die Rauhnächte sind, wie die Nacht von Samhain, eine Zeit außerhalb der Zeit. Deswegen ist der Ausdruck, mit dem wir sie im Rheinland noch immer ganz natürlich im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnen zwischen den Jahren . In dieser Zeit sind die Schleier zwischen den Welten wieder dünn, und so haben die Träume in den Rauhnächten prophetische Kraft: Was in der ersten Nacht geträumt wird, deutet auf den kommenden Januar hin, der Traum der zweiten Rauhnacht auf den Februar, und so weiter. Reste davon haben sich auch im Brauch des Bleigießens in der Silvesternacht erhalten, was für viele Menschen heute dazugehört, auch wenn sie sich des Ursprungs dieses Brauches überhaupt nicht bewusst sind.
Der alte heilige Brauch des Räucherns in den Rauhnächten
In der letzten Nacht, der Perchtnacht, wird Perchta traditionell im Freien ein Tisch gedeckt, damit sie sich bei ihrer Umfahrt mit ihrem Seelenheer stärken kann. Sie möchte dabei aber keinesfalls beobachtet werden. Der Göttin aufzulauern und einen Blick auf sie zu stehlen, wäre Hybris. – Die Göttin zeigt sich denjenigen, denen sie sich zeigen will. Während der Rauhnächte gelten noch weitere strenge Regeln. So darf in den Rauhnächten nicht gearbeitet und vor allem keine Wäsche gewaschen werden. Und der Spinnrocken muss abgesponnen sein! Später hat man diese Regeln nicht mehr verstanden und Perchta als strafende Göttin dargestellt, die die Faulen straft. Die Bedeutung der Regeln ist aber eine ganz andere: Perchtas Zeit ist eine heilige Zeit, eine besondere Zeit, die sich vom Rest des Jahres abhebt. Es ist eine Zeit des Überganges vom alten ins neue Kalenderjahr. Übergänge sind immer ungewiss und werden deshalb begleitet von Schutzriten und -zaubern. Die vielen Regeln und Gesetze der Göttin in dieser Zeit helfen, den Übergang glatt zu meistern, und ihren Segen für das Neue zu erhalten. 25
Die Frau, die spinnt, ist Priesterin der Göttin, hat Teil an der schöpferischen Magie der Großen Göttin, die das Schicksal spinnt und die Fäden miteinander verwebt. In den Rauhnächten, als Zwischenzeitraum, als Zeit außerhalb der Zeit, liegt das Schicksal allein in den Händen der Göttin. 26
Die Priesterinnen kennen und achten die Regeln der Göttin. Diese Regeln dienen nicht dazu, Frauen als fleißig oder faul zu bewerten, sondern geben Hinweis darauf, dass diese Zeit heilig ist, ganz der Macht Perchtas untersteht. Viele Frauen geben heute deswegen in der ersten Rauhnacht symbolisch ihre Spindel der Göttin, indem sie eine Spindel auf ihren Altar legen und sie während der Rauhnächte nicht anrühren. 27
Auch die Rute, die man heute dem Weihnachtsmann oder Nikolaus zuschreibt, mit der er die Kinder straft, die unartig waren, war ursprünglich ein Symbol der Göttin, das vom Patriarchat verformt wurde. Als Lebensrute brachte Perchta in den Rauhnächten einen immergrünen Zweig ins Haus, um den Kindern ihren Segen zu geben. Vom Christentum wurde die Percht über Jahrhunderte hinweg verdammt und ihre Verehrung verboten. Viele überlieferte Sagen, in denen die Percht als grausam strafende Gestalt auftritt, die den Menschen Angst einjagt, die Bäuche aufschneidet und Ähnliches, stammen aus dieser Zeit. Den Menschen wurde die machtvolle Göttin genommen. Aus einer Winter- und Todesgöttin, die durch Winterstürme, das Ruhen und das Tod-Ähnliche in die zyklische Natur des Jahreskreises eingebunden ist, wurde eine Dämonin gemacht. Das heutige Perchtenlaufen der Alpenregionen bezieht sich auf eine verwandelte Form der ursprünglichen Göttin: Die Perchten heute sind wilde Naturgeister mit gruseligen Gesichtern, Hörnern und zotteligem Fell, die im Alpenraum in den Winternächten mit Fackeln umherlaufen und die Menschen erschrecken. Dennoch scheint hier trotz aller Verformung noch die ursprüngliche ungebremste Kraft der Göttin durch.
Die Mutter der Luft verehren
Zu Mittwinter lösche alle Lichter im Haus und entzünde um Mitternacht eine neue Kerze. Preise die Göttin, die aus dem Tod das Leben gebiert! Schmücke dein Haus oder deine Wohnung mit immergrünen Zweigen und roten Kerzen. Finde die Mutter der Luft an Orten, wo du den Wind fühlen kannst, zum Beispiel auf Hügeln und Bergen oder offenen Feldern. In den Rauhnächten verbrenne ihr Weihrauch und singe ihre Namen. In der Mütternacht lehre deine Kinder ihre Mutterlinie, erzähle ihnen die Namen und Geschichten ihrer Vormütter so weit zurück, wie du sie kennst. Wenn du Rat brauchst, verbrenne Weihrauch für deine Ahnen und lausche ihren Ratschlägen im Wind.
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