Nach wie vor sah ich nur die Augen der Kreatur, die mit der Dunkelheit verschmolz. Selbst meine Fackel vermochte die Finsternis nicht zu durchdringen. Im Gegenteil, schien es doch, als würden die Schatten das Licht aufsaugen. Die Flamme flackerte. Einen Moment lang befürchtete ich, sie würde verlöschen, doch als ich den Stab mit dem Kreuz berührte, loderte der Feuerschein auf, heller und strahlender als zuvor.
Der Dämon brüllte wütend auf, hatte er doch erkannt, dass er in mir kein willfähriges Opfer vor sich hatte.
Die letzten zwei Stufen nahm ich mit Schwung, während ich gleichzeitig die Fackel nach vorn stieß. Ich hatte gehofft, die Flamme im Leib der Kreatur zu versenken, doch blitzschnell wich sie zurück.
Ein Wehklagen und Wimmern drang nun von überall her, und verwundert hielt ich inne. Es stammte nicht von dem Dämon, sondern klang wie aus Dutzenden verschiedener gepeinigter Kinderkehlen.
Hielt er die Kinder in dem Haus gefangen?
Allein der Gedanke, dass der Dämon unschuldigen Kindern etwas angetan hatte, entfachte eine unbändige Wut in mir. Ich stieß ein weiteres Mal mit der Fackel vor, doch wiederum wich der Dämon geschickt aus. Nach wie vor hielt er sich in der ihn umgebenden Schwärze verborgen. Allein die Augen blitzten in höllischem Zorn.
Das alles wurde begleitet von seinem Gebrüll, dem sich immer höher schraubenden schrillen Wehklagen der Kinder und der Stimme des Pfarrers, der mit bebender Stimme die Heilige Schrift rezitierte.
Es gelang mir, den Dämon weiter zurückzudrängen, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Wieder flackerte die Flamme, drohte zu verlöschen. Ich wechselte das silberne Kreuz in die andere Hand, sodass ich mit der Linken nun Kreuz und Fackel zugleich umklammerte. Mit der Rechten aber zog ich den Silberdolch hervor.
Solcherart bewaffnet, stürzte ich mich dem in die Enge getriebenen Dämon entgegen. Als ich in die ihn umgebende Schwärze eindrang, war es mir, als umhüllten mich klebrige, schleimige Spinnenfäden. Sie versuchten mich aufzuhalten, doch als die Flammen sie erfassten, wichen sie zurück.
Und nicht nur das: Für einen Moment wurde es taghell, und wie von einem Blitz erleuchtet, präsentierte sich mir der Dämon in seiner ganzen Scheußlichkeit. Es handelte sich um eine spinnenartige Kreatur mit pelzigem Körper und spindeldürren Beinen. Als er das Maul öffnete, bleckten mir Reihen nadelspitzer Zähne entgegen.
»Stirb, Dämon!« Ich sprang vor, bereit, ihm den silbernen Dolch in den Leib zu rammen.
Doch stattdessen stieß ich gegen die Wand. Verblüfft musste ich feststellen, dass sich der Dämon in nichts aufgelöst hatte.
Ich fuhr herum, erwartete seinen Angriff von hinten, doch nichts geschah. Der Schein meiner Fackel erhellte allein Coctorius’ verblüfftes Gesicht. Er hatte mitbekommen, was geschehen war, und seine Lesung unterbrochen.
»Weiter! Lest weiter!«, herrschte ich ihn an, denn ich spürte, dass der Dämon noch in der Nähe war. Ich fühlte seine drückende Präsenz. Er belauerte uns.
Statt meiner Aufforderung Folge zu leisten, ließ Coctorius die Bibel fallen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer grässlichen Grimasse, die Augen glitzerten im selben glühenden Rot wie die des Dämons. Mit einem tiefen, tierischen Knurren sprang er mich an, die Hände zu Klauen geformt. Nicht nur die Überraschung hielt mich gefangen, vor allem war es der Gedanke, dass es nach wie vor Coctorius war, den ich vor mir sah – und der sich in ein Monstrum verwandelt hatte! Er prallte gegen mich, sodass ich zu Boden ging. Und schon war er über mir. Seine Klauen umfassten meine Kehle, die Krallen, die ihm urplötzlich gewachsen waren, bohrten sich in mein Fleisch. Die Fackel war meiner Hand entfallen, ebenso das Kreuz.
Schon wurde mir schwarz vor Augen, während ätzender Geifer aus dem Maul des Pfarrers auf mein Gesicht tropfte. Meine einzig verbliebene Waffe war der Silberdolch. Mit letzter Kraft hob ich den Arm und stieß die Klinge dem Dämon tief in die Brust.
Die Kreatur, in die Coctorius sich verwandelt hatte, heulte auf. Die Klauen erschlafften, sodass ich sie mühelos beiseite schlagen konnte. Ich stieß seinen Körper von mir und rollte mich zur Seite. Er blieb auf dem Bauch liegen. Rasch ergriff ich die Fackel. Im Schein der Flamme erkannte ich, dass eine grauenvolle Veränderung mit Coctorius vor sich ging: Die Haare ergrauten innerhalb von Sekunden und fielen aus. Die Klauen wurden wieder zu Händen, deren Fleisch Blasen warf, als hätte Coctorius die Pest. Er wimmerte und schrie in höchster Pein.
»Coctorius!« Ich beugte mich zu ihm hinab und drehte ihn auf den Rücken. Auch sein Gesicht veränderte sich, wurde faltig und runzlig wie das eines uralten Mannes.
Er starb vor meinen Augen!
Aber noch hatte er es nicht überstanden. Er öffnete den Mund, nein, vielmehr war es, als öffnete jemand anderes seinen Mund von innen. Er wurde ihm so unnatürlich weit aufgerissen, dass er an den Mundwinkeln einriss und Blut herausspritzte. Coctorius würgte und rang verzweifelt nach Luft. Mit den Händen fasste er sich an die Kehle. Sein Gesicht lief blau an, während die weit aufgerissenen Augen zu platzen drohten.
Dann quoll es aus ihm heraus. Ein schwarzer Schleim, die Essenz des Dämons. Träge wälzte sich die Lache über den Boden und versuchte, in die Dunkelheit zu entfliehen.
Doch diesmal handelte ich schneller und stieß die Fackel in die schleimige Schwärze. Zischend und brodelnd ging sie in Flammen auf.
Der Dämon starb – doch um welchen Preis!
Schwer atmend wartete ich ab, bis ich sicher sein konnte, dass die schleimige Kreatur tatsächlich vollständig vom Feuer verzehrt worden war.
Der klagende Chor der Kinder war verstummt.
Ich widmete mich wieder dem Pfarrer. Den Dämon hatte ich aus seinem Körper vertreiben können, doch das Gift, das dieser darin hinterlassen hatte, tat seine schreckliche Wirkung. Die welke Haut hing nur noch in Fetzen vom Fleisch. Schwärende Wunden bedeckten Coctorius’ Gesicht. Es ging zu Ende mit ihm, und ich konnte nicht mehr tun, als hilflos die Fäuste zu ballen. Ich kniete neben ihm nieder, hob seinen Kopf und beschwor ihn, gegen das Gift des Dämons anzukämpfen.
Er bäumte sich auf, spuckte Blut und presste seine Lippen gegen mein Ohr.
»Nammöd!«, keucht er. »Nammöd!«
»Was wollt Ihr mir damit sagen?«
»Nammöd! Der Ort, an dem …«
Mit einem Aufstöhnen verschied er mitten im Satz.
Behutsam ließ ich seinen Kopf zu Boden gleiten.
Nammöd! Der Ort, an dem …
Der Ort, an den man die Bramsche verschleppt hatte, um das Kind auszutragen? Ich wusste es nicht, hatte nie von einem solchen Ort gehört. Doch ich schwor mir, es herauszufinden.
Ich erhob mich und sah mich in dem Zimmer um. Nun, da der Dämon vernichtet war, war es nicht mehr ganz so finster, die Schwärze verschluckte nicht länger das Flammenlicht.
Der Raum war karg eingerichtet. Eine Bettstatt, eine Kommode, mehr war es nicht, was ich vorfand. Vielleicht hatten Diebe auch schon das meiste geraubt.
Als ich jedoch die angrenzende winzige Kammer betrat, stockte mir der Atem. Dort stand eine hölzerne Kinderwiege.
Sie begann in dem Moment zu schaukeln, als ich ihrer ansichtig wurde.
Mit zwei Schritten hatte ich sie erreicht und sah hinein.
Sie war leer.
Ich habe die Gabe.
Doch was nützt sie mir, wo ich versage, wenn ich doch helfen will.
Wo ich versage, wenn ich erlösen will.
Wo ich versage, wenn ich Leben retten will.
Mein Kampf gegen das Böse hatte mir bisher nur vor Augen geführt, wie viel ich noch lernen musste, um mich als würdig zu erweisen, Gott zu dienen.
Die Verluste, die meinen Weg säumten, waren zu zahlreich, als dass ich mich wirklich freuen konnte.
Zuletzt also hatte es den armen Pfarrer getroffen. Stunde um Stunde hatte ich gegrübelt, was es mit diesem Ort namens Nammöd auf sich hatte und wo er wohl liegen mochte.
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