Selbst für dich, fügte ich in Gedanken hinzu.
Großer Gott – brauchte er vielleicht auch jemanden, der ihm die Schnürschuhe zuband oder ihm eine Gutenachtgeschichte vorlas, damit er einschlafen konnte? Dann war es wahrlich höchste Eisenbahn, dass er einen Ersatz für seine Jutta fand.
Ich ließ ihn verdattert stehen und begab mich blitzschnell in die Küche, um eventuellen weiteren Diskussionen zu diesem Thema direkt einen Riegel vorzuschieben.
Die Lebensmittel stellte ich gruppenweise zusammen: für die Vorspeise, die Hauptspeise und das Dessert.
Nach und nach erledigte ich die Vorbereitungen. Nachdem ich Kartoffeln und Sellerie geschält und gewürfelt hatte, stellte ich die Nusskruste für die Medaillons her, rollte sie aus und stellte sie in den Kühlschrank. Danach pürierte ich die Himbeeren zusammen mit etwas Zucker und passierte sie durch ein Haarsieb, das ich Gott sei Dank in der Küche auftrieb. Himbeersoße mit Kernen drin – das hätte mich echt genervt. Nach und nach füllten sich Schüsselchen und Behälter mit Zutaten, die ich später brauchen würde, wenn es ans eigentliche Kochen ging. Kartoffeln und Sellerie wollte ich aufsetzen, sobald der Gast eingetroffen war, damit sie frisch vom Herd kamen, wenn ich das Püree herstellte.
Als ich meine Vorbereitungen beendet hatte, ging ich ins Wohnzimmer, um den Servierwagen zu holen. Dengelmann, der in der Zwischenzeit ein weißes Hemd und blank polierte Schuhe angezogen hatte, hockte in einem der Sessel und starrte trübe vor sich hin. Da freute sich jemand aber überhaupt gar nicht auf seinen Besuch. Als ich eintrat, schreckte er hoch.
»Ich räume jetzt das Geschirr vom Esstisch und nehme es mit in die Küche«, erklärte ich ihm. »Das hatte ich nur hingestellt, um Ihnen den Tisch komplett eingedeckt zu demonstrieren.«
Er nickte geistesabwesend, dann sagte er: »Kochen Sie schon? Ich rieche gar nichts.«
Ich lächelte ihn aufmunternd an. »Das werden Sie, sobald Ihr Gast eingetroffen ist. Alles ist vorbereitet. Die einzelnen Gänge werden frisch zubereitet. Das geht schneller, als Sie sich vielleicht vorstellen können. Vertrauen Sie mir, alles wird rechtzeitig, knackheiß und ohne lange Wartezeiten auf den Tisch kommen.«
»Ich vertraue Ihnen«, sagte er feierlich.
Um Punkt sieben Uhr klingelte es. Kartoffeln und Sellerie standen bereits auf dem Herd und köchelten vor sich hin, und nun schob ich die Feigen mit dem Frischkäse in den Backofen.
Als er und sein Gast an der Küchentür vorbeikamen, hörte ich die Frau sagen: »Da bin ich aber mal gespannt, was du mir Schönes auftischen wirst, Gerry.«
Mich traf beinahe der Schlag, denn ich erkannte die Stimme sofort.
Gerhard Dengelmanns Gast an diesem Abend war Frau Berger.
Manchmal erweisen sich Entscheidungen im Nachhinein als besonders vorausschauend, auch wenn das nicht die ursprüngliche Absicht war
Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht mit Frau Berger. Was hatte die denn hier oben zu suchen – bei dem Mann, den sie für den Mörder ihrer verschwundenen Freundin hielt?
Mir wurde spontan übel bei dem Gedanken, dass sie plante, ihn mit ihrem Verdacht zu konfrontieren. Was versprach sie sich davon?
Und Dengelmann?
Wieso lud er sie zum Essen ein, wenn sich laut Frau Berger ihr Kontakt doch darauf beschränkte, dass er sie beschimpft und verkündet hatte, froh zu sein, sie nie wieder sehen zu müssen? Und ihr empfohlen hatte, sich um ihren eigenen Dreck zu kümmern?
Dem Backofen entströmte würziger Duft, der jeden Moment ins Verbrannte umkippen würde.
Herrje … die Feigen! Hektisch riss ich die Klappe auf und den Rost heraus. Das hätte jetzt noch gefehlt, dass ich das Essen versaute.
Während ich die Feigen mit dem in ihnen gratinierten Ziegenkäse auf zwei Teller setzte und mit Honig beträufelte, rasten meine Gedanken.
Ich hatte absolut keine Ahnung, was ich machen sollte. Einfach den Abend durchziehen? War es klug, wenn die Berger von meiner Anwesenheit wusste – oder vielleicht gerade nicht? Wusste sie vielleicht ohnehin davon? Dass ihre Wohnung dunkel gewesen war, musste kein zwingender Beweis für ihre Abwesenheit sein.
Als die Küchentür sich plötzlich öffnete, wäre ich vor Schreck beinahe unter den Tisch gehechtet.
»Das duftet aber lecker«, sagte Dengelmann, dessen Blick wohlgefällig auf den Tellern mit den hübsch angerichteten Feigen ruhte.
»Die … die sind auch lecker«, erwiderte ich und unterdrückte ein hysterisches Gackern. Innerlich dankte ich welcher höheren Macht auch immer, dass ich mich erfolgreich dagegen gewehrt hatte, das Essen zu servieren. Dann hätte ich jetzt schön blöd dagestanden. Von der Berger ganz zu schweigen. Immerhin hatte sie Erwin und mir gegenüber kein Wort darüber verloren, dass sie sich mit Dengelmann zu treffen gedachte.
»Guten Appetit«, fügte ich lahm hinzu, als er mit dem Servierwagen abdackelte.
So gern ich Erwin angerufen hätte – mir fehlte die Zeit, denn ich musste umgehend mit der Zubereitung des Hauptgangs beginnen. Und wie gern ich erst belauscht hätte, was die beiden im Esszimmer zu bequatschen hatten …
Mühsam raffte ich meine fünf Sinne zusammen, um mich auf das zu konzentrieren, was jetzt anlag. Wenn der Hauptgang auf dem Tisch stand, hatte ich ein wenig Verschnaufpause, um die überraschende Entwicklung der Ereignisse zu überdenken.
Ich briet das Fleisch an, bedeckte die Medaillons mit der Nusskruste und verfrachtete sie in den Backofen. Zum Bratensatz in der Pfanne kamen etwas Brühe und Rotwein, die von allein zu einer Soße einreduzieren würden.
Fleisch: erledigt.
Was als Nächstes?
Die Möhren. Putzen, ein wenig Grün stehen lassen, mit etwas Butter in eine weitere Pfanne, fünf Minuten dünsten: erledigt. Immer wieder drifteten meine Gedanken weg, immer wieder musste ich mich zur Ordnung rufen. Das Püree fehlte noch, verdammt. Der abgegossenen, weich gekochten Mischung aus Kartoffeln und Sellerie verabreichte ich einen ordentlichen Klotz Butter und etwas Muskatnuss, dann rückte ich ihr mit einem Stampfer zuleibe. Es tat gut, ordentlich Kraft aufwenden zu müssen – so konnte ich ein wenig von dem Adrenalin abbauen, das mir durch den Körper schoss.
»Perfektes Timing«, sagte ich, als Dengelmann mit dem Servierwagen in die Küche kam. »Sie können den Hauptgang gleich mitnehmen.«
Er sah mir zu, wie ich die Teller anrichtete. »Wollen Sie nicht wissen, wie die Vorspeise angekommen ist?«
Herrje – nichts auf der Welt interessierte mich im Moment weniger.
Ich rang mir ein Lächeln ab und vermied es, ihn anzusehen. »Niemand hat unter Protest und türenschlagend die Wohnung verlassen oder hat die Küche gestürmt, um sich zu beschweren. Ganz gut also, schätze ich.«
Dengelmann lachte leise. »Mir hat es wunderbar geschmeckt. Wirklich gut.«
»Und Ihr Gast? War die Dame auch zufrieden?«, fragte ich in der Hoffnung, dass er irgendetwas Verräterisches antworten würde.
»Ihr Teller ist leer, wie Sie sehen.«
Alles klar – kryptischer ging es nicht. Oder nein, eigentlich war es vielmehr entlarvend, denn der Subtext war folgender: Mir ist schnurzpiepegal, ob es dieser Frau geschmeckt hat. Das Essen ist der einzige Grund, weshalb ich diesen Abend mit ihr überstehe.
Ich stellte die Teller auf den Servierwagen und nickte. »Kann losgehen. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen beiden.«
»Mir bestimmt, da bin ich ganz sicher«, erwiderte er und schob ab.
Hastig schloss ich die Tür hinter ihm. Mit dem Hauptgang würden sie erst einmal beschäftigt sein, also konnte ich Erwin endlich anrufen. Mit fliegenden Fingern fummelte ich mein Handy aus der Jacke, die Gott sei Dank nicht an der Garderobe, sondern über der Lehne eines Küchenstuhls hing. Es dauerte einen Moment, aber schließlich ging Erwin ans Telefon. Im Hintergrund hörte ich den Fernseher lärmen.
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