»Erstens: Du bist nicht die Gastgeberin«, sagte Erwin. »Wenn du etwas servierst, das die Dame nicht mag oder verträgt, ist Dengelmann der Arsch, weil er die Auswahl des Menüs dir überlassen hat. Und weil er sich bei der Dame nicht vorher danach erkundigt hat, aber das nur nebenbei. Zweitens: Es ist nicht deine Aufgabe, dir über zig Eventualitäten den Kopf zu zerbrechen, und zwar aus den eben bereits genannten Gründen.«
Na, dann war ja alles in Butter.
Zu Hause ging ich erst einmal unter die Dusche. Nicht nur, dass mich das ungewohnte Putzpensum ordentlich ins Schwitzen gebracht hatte – ich fühlte darüber hinaus das dringende Bedürfnis, mir diesen Hausfrau-Uschi-Moment abzuwaschen, der noch immer zäh wie Tapetenkleister in meinem Hirn klebte und einfach nicht verschwinden wollte.
Natürlich war das Duschbad in dieser Sache eine reine Übersprungshandlung, aber so konnte ich mich wenigstens äußerlich von dieser unangenehmen Fantasie reinigen. Die Vorstellung, dass meine Beschäftigung bei Dengelmann durch diese Wahnvorstellung auch nur den Hauch des Sexuellen bekam, war mir einfach zu schräg.
Nein, falsch: Es war mir zutiefst zuwider.
Als ich später mit einem Espresso am Küchentisch saß und per Laptop das Internet nach Rezeptvorschlägen für ein Drei-Gänge-Menü durchforstete, überfiel mich plötzlich schmerzhafte Sehnsucht nach Pascal. Ich wählte seine Nummer, und er ging tatsächlich ans Telefon.
»Wie geht es meiner Liebsten?«, fragte er fröhlich.
»Sie vermisst dich«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Was machst du so?«
Begeistert erzählte er von seinem Tag, wie viel Spaß die Arbeit ihm mache und wie nett die Kollegen seien.
»Freut mich«, sagte ich. »Es ist also so toll, wie du es dir erhofft hast?«
Ich spürte sein Strahlen selbst durch den Hörer. »Noch besser, Loretta. Ich komme mir vor wie in einem Traum. So könnte es ewig weitergeh…«
Er stockte, weil ihm klar wurde, was er da gesagt hatte.
»Um Himmels willen, Loretta«, sagte er hastig in mein betroffenes Schweigen hinein, »so habe ich das nicht gemeint, versteh mich bitte nicht falsch. Wirklich, ich vermisse dich schrecklich.«
Aber du hast jede Menge Ablenkung, dachte ich und zwang mich zu einem munteren Tonfall. »Unsinn, Schatz, alles ist bestens. Ich verstehe dich doch! Mach dir keinen Kopf um mich. Alle Freunde sind um mich herum.«
Seine Erleichterung war ihm anzuhören, als er sagte: »Das weiß ich doch. Und was ist bei dir sonst so los?«
Eigentlich wäre jetzt eine gute Gelegenheit gewesen, ihm vom Dengelmann-Auftrag zu erzählen. Das hatte ich noch nicht getan. Und von dem Uschi-Moment, denn mit ihm zusammen hätte ich bestimmt sogar darüber lachen können.
Aber dazu war mir die Lust vergangen. »Alles wie immer, nichts Besonderes. Das gewohnte, langweilige Loretta-Leben.«
Pascal lachte leise. »Dein Leben ist alles andere als langweilig, das weißt du selbst am allerbesten. Sollte etwa kein Mord in Sicht sein?«
»Mal den Teufel nicht an die Wand. Ich kann sehr gut ohne leben. Von der Aufregung habe ich erst einmal die Nase voll.«
»Und wie geht es Baghira?«
Unwillkürlich blickte ich hoch zum Krähennest: Lediglich die Ohrenspitzen des Katers waren zu sehen. »Dem geht es prima. Frisst, scheißt, schläft. Was ein verwöhnter Hauskater den lieben Tag lang so zu tun pflegt.«
Pascal seufzte. »Ich wünschte, ich könnte mich mal eben von Scotty zu euch beamen lassen, aber …«
Irgendjemand im Hintergrund rief seinen Namen, und er fügte hinzu: »Ich muss los, Süße, ich werde gebraucht. Bis bald, ich liebe dich.«
»Ich dich auch«, erwiderte ich, aber er hatte bereits aufgelegt.
Ich warf das Telefon auf den Tisch und starrte es böse an, als wäre es schuld daran, dass mein Gespräch mit Pascal mir die Laune verdorben hatte. Mich nervte, dass er Spaß hatte und mich nicht so vermisste wie ich ihn.
Ja, du wirst gebraucht, dachte ich, und zwar hier, von deiner Freundin.
Das war unfair, ich weiß, aber ich wollte jetzt sauer sein. Er hatte gut lachen, der Blödmann. Er erlebte gerade ein Abenteuer, traf täglich neue Menschen, stand täglich vor neuen Herausforderungen, machte coole Sachen … und ich? Musste mir ein verfluchtes Menü für einen Spießer ausdenken, der irgendeine langweilige Else betören wollte.
Ich wandte mich wieder der Rezeptsuche zu. Dutzende Internet-Communitys ambitionierter Hobbyköche überboten sich gegenseitig mit Vorschlägen für Zwei-Personen-Dinner, die aber alle einen irgendwie schlüpfrigen Subtext zu haben schienen. Ich fand nur Vorschläge wie Valentinstag-Dinner für Liebende oder Anregendes Dinner für zwei oder Candle-Light-Dinner für zwei … also wirklich: Konnten zwei Menschen nicht ganz normal miteinander essen, ohne dass gleich eine Rosenblätter- und Teelichtspur direkt ins Schlafzimmer führte?
Und überhaupt: Was sprach eigentlich gegen Bockwurst und Kartoffelsalat?
Was in Tausenden deutschen Haushalten gut genug für Heiligabend war, konnte für Herrn Dengelmann ja wohl nicht schlecht sein, oder? Oder sollte ich einfach das Menü kochen, das ich damals als Kandidatin für Einer gibt den Löffel ab! meinen Gästen serviert hatte? Kartoffelcremesuppe mit gebratenen Garnelen als Vorspeise, Lammbratlinge mit Wirsingspalten an Gorgonzolasoße als Hauptspeise und zu guter Letzt gab es ein Trifle mit Erdbeeren. Immerhin hatte ich dreißig Punkte dafür eingeheimst, genauso viele wie Frank, der ebenfalls an dieser Kochshow teilgenommen hatte.
Andererseits gehörte Lamm zu den Dingen, die nicht bei jedem Essensgast Jubel auslösten. Waaaas? Ich esse doch kein süßes kleines Lämmchen … wahlweise Kälbchen, Ferkelchen und dergleichen gerade der Kinderkrippe entstiegenes Getier.
Aber Baby-Ananas essen, das konnten sie, diese Heuchler.
Vielleicht sollte ich Frank um Rat fragen? Trotz seiner heißen Liebe zu Deftigem aus den Imbissbuden des Ruhrpotts war er ein exzellenter Koch, wie er nicht nur bei der Kochshow eindrucksvoll bewiesen hatte. Ich sah auf die Uhr, es war kurz vor drei. Konnte gut sein, dass er schon Feierabend hatte.
Zehn Minuten später stand ich am Herd und köchelte eine Tomatensoße, denn Frank war auf dem Weg zu mir. Wie ich es geahnt hatte, war die Formulierung ›ich brauche deinen Rat‹ für ihn unwiderstehlich. Auch bei der Aussicht, bei mir einen – oder zwei – Teller Spaghetti mit leckerer Tomatensoße und großzügiger Parmesanberieselung abzugreifen, konnte er unmöglich Nein sagen.
Das Nudelwasser kochte bereits, als er klingelte. Ich ließ ihn herein und flitzte zurück in die Küche, um die Spaghetti in den Topf zu geben.
Frank war mir gefolgt und guckte mir über die Schulter. »Ah, du nimms diese superdünnen Spaghettis. Lecker.«
»Ja, die brauchen nur vier Minuten. Geht ratzfatz.«
Ich verkniff mir, ihn zu verbessern. Er sagte grundsätzlich Tortellinis und Zutschinis oder auch Expresso und Krossong, aber ich verschonte ihn mit meiner sonst üblichen Klugscheißerei und unterließ es, ihn zu korrigieren. Frank durfte das.
»Hände waschen, hinsetzen«, kommandierte ich.
Wenige Minuten später saßen wir am Tisch. Er mochte einiges falsch aussprechen, beherrschte aber die korrekte Art, Spaghetti zu essen: Nicht mit Gabel in der rechten und Löffel in der linken Hand wie die meisten, sondern nur mit der Gabel in der rechten, wie Italiener es praktizierten.
Nachdem er mit beinahe heiliger Konzentration zwei Portionen verputzt hatte, schob er den Teller weg und lehnte sich zurück. »Boah, Loretta, dat war gut. Tomatensoße hasse echt drauf, dat muss man dir lassen. Du brauchs meinen Rat, hasse gesacht. Also, worum geht et?«
»Ich muss ein Dinner für zwei Personen kochen und habe null Ideen.«
»Wat? Kommt der Pascal schon nach Hause?«, fragte er verblüfft.
Читать дальше