Nur mühsam gewann ich meine Fassung zurück, schüttelte den Kopf und hob grinsend den Daumen, woraufhin er sich wieder verzog.
Ich lehnte mich an die Balkonbrüstung, um tief durchzuatmen. Es dauerte einige Minuten, bis ich meine Arbeit fortsetzen konnte.
Schließlich waren nur noch zwei Räume übrig: das Schlafzimmer und sein Büro. Er hatte gesagt, sein Arbeitszimmer gehöre nicht zu meinem Aufgabenbereich. Putzte er dort selbst? Oder war das Fenster vielleicht blind vor Dreck?
Einige Sekunden lang stand ich unschlüssig vor der Tür, dann war meine Entscheidung gefallen. Ich klopfte, wartete allerdings nicht auf seine Antwort, sondern platzte überfallartig sofort hinein.
Er saß am Schreibtisch vor einem Laptop mit großem Bildschirm und fuhr erschrocken zu mir herum. Zwar veränderte er geistesgegenwärtig mit einem hastigen Klick die Anzeige auf seinem Monitor, aber ich hatte bereits erkannt, womit er sich gerade beschäftigte: Dort war die Website einer durch Werbung in Funk und Fernsehen bekannten Partnerschaftsbörse zu sehen gewesen.
So war das also: Der verlassene Herr Dengelmann guckte sich bereits nach Ersatz für seine Jutta um, das war ja mal hochinteressant.
»Was wollen Sie?«, fragte er unwirsch, und seine Stimme klang auf einmal gar nicht mehr nach süßem Honig. »Hatte ich Ihnen nicht erklärt, dass es für Sie in diesem Raum nichts zu tun gibt?«
Rasch heuchelte ich angemessene Zerknirschtheit. »Ach, das gilt auch für die Fenster? Das hatte ich falsch verstanden. Ich dachte, Sie wollten, dass ich von Ihrem Schreibtisch wegbleibe und nichts durcheinanderbringe.«
»Nein, das gilt für den gesamten Raum«, blaffte er.
»Kommt nicht wieder vor«, murmelte ich devot. »Ich kann mich nur bei Ihnen entschuldigen, Herr Dengelmann.«
Er schnaubte und wandte mir abrupt wieder den Rücken zu, und ich zog mich wieder zurück.
Was haben seine Aktivitäten bezüglich Partnersuche wohl zu bedeuten?, fragte ich mich.
Hatten sie irgendeine Bedeutung für unseren Fall – wenn es überhaupt einen Fall geben sollte? Oder hatte Jutta Dengelmann ihn tatsächlich nur einfach verlassen, wie er Frau Berger gegenüber behauptet hatte, und er sah sich mal unverbindlich auf dem Markt um? Nichts, was ihm vorzuwerfen wäre, wie ich fand.
Andererseits: Hatte er vielleicht doch seine Gattin entsorgt, um sich eine Neue suchen zu können, ohne sich mit einer lästigen Scheidung herumplagen zu müssen?
Sollte schon vorgekommen sein.
Nur noch ein Fenster war zu putzen: das des Schlafzimmers, neben seinem Büro der für mich interessanteste Raum der Wohnung. Ich schob die Gardine zur Seite, öffnete das Fenster und stellte den Eimer, den ich mit frischem Wasser gefüllt hatte, auf die Fensterbank.
Dann lauschte ich mit angehaltenem Atem. Von Dengelmann hörte ich keinen Laut. Ich hoffte, dass er ganz konzentriert die Partnerbörse durchforstete, denn es war an der Zeit, einen Blick in die Schränke und Kommoden des Schlafzimmers zu werfen.
Behutsam öffnete ich eine Schranktür nach der anderen – sorgsam darum bemüht, keine verräterischen Geräusche zu verursachen. Das hätte mir gerade noch gefehlt, dass er mich hier beim Schnüffeln in seiner allerprivatesten Sphäre erwischte.
Ich fand kein einziges weibliches Kleidungsstück – weder im Schrank noch in einer der Kommodenschubladen. Nichts, nada, niente. Keine Bluse, kein Kleid, kein Tuch, keinen Schlüpfer, keinen Rock. Es wirkte ganz so, als hätte Jutta Dengelmann nie existiert.
Seine Hemden, Pullover, Anzüge, Sakkos und Hosen hatte er großzügig über den ellenlangen Kleiderschrank verteilt, wohl um den zur Verfügung stehenden Platz optimal auszunutzen. Sogar seine zwei Trainingsanzüge hatte er auf Bügel gehängt. In einem Schrankteil entdeckte ich die zweite Garnitur Bettzeug, allerdings ohne Bezüge. Nicht ungewöhnlich, schließlich benötigte er nur ein Kopfkissen und eine Decke. Hinter einer weiteren Schranktür fand ich einen großen Rollkoffer sowie eine altmodische karierte Reisetasche.
Während ich das Fenster putzte, grübelte ich darüber nach, was wohl mit Jutta Dengelmanns Kleidung und sonstigen persönlichen Dingen passiert war. Hatte er alles umgehend entsorgt, nachdem sie ihn verlassen hatte?
Neutral betrachtet wäre das eine nachvollziehbare Reaktion: Wozu sollte er ihre Plünnen aufbewahren? Für den Fall, dass sie es sich irgendwann vielleicht anders überlegte und zu ihm zurückkehrte? Aus meiner Sicht fand ich es gesünder, alles loszuwerden, und zwar so schnell wie möglich.
Ob irgendwelche anderen Dinge in der Wohnung seiner Jutta gehört hatten, konnte ich nicht sagen. Keine Ahnung, ob es ihre oder seine Bücher waren und ob vielleicht sie die Musik-CDs angeschafft hatte.
Die Wohnung, wie sie sich mir momentan präsentierte, war neutral eingerichtet. Sie trug weder einen explizit weiblichen noch einen männlichen Stempel. Dass die Ausstattung nicht meinem Geschmack entsprach, tat nichts zur Sache.
Zufrieden marschierte ich durch die Räume und kontrollierte noch einmal alle Fenster, die sich mir glänzend und streifenlos präsentierten – grelle Wintersonne hin oder her. Blieben also nur noch die Fußböden, dann war ich mit meiner Arbeit für heute fertig.
Ungeachtet der Tatsache, dass Dengelmann nur eine Trockenreinigung verlangte, wischte ich Küche und Bad nass durch, bevor ich mir den Staubsauger schnappte und mich dem Rest der Wohnung widmete. Überaus sorgfältig saugte ich jedes Eckchen, die Teppiche und die Polster, dann klappte ich die Bürste aus und reinigte den Parkettboden von nicht vorhandenem – oder zumindest unsichtbarem – Staub.
Als ich alles erledigt hatte, blieb nur noch, mich von Dengelmann zu verabschieden und meinen nächsten Einsatz zu vereinbaren.
Ich klopfte an die Tür seines Arbeitszimmers und wartete diesmal brav ab, dass er reagierte.
Er rief mich nicht herein, sondern kam raus und fragte: »Haben Sie noch einen Moment Zeit? Ich habe noch ein … äh … Anliegen, dass Sie vielleicht … äh … ungewöhnlich finden werden. Also, ich werde es Ihnen nicht übel nehmen, wenn Sie ablehnen, das vorweg.«
Na, das klang aber spannend. Und auch ein bisschen verstörend, um ehrlich zu sein.
Er ging vor mir her in die Küche und bat mich, Platz zu nehmen. Er setzte sich ebenfalls und knetete nervös seine Hände. Schließlich sagte er: »Zuerst möchte ich mich für mein unhöfliches Verhalten vorhin entschuldigen. Als Sie in mein Arbeitszimmer kamen. Ich war einfach erschrocken. Wenn ich so konzentriert am Rechner sitze …«
Klar, dachte ich bissig, wenn man gerade durch einen Katalog mit potenziell willigen Weibern blättert, braucht man seine ganze Konzentration.
Dennoch gab ich mich großzügig. »Schon vergessen, Herr Dengelmann.«
Er nickte geistesabwesend. »Schön. Schön. Sagen Sie – können Sie eigentlich gut kochen, Frau Luchs?«
Nun, zumindest konnte ich essbare Mahlzeiten produzieren, von denen man nicht krank wurde. Ob ich gut kochte, hatte ich mich nie gefragt. Bisher schien es meinen Gästen jedenfalls immer geschmeckt zu haben.
»Seltsame Frage«, erwiderte ich. »Ja, ich koche. Ziemlich oft sogar. Und bisher hat sich niemand beschwert. Ob ich gut koche, ist sicherlich eine Frage der Perspektive. Aus Sicht eines Sternekochs nicht unbedingt, aber für den Alltagsgebrauch reicht es, denke ich. Warum interessiert Sie das? Wollen Sie mir anbieten, meinen Einsatz bei Ihnen auszuweiten? Keine Lust mehr auf Pizzaservice?«
Er sah mich irritiert an. »Wie kommen Sie auf Pizzaservice?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Ganz einfach: Bei unserem ersten Zusammentreffen stand unter diesem Tisch eine große Plastiktasche, die offenbar als Sammelbehälter für Altpapier und speziell für leere Pizzakartons diente. Für mich ein deutlicher Hinweis auf Ihre Essgewohnheiten.«
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