»Die internationalen Pommesbudenregeln, natürlich«, erwiderte er ernst. »Pommes dürfen nich kalt werden, Bier darf nich zu schale Plörre werden. Nicht labern – essen, und zwar zügich. Dat hat so leckeret Schmackofatz nich verdient, dat et nich mit Respekt behandelt wird.«
Ach, er hatte ja recht. Nichts wurde so schnell kalt und damit beinahe ungenießbar wie die Speise der Götter aus der Imbissbude.
In Windeseile beendete Frank sein Mahl, leerte mit einem beherzten Schluck seine Bierflasche, lehnte sich zurück und rülpste. »Sorry, aber dat musste jetz sein.«
Ich kicherte. »Schon gut. Ist bei mir erlaubt, weißt du ja.«
Er musterte mich wohlwollend, dann sagte er: »Hömma, wat habbich gehört? Du has ma widda so ’n Andakawwa-Ding am Laufen? Erzähl ma.«
Ich stellte mir – oder ihm – erst gar nicht die Frage, woher er das wusste. Und es erklärte gleichzeitig, warum er hier aufgekreuzt war: Neugier. Logisch – immerhin hatten wir vor einigen Monaten gemeinsam so ein ›Undercover-Ding‹ bestritten.
»Diesmal ist es anders«, erwiderte ich. »Lange nicht so gefährlich.«
»Die Doris sacht, der Typ hat seine Olle gekillt, und du sollz dat beweisen.«
»Das hat Doris ganz sicher nicht so gesagt!«
Er grinste verlegen.
»Siehste«, fuhr ich fort. »Alles nicht mal halb so spektakulär. Seine Nachbarin denkt, da ist was faul, weil seine Frau nicht mehr da ist. Wir wissen noch nicht einmal, ob die sich nicht bloß was einbildet. Kann sehr gut sein, dass überhaupt kein Verbrechen dahintersteckt. Ich gucke mich bei ihm nur mal ein wenig um.«
»Hehehe«, machte er. »Als Putze, sacht die Doris.«
Ich nickte. »Das stimmt. Deshalb habe ich bei Doris ja auch Nachhilfestunden genommen.«
»Hihihi. Find ich lustich.«
»Wie nett, dass ich etwas zu deiner Unterhaltung beitragen konnte. Immer gern.«
Er wurde ernst. »Ich bin hier, weil ich dir sagen will, dat du vorsichtich sein sollz, Loretta. Schön aufpassen und bloß keine Dummheiten machen, hörsse?«
Ich versprach es ihm hoch und heilig.
Nach einer eher unruhigen Nacht, in deren Träumen ich gigantische Fensterflächen und kilometerlange Säle mit Parkettboden zu putzen hatte, erwachte ich am nächsten Morgen mit einer Laune, die ich nur als grottenschlecht bezeichnen konnte. Immer wieder war ich aufgewacht und wieder eingeschlafen, um mich mit neuen Herausforderungen konfrontiert zu sehen. Das mit dem Parkettboden musste der Buckingham-Palast gewesen sein. Mindestens. Überdies tat mir alles weh, so als hätte ich die geträumte Arbeit tatsächlich geleistet.
Ich hatte nicht einmal Lust, mich mit Baghira zu unterhalten, sondern knallte ihm sein Frühstück wortlos vor die Nase. Dass er es sich nicht hatte nehmen lassen, kurz vor dem Saubermachen seines Klos noch eben schnell eine Stinkbombe hineinzulegen, heiterte mich auch nicht gerade auf. Fluchend schaufelte ich im Katzenstreu herum, während er auf der Waschmaschine saß und mich aufmerksam beäugte.
Ich ignorierte ihn geflissentlich, bis es Zeit war, ins Callcenter aufzubrechen. Maunzend eskortierte er mich zur Wohnungstür, und mit schlechtem Gewissen bückte ich mich, um ihn kurz auf den Arm zu nehmen und eine Runde zu kraulen. Er konnte ja schließlich nichts dafür.
Der Vormittag an der Hotline war reine Routine. Meine Mittagspause verbrachte ich damit, draußen ein paar Schritte spazieren zu gehen. Mir war einfach nicht nach Gesellschaft oder Konversation. Ich hatte weder Lust, mit Erwin über Gerhard Dengelmann zu reden, noch auf irgendein anderes Gesprächsthema.
Überdies vermisste ich Pascal. Sehr sogar. Ich hatte es mir einfach vorgestellt, dass er längere Zeit unterwegs sein würde – dergleichen gehörte zu seinem Beruf. Ich war es also gewöhnt, dass er immer mal wieder weg war. Aber diesmal war es anders. Ich fragte mich, ob das Wissen, dass er noch wochenlang nicht zurückkehren würde, es mir besonders schwer machte. Nach einem Telefonat mit ihm am gestrigen Abend hatte ich mich traurig und einsam gefühlt.
So traurig und einsam, dass ich hinterher heulend auf dem Sofa lag und Baghira an mich drückte, der nicht wusste, wie ihm geschah, und sich meiner heftigen Zuneigung strampelnd erwehrte.
Der erste Kunde nach meiner Mittagspause verlangte nach Uschi, der Hausfrau. Na klar, das passte ja. Am liebsten würde ich sie für den Moment aus meinem Repertoire streichen, aber das musste ich erst mal mit Dennis besprechen. Er könnte dafür sorgen, dass entsprechende Kunden nicht mehr an mich durchgestellt wurden.
Aber jetzt musste ich ran.
Das Fenster auf meinem Monitor zeigte mir an, dass ich es mit GroßerLümmel69 zu tun hatte.
Wow, das ist ja mal ein fantasievoller Nickname, dachte ich gallig, bevor ich mich mit meiner sanftesten Stimme bei ihm meldete und mich erkundigte, was ich denn Hübsches für ihn tun könne.
»Na, putzen soll die gnädige Frau. Und zwar gründlich«, blaffte er.
Okay, dieser Typ wollte also keine lange Tändelei, sondern einen Job ohne Fisimatenten. Konnte er haben. Vielleicht musste er ja Geld sparen und wollte deshalb unsere Interaktion so kurz wie möglich halten – immerhin wurde minutenweise abgerechnet. Oder GroßerLümmel69 hatte nicht viel Zeit und rief mal eben zwischen zwei geschäftlichen Telefonaten an.
Mein längstes Gespräch mit einem Kunden hatte mal sage und schreibe eine Dreiviertelstunde gedauert, das war ganz schön teuer gewesen. Ich legte es jedenfalls nie darauf an, die Gesprächszeit künstlich in die Länge zu ziehen, das war bei uns verpönt.
»Was ist bei dir denn besonders schmutzig?«, raunte ich, um herauszufinden, was er wollte.
»Zuerst die Fenster«, gab er einsilbig zurück.
Na gut, dann also der Klassiker: Ich erzählte ihm, dass ich nur einen Schlüpfer und einen Kittel trug, dann weiter, wie ich das Fenster einschäumte, wie ich mich dabei über und über bekleckerte und mein Kittel dadurch transparent wurde, wie mein Kittel beim Recken hochrutschte und meinen Hintern freilegte, und dass es mir so furchtbar peinlich war, weil mich von draußen alle sehen konnten, wie ich da mit meinem nassen, durchsichtigen Kittel …
Sein Atem ging mittlerweile schwer, und er keuchte: »Fußboden!«
Also ging ich brav auf die Knie und schrubbte hingebungsvoll den Boden, reckte den Hintern in die Höhe und entledigte mich auf seine Ansage hin meines Schlüpfers, damit es noch ein wenig sexier für ihn wurde.
»Los, mehr Wasser«, stöhnte er, »der Holzboden muss ganz sauber werden …«
»Moment mal«, hörte ich mich zu meiner eigenen Verblüffung antworten, »bei Holzboden ist zu viel Wasser aber überhaupt nicht gut. Wenn das Wasser in die Ritzen läuft, kann der Boden aufquellen.«
Das Keuchen von GroßerLümmel69 verstummte wie abgeschnitten.
Himmel, dachte ich entsetzt, wenn ich jemals einen Kunden abgetörnt hatte, dann jetzt.
»Wie bist du blöde Nuss denn drauf?«, pöbelte er los. »Die Ritzen im Fußboden sind mir scheißegal! Deine dämliche Ritze interessiert mich!« Er schnaubte höhnisch. »Hat mich interessiert, sollte ich wohl besser sagen.«
Na holla, was für ein charmanter Kerl! Zum Glück erlebte ich die humorbefreiten und respektlosen Typen unter unseren Kunden normalerweise so gut wie nie. Konnte ich gut drauf verzichten.
»Ich will mein Geld zurück, hast du verstanden? So eine Frechheit! Ich will sofort deinen Chef sprechen!«, blökte es weiter in mein Ohr.
»Das ist leider technisch nicht möglich«, erwiderte ich so würdevoll, wie es mir möglich war. »Aber ich sorge dafür, dass Sie Ihr Geld zurückerhalten.«
»Das will ich auch schwer hoffen! Ansonsten macht ihr Bekanntschaft mit meinem Anwalt.«
Zack, legte er auf.
Ich loggte mich aus, dann atmete ich erst einmal tief durch. Die Drohung nahm ich nicht ernst, denn die wenigsten suchten derartige Öffentlichkeit, wenn es um Anrufe bei einer Sexhotline ging. Aber er hatte recht damit, dass ich ihn um sein Vergnügen gebracht hatte.
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