Herrje, drehte ich jetzt durch?
Erneut hielt ich inne und atmete tief durch. Allmählich war es genug, entschied ich, und kehrte der Deko-Abteilung tapfer den Rücken zu.
Als Nächstes begab ich mich zu den Blumen und wurde schnell fündig: Ich entdeckte ein silbriges Gestrüpp in einem Blumentopf, das mich an Stacheldraht erinnerte – perfekt. Dazu kamen einige kleine gelbe Dahlien und ein Strauß Blümchen, die wie Kamille aussahen.
Danach arbeitete ich generalstabsmäßig die Lebensmittelliste ab, was sich relativ flott gestaltete. Bereits um kurz nach neun lud ich die Einkäufe in meinen Kofferraum; dann fuhr ich noch zum Wochenmarkt und besorgte alles für ein opulentes Frühstück, das ich zu Hause ausgiebig genoss.
Schließlich war nicht abzusehen, wann ich das nächste Mal was in den Magen bekommen würde, also gönnte ich mir von geräuchertem Fisch über Rühreier bis hin zu Croissants alles, wonach es mich spontan gelüstete. Das übrigens auf Dengelmanns Rechnung. Immerhin war es in seinem Interesse, dass ich nicht während der Zubereitung des Hauptgangs in seiner Küche kollabierte, weil ich unterzuckert war.
Um Punkt fünf klingelte ich bei Dengelmann. Meine Einkaufstüten sowie eine Klappkiste mit der Deko und der fertigen Schokocreme stapelten sich vor der Haustür.
»Ich könnte eine helfende Hand gebrauchen«, sagte ich in die Gegensprechanlage, als er sich meldete.
Drei Sekunden später war er unten an der Tür und packte mit an. Ich fragte mich, ob Frau Berger wohl wieder an ihrem Türspion klebte, hatte aber bei meiner Ankunft kein Licht in ihrer Wohnung gesehen.
Vielleicht war sie ja gar nicht zu Hause, und Dengelmann konnte die Puppen tanzen lassen, ohne dass seine Nachbarin daraus ein neues Horrorszenario machen würde.
Wir schleppten die Ausbeute meiner morgendlichen Einkaufsorgie in die Küche und stellten alles auf der Arbeitsfläche ab.
»Wollen Sie gleich abrechnen?«, fragte ich, aber er schüttelte den Kopf.
»Das machen wir in Ruhe, wenn Sie am Montag zum Putzen kommen, einverstanden? Jetzt haben Sie doch bestimmt anderes zu tun.«
Da hatte er recht. Mein Kopf war bereits damit beschäftigt, in welcher Reihenfolge ich was zu tun hatte. Einige Dinge konnte ich vorbereiten, andere mussten kurz vor der Zubereitung erledigt werden.
Ich nickte. »Am allerliebsten würde ich zuerst den Tisch eindecken und dekorieren.«
Bei ihm konnte ich das unbesorgt so machen. Bei mir wäre das anders gewesen. Ein frühzeitig eingedeckter Tisch, der nicht jede Zehntelsekunde bewacht wurde, verführte Baghira gern dazu, darauf herumzuspazieren und sich zum Beispiel intensiv mit den Blumen zu beschäftigen. Es konnte passieren, dass man dann über den ganzen Raum verteilt abgeknabberte Blüten vorfand – mal ganz abgesehen von Katzenhaaren auf dem einen oder anderen Teller. Ging gar nicht. Und das mit den Haaren war überdies eklig – so sehr ich meinen Kater auch liebte.
Wir gingen also ins Esszimmer, und ich baute mich sinnend vor dem ovalen Tisch auf.
»Wie hätten Sie es denn gern?«, fragte ich. »Wollen Sie am schmalen Ende sitzen? Dann sind Sie von Ihrem Gast allerdings relativ weit entfernt. Schöner wäre es, wenn Sie sich an den Längsseiten gegenübersitzen würden.«
»Denken Sie?«, fragte er zweifelnd.
»Als Erstes lassen wir mal die überflüssigen Stühle verschwinden, dann können wir es ausprobieren.«
Wir schleppten also vier Stühle ins Schlafzimmer, dann kehrten wir zum Esstisch zurück, und ich demonstrierte ihm, was ich gemeint hatte. Wir einigten uns auf die zweite Option, und er zeigte mir, wo ich Tischdecken und dergleichen fand. Wie insgeheim erwartet, verfügte der Haushalt über ganze Batterien an Gläsern, die ich für die Blumen benötigte. Da es keine Kerzenständer für die Blockkerzen gab, entschied ich, mit zwei Desserttellern vom Service zu improvisieren: ein kleiner Blumenkranz, Kerze rein, fertig. Und wenn die Teller hinterher mit Wachs bekleckert sein sollten, wusste Doris bestimmt einen Trick, um das Zeug rückstandslos zu entfernen.
Dengelmann stand linkisch in der Gegend herum und beobachtete mich dabei, wie ich zwischen Küche und Esszimmer hin und her sauste.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Wissen Sie was? Warum machen Sie sich nicht einen schönen Tee, setzen sich ins Wohnzimmer und entspannen sich, während ich mich hier um alles kümmere. Wenn ich mit dem Tisch fertig bin, rufe ich Sie. Und wenn Sie alles total bescheuert finden, machen wir es anders.«
»Sie machen das bestimmt hervorragend.«
Natürlich. Aber das konnte er ja noch nicht wissen.
Zwanzig Minuten später stand ich im Esszimmer und betrachtete wohlgefällig mein Werk. Die Blumen hatte ich auf kleine Trinkgläser verteilt, die ich abwechselnd mit den Windlichtern als lockere Reihe zwischen den beiden Gedecken aufgestellt hatte. Den Abschluss bildeten rechts und links die Blockkerzen. Ich löschte das Licht im Raum bis auf eine Stehlampe, entzündete die Kerzen und Teelichte, dann rief ich nach Dengelmann.
Sofort kam er angaloppiert und blieb in der Tür stehen, als wäre er vor eine Mauer geprallt. »Also … das ist ja …«, stammelte er und wusste nicht weiter.
»Gefällt es Ihnen nicht? Ist Ihnen der Tisch zu aufgedonnert?«
»Nein … es gefällt mir, sehr gut sogar. Es sieht wunderbar aus, überhaupt nicht aufgedonnert. Und Sie hatten gar nicht so viel Aufwand damit, oder?«
Ich grinste. »Ein wenig Fantasie reicht, um es sich nett zu machen, das ist keine Zauberei. Ich finde, ein Essen schmeckt noch einmal so gut, wenn ich dabei an einem hübschen Tisch sitze. Es müssen keine meterhohen Blumenaufbauten und pompösen Kerzenleuchter sein, wie Sie sehen. Ein paar hübsche kleine Elemente reichen völlig aus.«
Er nickte gedankenverloren. Er schien zu überlegen, warum sein Leben bisher ohne diese schlichte Weisheit und deren Umsetzung hatte auskommen müssen.
»Wenn Sie dann das Essen servieren …«, begann er.
»Was?«, fiel ich ihm entgeistert ins Wort. »Das gehört nicht zu unserer Abmachung.«
»Aber ich kann das nicht, Frau Luchs! Was, wenn ich alles fallen lasse?«
Herrje – ernsthaft? Buhuhu, ich kann das nicht … Der Mann war eine verfluchte Memme.
Dennoch: Ich blieb hart. »Sorry, aber darauf bin ich nicht vorbereitet.«
»Was müssten Sie denn dafür vorbereiten?«, fragte er verständnislos.
»Sehen Sie mich an.« Ich deutete erst auf mein Ringelshirt, dann auf meine schlabbrige Jeans. »So kann ich unmöglich Essen servieren. Und über meine Klamotten werden sich demnächst zusätzlich die Spuren dessen verteilen, was ich gleich in Ihrer Küche veranstalten werde. Ich habe weder eine saubere Kochjacke dabei noch einen fleckenlosen Vorbinder oder irgendwelche einigermaßen adäquate Kleidung. Und ich rede nicht von einem Kellnerfrack, sondern einfachen, ordentlichen Klamotten. Noch einmal: Das war nicht Teil meines Auftrags. Tut mir sehr leid, Herr Dengelmann, aber wie genau das Essen von der Küche hier auf den Tisch kommt, ist nicht mein Problem.«
Er war so fassungslos, dass er nicht sprechen konnte. Es war sonnenklar, dass er sich darüber bisher keine Gedanken gemacht hatte. Nein, falsch: Er hatte vorausgesetzt, dass er mit dem Hintern am Tisch sitzen blieb, während ihm und seinem Gast ein Gang nach dem anderen vor die Nase gesetzt wurde. Das war er von seiner Jutta vermutlich so gewöhnt.
Aber ich war nicht seine Jutta. Je früher er es begriff, desto besser. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, um eine klare Grenze zu ziehen. Freundlich, aber bestimmt.
»Herr Dengelmann, ich bin der gute Geist in Ihrer Küche. Der unsichtbare gute Geist. Wir finden eine Lösung. Sie haben doch diesen wunderbaren Servierwagen im Wohnzimmer, den werden wir benutzen. Ich richte in der Küche das Essen an, und Sie bringen es damit an den Tisch. Und wenn Sie mit einem Gang fertig sind, packen Sie das benutzte Geschirr auf das Wägelchen und holen den nächsten bei mir ab. Ganz einfach. Sie lassen gar nichts fallen. Zwei Teller unfallfrei auf den Tisch zu stellen, ist keine Raketenwissenschaft, glauben Sie mir. Das Essen ist auch nicht kompliziert aufgebaut und in affigen Türmchen angerichtet oder so. Da kann nichts umkippen oder dergleichen. Teller hinstellen, fertig. Das ist kinderleicht.«
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