„Und, haben Sie sich gut amüsiert?“, fragte die 18-jährige Allie, die gelegentlich Serenas Kinder hütete, und stand mit einem Buch in der Hand vom Sofa auf.
„Danke, es war ganz nett“, antwortete Serena, griff in ihre Clutch, nahm ein paar Geldscheine heraus und gab sie dem Mädchen mit einem Lächeln.
Allie stopfte die Scheine in die Hosentasche, nahm ihre Handtasche und sagte: „Die beiden waren übrigens heute Abend super pflegeleicht. Melden Sie sich einfach, wenn Sie mich wieder brauchen.“
„Danke, Allie, das mache ich.“ Serena brachte das Mädchen noch zur Tür und blieb dort stehen, bis Allie in ihr Auto gestiegen war und den Motor anließ.
Die Gegend von Nairn, in der sie wohnte, war ruhig und fast ländlich, aber ihr Mutterinstinkt gab erst Ruhe, wenn das Mädchen sicher in seinem Wagen saß und sich auf dem Heimweg befand. Erst da ging Serena wieder ins Haus, schloss hinter sich ab und streifte die hochhackigen Schuhe auf dem Teppich ab.
Leise ging Serena die geschwungene Treppe hinauf ins Obergeschoss und warf einen Blick in das erste Zimmer, an dem sie vorbeikam. Max schlief verkehrt herum in seinem Bett, das eine Bein der Schlafanzughose bis übers Knie hochgeschoben, das feine, dunkle Haar von seinen ungestümen Schlafgewohnheiten völlig zerzaust. Sie legte den Kleinen nicht richtig hin – denn ihren Dreijährigen zum Schlafen zu bringen war, auch ohne dass er gestört wurde, eine Herausforderung –, sondern deckte ihn nur zu, legte seine Giraffe Mr Spots neben ihn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Im Zimmer daneben lag die achtjährige Em unter einer lila geblümten Decke, sodass nur ihre Haare zu sehen waren. Auch ihr gab Serena noch einen Kuss und steckte die Bettdecke noch einmal an den Seiten fest, bevor sie in ihr eigenes geräumiges Schlafzimmer weiterging.
Da vibrierte ihr Handy in der Clutch, und sie nahm es rasch heraus, bevor die Kinder davon wach wurden. Ein kurzer Blick aufs Display zeigte, dass es ihr jüngerer Bruder Jamie war.
„Kontrollierst du etwa, ob ich sicher von meinem Date nach Hause gekommen bin?“, fragte sie mit einem ironischen Lachen.
Eine Frauenstimme mit amerikanischem Akzent antwortete am anderen Ende der Leitung: „Nein, aber dafür hast du meine nächste Frage schon beantwortet.“
Serena lachte über den beschwingten Tonfall ihrer Schwägerin. „Hi Andrea. Ich bin gerade nach Hause gekommen.“
„Dann war das heiße Date also gar nicht so heiß?“
„Nicht mal lauwarm“, erklärte Serena und zog dabei ihren Bleistiftrock und auch die Shapewear aus, die sie hatte anziehen müssen, um überhaupt in das schon etwas ältere Outfit hineinzupassen, und schleuderte beides quer durch den Raum. Eine völlig überflüssige Quälerei war das gewesen – genau wie die hohen Absätze. „Na ja, er war ganz nett, aber …“
„Kein Funke übergesprungen.“
„Nicht einmal ein Fünkchen. Langsam glaube ich, dass ich zu anspruchsvoll bin.“ Sie schlüpfte in ihre Pyjamahose und verzog beim Anblick der Abdrücke, die die Schuhe an ihren Füßen hinterlassen hatten, das Gesicht. „Vielleicht sollte ich in meinem Alter eher nach jemandem Ausschau halten, der langweilig, aber solide und beständig ist.“
„Also wirklich! Du bist noch keine vierzig, da steht es dir noch gar nicht zu, ‚in meinem Alter‘ zu sagen. Außerdem erlebst du gerade nur, was wir nun mal alle erleben.“
Serena stellte ihr Handy auf laut, damit sie ihren Blazer abstreifen und sich aus ihrer Seidenbluse pellen konnte. „Und das wäre?“
„Na, langweilige, solide Männer zu daten, während man auf den einen wartet, der einen umhaut.“
„Jetzt hör mal lieber auf. Ich will gar nicht darüber nachdenken, wie sehr mein Bruder und du eure Finger nicht voneinander lassen könnt.“
„Dafür habe ich mich schon entschuldigt, und du musst wirklich lernen anzuklopfen, bevor du ein Zimmer betrittst“, sagte Andrea lachend. „Aber es ist schließlich nicht so, dass ich mit der Absicht nach Schottland gekommen wäre, mich in einen Klienten zu verlieben. Manchmal muss man seine Komfortzone auch verlassen, weißt du?“
„Das merke ich mir. Wann sollen wir denn morgen zum Essen bei euch sein?“
„Deshalb rufe ich an. Können wir es auf sieben Uhr verschieben? Jamies Flieger hatte Verspätung, sodass er seinen Anschlussflug nach Hause verpasst hat und erst morgen Nachmittag wieder hier sein kann.“
„Das ist mir sogar sehr recht. Ich wollte sowieso vorher noch mit Em und Max in diese neue Bäckerei gehen, die gerade in der Altstadt eröffnet worden ist.“
„Danke. Ich hatte Jamie zwar angeboten, das Einkaufen für ihn zu übernehmen, aber aus irgendeinem Grund will er das nicht.“
Jetzt musste Serena lachen. Ihr Bruder, der Chefkoch, hatte eine Frau geheiratet, die nicht einmal Wasser kochen konnte – obwohl Serena manchmal auch das Gefühl hatte, Andrea spielte mit Absicht die Unbedarfte, um in den Genuss von Jamies fantastischen Kochkünsten zu kommen. Aber dann wieder dachte sie an den von ihrer Schwägerin zubereiteten Lunch, den sie einmal hatte erleiden müssen, und verwarf ihren Verdacht schnell wieder.
„Um sieben also. Em ist schon ganz aufgeregt, weil sie dir ihre Fortschritte bei Für Elise vorführen will.“
„Ich bin gespannt. Sag ihr, sie soll weiter fleißig üben, denn sobald sie mit dem Stück fertig ist, habe ich ein neues für sie, das richtig Spaß macht.“
„Ich richte es ihr aus. Dann also bis morgen.“ Serena beendete das Gespräch und hängte ihr Handy ans Ladegerät auf ihrem Nachttisch.
Was Andrea an Talent in der Küche fehlte, machte sie durch ihr musikalisches Talent wett. Sie war einmal Konzertpianistin gewesen und gab jetzt – einfach weil es ihr Spaß machte – Em jeden Sonntagabend vor dem Essen eine Klavierstunde. Beruflich leitete sie mittlerweile eine Unternehmensberatung für Gastronomiebetriebe.
Serena dagegen vertrieb sich die Zeit damit, an Ems Schule Kunstunterricht zu geben, und zwar im Rahmen genau des Programms, das ihr Date gerade abzuschaffen versuchte.
Warum hatte Daniel sie wohl überhaupt zu einem Date eingeladen, obwohl er doch genau wissen musste, dass er sich im Grunde gegen das Einzige einsetzte, was Serena wirklich liebte.
Doch in diesem Moment wurde ihr klar, dass er es eben nicht wusste. Für Männer wie ihn war Kunst etwas, womit man sich vielleicht nebenher oder oberflächlich beschäftigte, aber nichts, wofür man eine echte Leidenschaft hegte, was einen konkreten Wert hatte, und schon gar kein Beruf.
Serena schminkte sich ab und band ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, bevor sie wieder nach unten in die Küche ging, um sich noch einen Tee zu kochen. Im Wohnzimmer blieb sie stehen, um die Sammlung zeitgenössischer Kunst zu bewundern, die an den weiß verputzten Wänden hing. Im Gegensatz zur übrigen modernen Einrichtung, die von Edwards Innenarchitekten ausgesucht worden war, hatten diese Stücke eine ganz besondere Bedeutung für sie, denn jeden der Künstler, von denen sie stammten, hatte sie entdeckt und gefördert, und manche waren mittlerweile international bekannt.
Der Stolz, den sie darüber empfand, war aber immer gepaart mit einem Stich des Bedauerns darüber, dass dieser Teil ihres Lebens Vergangenheit war. Das Bedauern nahm noch zu, als sie den Gang zu einer halb offen stehenden Tür weiter entlangging.
Der Raum war noch genauso, wie sie ihn nach ihrem letzten Aufenthalt dort verlassen hatte: Auf einer Staffelei stand eine leere Leinwand und auf einem kleinen Tisch daneben befanden sich Plastikdosen mit Farben und Pinseln. Als sie den Lichtschalter betätigte, hinterließ ihr Finger im Staub der Schalterabdeckung eine Spur. Vielleicht sollte sie dieses Zimmer doch lieber wieder als Abstellraum verwenden wie damals, als Edward und sie eingezogen waren. Sie schaltete das Licht wieder aus und zog mit Nachdruck die Tür hinter sich zu.
Читать дальше