Ditte Cederstrand
Roman
Saga
Alle meine Kinder
Aus dem Danish von Gisela Perlet
Originaltitel: Bagerbørn © 1967 Ditte Cederstrand
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711504864
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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„Hör mal, Erik, wenn jemand tolerant ist, dann sind wir das wohl – aber da mach ich nicht mehr mit!“
„Was hat sie denn gesagt?“
„Leck doch’n Schaf am Arsch!“
„Was?!“ Erik ließ das Buttermesser fallen. „Das hat sie gesagt?“ Gunvor nickte.
Er räusperte sich. „Bißchen stark, muß man schon sagen.“ „Ja! Und ausnahmsweise bin ich also mal in die Luft gegangen und hab zu Rie gesagt, daß ich so was nicht hören möchte, und wenn sich das wiederholte, würde ich Pusser eben einfach das Haus verbieten. Da ist sie gleich aufgebraust: ich solle ihren Freundinnen nicht zu nahe treten, das lasse sie sich nicht gefallen. Und ich hab dann gesagt, wenn jemand ein Recht habe, sich unangenehm berührt zu fühlen, dann sei ich das doch wohl. Sie haben mich angeguckt, als ob ich leicht übergeschnappt wäre, und haben sich einen Blick zugeworfen, ich sage dir, einen Blick! ... dann stöhnten sie und zuckten die Achseln, wackelten mit dem Hintern und rauschten lässig und sexy zur Tür hinaus, zuerst Pusser und dann Rie. – Soll man sich das gefallen lassen?“
„N-nein – aber sie sind doch jung.“
„Entschuldigt das alles?“
„Man sollte so ein – so einen Kraftausdruck doch nicht ernst nehmen.“
„Da kann ich dir wahrhaftig nicht zustimmen, und ich nehme das ernst. – Was soll man denn von den jungen Mädchen denken?“
„Überhaupt nichts. Eine Formsache. Pusser ist schon in Ordnung.“
„Ist sie vielleicht gewesen. Aber ein nettes Mädchen gebraucht solche Ausdrücke nicht.“
„Was heißt nett. Diese Sprache ist nun mal bei ihr zu Hause üblich. In unsern Ohren klingt sie freilich ein bißchen derb. Ist aber nur eine andere Terminologie.“
„Vielleicht geradezu nachahmenswert?“
„Um Himmels willen! – Aber so was gibt sich mit der Zeit. Du kannst beruhigt sein, Rie weiß sehr genau, was sie zu sagen hat, wenn sie Eindruck machen will.“
„Siehst du denn nicht, daß sie dadurch verrohen?“
„Ach laß doch.“ Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab, hatte nicht recht Lust. Es war so ein schöner Morgen, und die Krokusse leuchteten in der Sonne. Diese Farbenpracht steckte an; er war einfach gut gelaunt, wollte das auskosten dürfen, wollte sich ein bißchen ausruhen in dieser Stimmung von heiterem Wohlwollen, die sich einstellte, wenn er sich mit dem Frühstück nicht übereilte und noch seinen kleinen Umweg am Wald entlang machen konnte. Aber nur gerade so eben. Er legte die Serviette auf den Tisch und stand auf.
„Willst du schon gehen?“
„Wieso schon? Ich hasse Überstürzungen, das weißt du.“ „Darf ich fragen, ob du es auch ganz natürlich fändest, wenn ich einen solchen Ausdruck gebrauchte?“ Sie wollte ihn keineswegs so leicht davonkommen lassen.
Er lachte laut auf. „Du! Das könntest du überhaupt nicht! Nee, Gunvorchen, du und ich, wir sind nette Menschen.“
Sie fauchte höhnisch: „Hier in der Stadt hat man wohl eine andere Meinung von uns.“
„Das ist eine Frage der Kriterien. Den Vorwurf, daß wir konventionell sind, kann man uns selbstverständlich nicht machen, aber trotzdem können wir nicht umhin – wir sind nett.“
„Ist das vielleicht ein Fehler?“
„Ich weiß nicht recht.“
„Tu nicht so dumm!“
„Ich meine das wirklich. Man schleppt so viel Ballast mit sich herum, der einen hemmt und von dem die nächste Generation jedenfalls nicht belastet zu sein scheint.“
„Ist das wirklich nur negativ? Eine gewisse Portion von dem, was du Nettigkeit nennst, öffnet auf alle Fälle einige der Türen des Lebens. Aber die Kinder und ihre Kameraden glauben, daß sie den Kopf haben, um ihn sich einzurennen.“
Er lachte wieder. „Ja, sie kriegen wohl mehr – äh – physische Beulen, dafür dürften ihnen einige der psychischen erspart bleiben.“
„Glaubst du das wirklich?“
„Bestimmt! Sie wissen, was sie wollen. Und tun das! Sieh dir nur Marianne an – heiratet, ohne daß man etwas davon weiß.“
„Und obwohl wir abgeraten haben ...“
„Ließ keine Kritik gelten. Ja danke.“ Er trat von einem Bein aufs andere. Er mußte nun wirklich los, aber geradezu unhöflich wollte man ja auch nicht sein. Schon gar nicht bei diesem Thema. „Und die beiden anderen“, sagte er und sah demonstrativ auf die Uhr, „zweifelst du vielleicht daran, daß sie genauso selbständig sind?“
„Selbständig vielleicht schon“, sagte sie langsam, sie wußte genau, daß sie ihn aufhielt, und nahm gleichsam einen Anlauf: „Aber ich finde nicht, daß sie – daß sie nett und freundlich sind.“
„Was sagst du?“ Er kam unwillkürlich einen Schritt zurück. „Nicht nett und freundlich?“
„Nein. Stell dir vor, manchmal finde ich, sie benehmen sich, als ob sie so gräßliche Eltern haben, wie wir sie hatten.“
„Ooch – gräßlich?“ Er fand das ein wenig zu stark, zumal nach so vielen Jahren.
„Na ja, zumindest verständnislos, streng und voller Vorurteile, so waren sie doch, das weißt du, meine Eltern und deine Eltern. Und manchmal hab ich Angst, du, doch ja, daß sie am Ende triumphieren werden: wir haben recht bekommen.“
„So ein Unsinn! Sie sind doch tot, und –“
„Deshalb können sie doch recht bekommen.“
„Womit recht? Ehrlich gesagt, ich versteh dich nicht.“ Er wurde immer ungeduldiger.
„Damit, daß man die Dinge nicht ernst genug genommen hat.“
„Aber Herrgott, Gunvor!“ Er zauste sie ein bißchen in den Haaren. „So was, bloß weil sie ab und zu mal was raushauen. Wir haben prächtige Kinder! Das weißt du so gut wie ich, und eigentlich verrät man sie ein bißchen, wenn man an ihnen zweifelt.“
Sie lächelte ihn an. „Vielleicht.“ – „Nicht ‚vielleicht‘!“ Er küßte sie auf die Wange, mußte sich jetzt beeilen.
Sie stand auf und stellte sich ans Fenster, während er zur Garage ging. Kurz darauf das gewohnte Brummen, der Wagen schwenkte halb in Fahrtrichtung, ein Winken mit der linken Hand, und er war weg. – Er mochte nicht mal mehr richtig zuhören, er wird langsam träge, dachte sie und hob die Zeitung auf.
Er spürte, daß ihre Worte ihm dennoch die Morgenstimmung verdorben hatten, und versuchte sie wieder hervorzuzaubern. Eine gute Stimmung zu bewahren – eigentlich beherrschte er diese Kunst fast bis zur Vollendung, und das hielt er für wichtig, wenn man mit vielen sprechen und arbeiten und in einer immer größere Anforderungen stellenden Position sein Bestes geben mußte. Ein paar Augenblicke, in denen man zu sich selbst finden konnte. Nie fiel ihm das leichter als in dieser fruchtbaren Landschaft.
Heute mußte er sich jedoch mit der Fahrt allein begnügen, wie ärgerlich, denn gerade jetzt im Vorfrühling war es hübsch, am Waldrand anzuhalten und ein Stück zwischen den Bäumen zu gehen. Aber er hatte doch noch genug Zeit, um langsam den großen, breiten Weg entlangzufahren, der durch ein Stück Tiefebene führte; auf der einen Seite der Wald und auf der anderen Seite, weit hinter den Feldern, der aufsteigende Höhenrücken mit vereinzelten Höfen und Häusern. Die Büsche im Gehölz waren rot vor Saft, noch leuchtender als vorgestern, als sie ihn darauf aufmerksam gemacht hatte.
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