PANDARUS
Nein, und Hektor ist auch nicht Troilus in gewissem Betracht.
CRESSIDA
So tun wir keinem Unrecht; er ist er selbst.
PANDARUS
Er selbst? Ach, du armer Troilus! Ich wollte, wäre –
CRESSIDA
Er ist es ja.
PANDARUS
Mit dem Beding ginge ich barfuß nach Indien!
CRESSIDA
Hektor ist er nicht!
PANDARUS
Er selbst? Nein, er ist nicht er selbst – ja, ich wollte, er wäre er selbst. Nun, die Götter leben noch; die Zeit schaffts ihm oder entraffts ihm; ja, Troilus, ich wollte, sie hatte mein Herz im Leibe! Nein, Hektor ist kein beßrer Mann als Troilus.
CRESSIDA
Verzeiht!
PANDARUS
Er ist älter.
CRESSIDA
Ich bitte um Entschuldigung!
PANDARUS
Der andre ist noch nicht so alt; ihr sollt ganz anders sprechen, wenn der andre erst so alt sein wird. Hektor kann lange warten, ehe er seinen Verstand bekommt!
CRESSIDA
Den braucht er auch nicht, wenn er seinen eignen hat.
PANDARUS
Noch seine Eigenschaften.
CRESSIDA
Tut nichts!
PANDARUS
Noch seine Schönheit!
CRESSIDA
Sie würde ihn nicht kleiden, seine eigne ist besser.
PANDARUS
Du hast kein Urteil, Nichte! Helena selbst beteuerte neulich, daß Troilus, wenn von brauner Farbe die Rede sei – denn braun ist er allerdings – und doch nicht so recht eigentlich braun –
CRESSIDA
Nein, sondern braun.
PANDARUS
Die Wahrheit zu sagen, braun und nicht braun.
CRESSIDA
Die Wahrheit zu sagen, wahr und nicht wahr.
PANDARUS
Sie stellte seinen Teint über den des Paris.
CRESSIDA
Nun, Paris hat Farbe genug.
PANDARUS
Das hat er auch.
CRESSIDA
So hatte Troilus denn zu viel Farbe; wenn sie seinen Teint über den des andern stellt, ist er höher an Farbe; wenn nun Paris rot genug ist und Troilus hochrot, so ist das ein zu teuriges Lob für einen guten Teint. Ebensogern hätte Helenas goldne Zunge den Troilus wegen einer Kupfernase rühmen können.
PANDARUS
Ich schwöre dir, ich glaube, Helena liebt ihn mehr als den Paris.
CRESSIDA
Dann ist sie wirklich eine leichtsinnige Griechin.
PANDARUS
Nein, ganz gewiß, das tut sie. Neulich stellte sie sich zu ihm in das Bogenfenster, und du weißt, er hat nur drei oder vier Haare am Kinn –
CRESSIDA
O gewiß, eines Bierzapfers Rechenkunst würde hinreichen, diese Einheiten in eine Summe zu ziehn.
PANDARUS
Nun, er ist noch sehr jung, und doch sind seine Nerven so stählern, daß er dir bis auf zwei, drei Pfund ebensoviel aufheben wird als sein Bruder Hektor.
CRESSIDA
Was! Ein so junger Mann und schon solche Stehlergaben?
PANDARUS
Um dir zu beweisen, daß Helena in ihn verliebt ist – denke nur, sie kam und legte dir ihre weiße Hand an sein gespaltnes Kinn –
CRESSIDA
Juno sei uns gnädig! Wer hats ihm gespalten?
PANDARUS
Erinnerst du dich denn nicht seines Grübchens? Mir scheint, sein Lächeln steht ihm besser als irgend jemand in ganz Phrygien.
CRESSIDA
O ja, er lächelt recht brav.
PANDARUS
Nicht wahr?
CRESSIDA
Freilich, wie eine Regenwolke im Herbst.
PANDARUS
O still doch! Ich wollte dir ja beweisen, daß Helena in Troilus verliebt sei!
CRESSIDA
Troilus wird Euch diesen Beweis nicht verweisen, wenn Ihr ihn führen könnt.
PANDARUS
Troilus? Nun, der fragt nicht mehr nach ihr, als ich nach einem hohlen Ei frage.
CRESSIDA
Wenn Ihr die hohlen Eier so gern habt als die hohlen Köpfe, seid Ihr wohl schal genug, die Schalen ohne Eier zu essen.
PANDARUS
Wahrhaftig, ich muß noch immer lachen, wenn ich dran denke, wie sie ihm am Kinn kitzelte. Das ist doch gewiß, sie hat eine wundervoll weiße Hand; das muß man bekennen.
CRESSIDA
Ohne Folter.
PANDARUS
Und da fällt es ihr ein, ein weißes Haar auf seinem Kinn zu entdecken.
CRESSIDA
Das arme Kinn! Ist doch manche Warze reicher!
PANDARUS
Aber das gab ein Gelächter! Königin Hekuba lachte, daß ihr die Augen übergingen –
CRESSIDA
Von Mühlsteinen.
PANDARUS
Und Kassandra lachte!
CRESSIDA
Aber es war unter dem Topf ihrer Augen wohl ein mäßigeres Feuer: liefen ihre Augen auch über?
PANDARUS
Und Hektor lachte!
CRESSIDA
Und wem galt all dies Lachen?
PANDARUS
Ei, dem weißen Haar, das Helena an Troilus' Kinn erspäht.
CRESSIDA
War es ein grünes gewesen, so hätt ich auch gelacht.
PANDARUS
Sie lachten nicht so sehr über das Haar, als über seine hübsche Antwort.
CRESSIDA
Wie war seine Antwort?
PANDARUS
Sie hatte gesagt: Hier sind nur einundfünfzig Haare an Euerm Kinn, und eins davon ist weiß?
CRESSIDA
Das war ihre Frage?
PANDARUS
Jawohl, das bedarf keiner Frage. Einundfünfzig Haare, sagte er und ein weißes: das weiße Haar ist mein Vater, und die übrigen sind seine Söhne. O Jupiter, sagte sie, welches von diesen Haaren ist Paris, mein Gemahl? Das gespaltene, sagte er, reißt es aus und gebts ihm! Und nun entstand solch ein Gelächter, und Helena ward so rot, und Paris so böse, und die übrigen lachten so sehr, daß es ins Weite ging.
CRESSIDA
Da mag es auch bleiben, denn es ist nicht weit her.
PANDARUS
Nun, Nichte, ich sagte dir gestern etwas; das nimm dir zu Herzen!
CRESSIDA
Das tu ich auch.
PANDARUS
Ich schwöre dir, es ist wahr, er weint dir wie einer, der im April geboren ist.
[Man hört zum Rückzug blasen. ]
CRESSIDA
Und ich will in diesen Tränen so lustig aufwachsen, wie eine Nessel im Mai.
Es wird zum Rückzug geblasen.
PANDARUS
Horch, sie kommen aus dem Felde nach Haus; sollen wir hier hinauf treten und sie nach Ilium ziehn sehn? Tu es, liebste Nichte, tu es, liebste Nichte Cressida!
CRESSIDA
Wie es Euch gefällt.
PANDARUS
Hier, hier ist ein allerliebster Platz, hier können wirs recht schmuck mitansehn. Ich will sie dir alle bei Namen nennen, wie sie vorbeiziehn; merke nur vor allen auf Troilus.
Äneas geht über die Bühne.
CRESSIDA
Sprecht nicht so laut.
PANDARUS
Das ist Äneas; ist das nicht ein hübscher Mann? Es ist eine rechte Blume unter den Troern, das kann ich dir sagen. Aber merke nur auf Troilus; gleich wird er kommen!
Antenor geht vorüber.
CRESSIDA
Wer ist das?
[Antenor geht vorüber. ]
PANDARUS
Das ist Antenor, der ist recht kurz angebunden, das kann ich dir sagen, und ist ein guter Soldat; einer von den besten Köpfen in ganz Troja, und ein artiger Mann in seiner ganzen Person. – Wann kommt doch Troilus? Gleich sollst du Troilus sehn. Gib acht, wie er nicken wird, wenn er mich sieht.
CRESSIDA
Nickt er immer ein, wenn er Euch sieht? –
PANDARUS
Ihr sollt es sehen.
CRESSIDA
Falls er es tut, sollen die Reichen noch mehr haben.
Hektor geht vorüber.
PANDARUS
Das ist Hektor, der da, der da! Siehst du, der! Das ist ein Kavalier! Gott sei mit dir, Hektor! Das ist ein wackrer Mann, Nichte. O du edler Hektor! Sieh, wie er um sich blickt! Das ist eine Haltung! Ists nicht ein stattlicher Mann?
CRESSIDA
Ein recht stattlicher Mann.
PANDARUS
Nicht wahr? Es ist eine rechte Herzenslust, ihn zu sehn. Sieh nur, wieviel Beulen auf seinem Helm sind! Sieh nur hin, siehst du's? Sieh nur hin! Mit dem ist nicht zu spaßen; der verstehts; mit dem solls einmal einer aufnehmen! Das nenn ich Hiebe!
CRESSIDA
Sind die von Schwertern?
[Paris geht vorüber. ]
PANDARUS
Von Schwertern? Von was sie wollen, das kümmert ihn nicht. Wenn auch der Teufel mit ihm anbände, das ist ihm alles gleich. Ja, beim Element, es ist eine wahre Lust! Ach, dort kommt Paris, dort kommt Paris;
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