Als Nachtisch hatte sie ihnen Rhabarbergrütze gekocht, das waren halt so ihre Ideen, doch die Leute mochten sie, und sie konnten ihnen wohl auch nicht schaden, jung wie sie waren. Er selbst hatte weder den Willen noch den Mut, seine Gesundheit ihren Ideen auszusetzen, und sie brachte ihm etwas Gerstengraupensuppe, die er statt dessen in sich hineinlöffeln konnte. Nein, über sie konnte er sich nicht beschweren.
Seit fast zehn Jahren war es gut gegangen, und er konnte sich bald auch nicht mehr vorstellen, jemand anderen ins Haus zu nehmen, und sie hatte ihm auch zu verstehen gegeben, daß er mit ihr rechnen konnte, so lange er lebte. Und hinterher, er spekulierte im Winter ziemlich viel darüber, und seither mehrere Male, er wollte etwas geordnet haben, bald schon, vielleicht schon in diesem Jahr, würde er schauen, daß er aufsetzen ließe, worauf er gekommen war. Damit es keine Mißverständnisse gäbe. Denn sein Neffe, wenn er ihn einmal beerbt hätte, wenn alles gut lief, müßte ihr dann ein Haus errichten, drüben auf der Steinkoppel, so daß sie in der Nähe wäre und weiterhin etwas mithelfen könnte, so lange sie wollte und wenn sie sich ansonsten einigen könnten, denn es würde wohl eine junge Frau auf den Hof kommen, auf jeden Fall aber so, daß sie nicht weit gehen müßte, um zu bekommen, was sie zum Leben bräuchte. Nein, es nützte nichts, es zu verschieben. Schon nach der Ernte würde er in die Stadt reisen und es aufsetzen lassen.
Wie der Hunger allmählich gestillt war, wurde auch wieder gesprochen. Sie hatte ihnen bereits erzählt, was der Fischer gesagt hatte, und was der Postbote gesagt hatte, und er fragte dann selbst den Großknecht, wie weit sie mit den Rüben gekommen waren, ob sie bis abends genug zu tun hätten. Sie konnten vielleicht auch dem zweiten Knecht helfen, mit dem Heu fertig zu werden, wurde geantwortet, und er nickte. Das war gut. Dann wurde das getan. Wohl bekomm’s euch, sagte er und stand auf.
Sie hatte ihm die Zeitung auf das Sofa gelegt. Doch ehe er sich ausruhte, mußte er hinaus und Wasser lassen. Als er durch die Küche zurückkam, stand sie da, um abzuwaschen. Der Krämer hat mir eine Tüte Rosinen aufgeschwatzt, sagte er an der Tür zur Stube. Sie liegen draußen auf der Torfkiste. Er schloß die Tür zu ihr.
Vom Krieg las er nichts, auch nichts über die Butterpreise, er las nichts anderes als die Überschriften, bis er einen Absatz über den Hofjägermeister fand. Das war ein großer Absatz, er wurde sechzig, seine Schwester hatte in jungen Jahren auf dem Schloß gedient und dies und das gelernt, was man ihr immer noch anmerken konnte. Und er faltete die Zeitung so, daß er sie vor sich hochhalten und sehen konnte, was da stand, und sie schrieben über sein ganzes Leben und seinen Werdegang, sozusagen ab dem Krabbelalter. Sein Schulbesuch. In Deutschland und England war er mehrere Jahre gewesen. Die Heirat. Die Hofjägermeisterin interessierte sich für das Klavierspiel, hatte seine Schwester gesagt, und Blumen. Doch dann kam endlich der Punkt, als der Hofjägermeister damals begann, das Groninger Vieh einzuführen, ja, er kannte die Art, mehrere seiner eigenen stammten in direkter Linie von einem der ersten ab, Hendryck von Grootegast, war das nicht der erste Zuchtstier, den der Hofjägermeister hergebracht hatte, ja die Groninger. Über die hätten sie ruhig etwas mehr schreiben können. Doch dann die ganze Litanei an Vertrauensposten. Die Schlachterei. Er wurde trotzdem langsam schläfrig. Die Bank. Ach ja. Und zuletzt natürlich die Jahre im Reichstag. Die Revision. Die Zeitung fiel ihm aus der Hand. Die Revision des Jagdgesetzes. Und der Frauen? Was stand da, er ließ die Augen wieder zufallen. Der Frauen? Dennoch schön, von so einem Mann zu lesen, der so. Ein Mann, der wirklich. Ja. Wirklich im Ernst. Schön, so etwas zu lesen. Ein Mann, der so. Ja. Der wirklich. Ja, und er reitet, hinauf unter dem Wald, es ist das erste Mal, es ist das erste Mal, daß er richtig reitet, und er hat keinen Sattel, und er klammert sich mit seinen kleinen Händen an der Mähne fest, und es geht schnell, es geht so schnell, durch nichts, der Oldenburger galoppiert durch die Luft, und er hängt an der Mähne in der Luft, war schon fast am Fallen, was war denn das, die Knechte, sie waren nebenan und bekamen ihren Kaffee, konnte er hören. Waren zu weit draußen, um mitten am Nachmittag nach Hause zu kommen. Doch sie hatten nur jütländische Pferde gehabt, als er ein Junge war. Den Oldenburger. Er nickte wieder etwas ein. Und die Belgier nicht zu vergessen. Es wurde nie viel aus diesem Mittagsschlaf. Ganz auf ihn verzichten konnte man auch nicht, er schnappte sich die Zeitung und begann wieder mit dem Hofjägermeister. Las auch noch einmal den kleinen Absatz über die Groninger, sah die letzten Seiten durch, schloß die Augen. Ein Nickerchen, wenn auch noch so kurz, mußte er machen.
Es wehte ein leichter Wind, als er mitten am Nachmittag hinaus vor die Tür trat, doch von Osten, mit mehr Dürre. Trostlos war es, er hatte gerade seinen Kaffee getrunken, die Kanne und der Kessel standen auf dem Herd, so konnte er ihn verdünnen wie er wollte, halb und halb, und ein Roggenbrot hatte sie ihm geschmiert und auf den Tisch gestellt, jetzt war sie unten im Gemüsegarten und harkte. Er sollte wohl besser schauen den Tüderpflock zu finden, der ihm eingefallen war, als er am Aufwachen war, lag der nicht in einem Fenster unten in der Scheune, der Ring war durchgewetzt, er wollte damit zum Schmied hinübergehen. Nein, er mußte in allen vier Fenstern entlang der leeren Tenne suchen, schob Staub und Spreu zur Seite und wühlte zwischen Seilen und Kettenstücken und Lederriemen, Eggenzähnen und Deichselbeschlägen, Bleiloten, Wetzsteinen und Scheffelmaßen, und war schon am Aufgeben. Und dachte daran, eine Runde hinunter auf Wiese am Fjord zu machen und das Heu anzufühlen, als er sich daran erinnerte. Schon vor ein paar Tagen hatte er den Tüderpflock in der Hand gehabt und ihn wieder zur Seite gelegt, im Kuhstall, auf das Mäuerchen beim Rübenlager.
Er ging hinten um den Nachbarhof herum und unten um den Weiher hinüber zur Schmiede, denn es reichte, sich einmal am Tag auf der Landstraße zu bewegen. Nicht direkt, um Leuten auszuweichen, und da stand auch jemand an der Tür, doch das war nun auch nur ein Tropf, den niemand zu etwas gebrauchen konnte und mit dem er sich auch nicht einlassen wollte. Er ging an ihm vorbei und grüßte dennoch, sagte seinen Namen, ein Mensch war der Trottel trotz allem, und dort im Dorf geboren. Dann streckte er dem Schmied den Tüderpflock hin und fragte, ob er nicht einen Rest finden und einsetzen könne. Doch der Schmied wandte sich nicht von der Esse ab, in der er eine Pflugschar in der Zange hielt, also pfefferte er den Tüderpflock auf den Boden, konnte ja sein, daß er das hörte, wenn schon sonst nichts, drehte ihm selbst den Rücken zu, und ging hinaus, als er sah, daß der Kerl da draußen sich davonmachte.
Der Schmied wollte immer gern zeigen, daß er selbst das Tempo bestimmte, dagegen war nichts zu machen, so waren Handwerker ja oft. Sie hatten nichts, wußten aber, daß man sie ab und zu brauchen konnte, auf diese Weise bekamen sie die Macht, einen Mann warten zu lassen. Und er würde auch warten, aber nicht lange, auch das mußte der Schmied wohl wissen, er stand da und pulte ein paar kleine, harte Klümpchen aus den Nasenlöchern. Alles trocknete bei diesem Wetter ein. Dann kam ein Mann um die Ecke, mit einem Pferd im Schlepptau.
Ein jüngerer Mann, er hatte eine Kate oben unter den Sandhängen, arm wie eine Kirchenmaus war er, das Fjordpferd war alles, was er hatte; um so stolzer war er darauf. Mußte ihn also ein wenig loben für diesen Klepper, jetzt wo er gehört hatte, daß er ein Hufeisen verloren hatte, er ging zu ihr und tätschelte ihr die Brust.
Ein starker kleiner Gaul, sagte er, und der Kätner begann zu strahlen und wurde dann fast ein bißchen verlegen, als ob er zu ihm mehr gesagt hatte als angemessen war. Doch das hatte er nicht im geringsten, der Mann hielt das Fjordpferd so gut wie nur irgendjemand; würde wohl auch lieber selbst hungern als hören, daß ihm etwas nachgesagt würde. Vielleicht sogar vor allem von ihm, ja, seine Worte hatten Gewicht, das nicht zu vergessen, mußte er sich die ganze Zeit erinnern, bei den vielen Pferden, die er selbst über die Jahre hinweg hatte mustern können, da spitzten die Leute die Ohren, wenn er seine Meinung kundtat. Auf diese Weise konnte man sich noch eine Schuldigkeit aufhalsen, so wie er sich auch nie hatte wehren können, wenn ihn jemand bat, behilflich zu sein, wenn ein Fohlen nicht ins Geschirr wollte. Nicht zuletzt wenn ein Hengstfohlen ganz ungebärdig war, konnte er sicher sein, daß nach ihm geschickt wurde; gewiß nicht, weil es niemand anderen gegeben hätte, so eine Bestie zu zähmen, es war bloß so, als ob sie es am liebsten sähen, wenn er es tat. Und das gehörte vielleicht zum Junggesellendasein dazu. Mehrere Male in seinem Leben hatte er sich genötigt gesehen, zu zeigen, daß nur wenige ihm das Wasser reichen konnten, sowohl was Kraft als auch Kühnheit anging.
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