1 Theoretische Grundlagen
1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz
Für die hier verfolgte Fragestellung bietet es sich an, von einem (text)pragmatischen und einem interaktionalen Stilverständnis und Stilkonzept auszugehen, wie es maßgeblich durch Arbeiten von Sandig (vgl. insbesondere Sandig 1986 und 2006) und Selting (vgl. z.B. 2001) geprägt worden ist. Diesem Begriffsverständnis zufolge ist Stil als sozial relevante Art der Handlungsdurchführung (vgl. Sandig 2006: 9) zu fassen, ist Äußerungen und Texten stilistischer Sinn zuzuschreiben und können Typen stilistischen Sinns (ebd.: 17) ermittelt und unterschieden werden:
„Stil ist also die sozial bedeutsame Art der Durchführung einer kommunikativen Handlung, wobei diese Art der Handlungsdurchführung und die Handlung selbst und/oder das Thema als solches indizieren kann, wobei weiter die Handlungsdurchführung erkennbar bezogen sein kann auf die Art der an der Handlung Beteiligten und ihre Beziehung und/oder auf verschiedenartige Handlungsvoraussetzungen wie Kanal, Textträger, Medium, Institution, umfassendere Handlungsbereiche … Durch die Art der Handlungsdurchführung können außerdem Einstellungen/Haltungen zu den verschiedenen Aspekten des Handelns mit ausgedrückt werden. Stile sind bezogen auf ihre historische Zeit und eingebunden in bzw. Ausdruck von (Sub)Kulturen.“ (Sandig 2006: 17)
Auf dieser Grundlage ist im Blick auf Grammatik-Texte zu fragen, inwiefern das Thema bzw. der Gegenstand (Grammatik) eine bestimmte Art der Handlungsdurchführung nahelegt und erwartbar macht, inwiefern sich aber im Blick auf die an der Handlung Beteiligten auch Unterschiede in der Art der Handlungsdurchführung erkennen lassen und inwiefern sich dadurch für die Rezipienten bzw. Nutzer sowohl erwart‑ bzw. generalisierbare als auch individuelle Stilwirkungen ergeben. Solche Stilwirkungen sind maßgeblich durch stilistisches Wissen geprägt, d.h. durch die Kenntnis der Konventionen darüber, wie typischerweise in bestimmten Handlungsbereichen Stilgestalten hergestellt werden.
1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster
Vor diesem hier nur äußerst knapp skizzierten Hintergrund textstilistischer Grundannahmen gewinnen die Fragen an Bedeutung, auf welche Weise die Handlungsdurchführung in Grammatik-Texten erfolgen kann, inwieweit stilistische Einheitlichkeit erwartbar und gegeben ist sowie ob und gegebenenfalls welche Arten von Stilwechsel(n) erkennbar sind. Diese Fragen können bezogen auf eine bestimmte konkrete Darstellung gestellt werden, sie gewinnen aber an Relevanz, wenn verschiedene zielgruppenorientierte Darstellungen einander gegenübergestellt oder wenn in diachroner Perspektive verschiedene zielgruppengleiche Darstellungen verglichen werden.
Im Mittelpunkt stehen dafür „textstilistische Handlungsmuster“, d.h. „stilrelevante Teilhandlungstypen für Texte“ (Sandig 2006: 147), die für die Produktion und Rezeption von Stilelementen zur Verfügung stehen.
Für das Durchführen einer (komplexen) Handlung können als allgemeine stilistische Handlungstypen nach Sandig (ebd.: 150) das Gestalten und das Relationieren angesetzt werden. Das Gestalten – Püschel (1987: 143) zufolge das „zentrale Stilmuster“ schlechthin: „Die Form, das Aussehen, die Gestalt einer Sprachhandlung/eines Textes ist ihr/sein Stil“ (ebd.)1 – ist in erster Linie ein auf Einheitlichkeit ausgerichtetes sprachliches Handeln (vgl. Fix 1996: 318). Dass Texte ein und desselben Themen‑ und Gegenstandsbereichs wie auch einzelne Texte und Textpassagen unterschiedlich gestaltet werden können und dass die Einheitlichkeit des Stils in der Sprachwirklichkeit nicht aufrechterhalten werden muss, sondern intentional oder auch unbedacht durchbrochen oder dass gar das Aufgeben von Einheitlichkeit selbst zu einem stilbildenden Prinzip werden kann (vgl. ebd.: 318), gehört zu den Alltagserfahrungen im Umgang mit literarischen Texten wie auch mit zweckorientierten Gebrauchstexten; gegebenenfalls erkennbare Unterschiede sind vor allem auf die jeweilige Art des Formulierens, die jeweilige Präferenz für bestimmte Sprachhandlungen, den Rückgriff auf andere als sprachliche Zeichen und das Maß der Typisierung der Handlungsdurchführung zurückzuführen. Voraussetzung ist dabei, wie bereits angedeutet, eine auf Geltung bestimmter Konventionen beruhende Interpretationsgrundlage für alle Kommunikationsbeteiligten (Textproduzent und Textrezipient): „Wichtig ist, daß […] die für die Beteiligten in der Situation per Konvention erwartbaren Handlungen, Handlungsinhalte und Durchführungsarten angenommen werden; stilistischer Sinn und Stilwirkung des Textes […] entstehen in Relation dazu“ (Sandig 1986: 124).
Das Einheitlichmachen und das Wechseln von Stilelementen zählen – neben z.B. Abweichen, Verdichten und Mustermischen – zu den grundlegenden stilistischen Handlungsmustern:2 „Einheitlichkeit entsteht durch FORTFÜHREN stilistisch gestaltbildender Mittel, so dass dieses FORTFÜHREN zur Interpretation des stilistischen Sinns beitragen kann“ (Sandig 2006: 174; Hervorhebungen im Orig.). Die Konstanz des stilistischen Sinns als Folge gleichbleibender und insofern redundanter Stilelemente (wie gleiche oder ähnliche Stilebenen, propositionale Gehalte und/oder Teilhandlungen) kann im Anschluss an ethnomethodologisch geprägte Konzepte der Interaktionsanalyse als Kontextualisierungsverfahren bzw. ‑hinweis interpretiert werden (vgl. dazu etwa Auer 1986 und 1992; Selting 1989): Dem Rezipienten wird zu verstehen gegeben bzw. „mitgeteilt: Es ist noch dieselbe Handlung (im Unterschied zu anderen möglichen), noch dasselbe Thema (im Unterschied zu anderen möglichen), noch dieselbe Beziehung zwischen den Interagierenden (in Relation zu anderen …), noch dieselbe Situationsinterpretation […]“ (Sandig 1986: 118). Das Einheitlichmachen und die Einheitlichkeit des Stils sind funktional also darauf angelegt, Änderungen in der Handlungsdurchführung (z.B. Themenwechsel, Wechsel der Handlungstypen usw.) durch Stilwechsel zu kontextualisieren:
„Eine Konsequenz der Funktion der Einheitlichkeit des Stils ist es, daß bei Übergängen zu anderen Handlungen, auch Teilhandlungen, der Stil gewechselt wird, auch bei Übergängen zu anderen Themen, bei einem Wechsel der Interagierenden, bei einer Änderung der Beziehung, der Situationsdefinition usw. […] So zeigen die Stilwechsel mit ihren Funktionen die Verflechtung von stilistischer Textstruktur einerseits und den Handlungsvoraussetzungen, auf die die Handlungsdurchführung bezogen ist, andererseits“ (Sandig 1986: 119).
Versteht man Einheitlichkeit des Stils als „generelles Postulat“ (ebd.: 122) bei konstanter Sprachgestaltung, konstanter Handlungsart und konstantem Thema, liegt es nahe, in Stilwechseln aufgrund ihrer Leistung als Kontextualisierungsverfahren Indikatoren für Veränderungen in der Art der Handlungsdurchführung zu sehen und ihnen Stilwirkung(en) zuzusprechen: Sie lassen sich als Instrument dafür deuten, die Textrezeption attraktiv(er) – z.B. abwechslungsreich(er) oder lebendig(er) – zu machen, und können als Mittel der Aufmerksamkeitssteigerung interpretiert werden (vgl. ebd.: 122). Denn grundsätzlich lassen sich Wechsel, wie sie beispielsweise durch auffällige Veränderungen in der lexikalischen und/oder syntaktischen Gestaltung oder in der thematischen Struktur fassbar werden, mithilfe der Figur-(Hinter‑)Grund-Relation erfassen: „Bei Stilwechsel wird der bisherige Stil zu Grund, der neue Stil zu Figur […]“ (Sandig 2006: 73; vgl. auch ebd.: 202–205), wodurch er sich vom bisherigen Grund abhebt. Man kann darin durchaus auch eine Ausprägung eines anderen allgemeinen textstilistischen Handlungstyps, nämlich des Abweichens, sehen (vgl. dazu ebd.: 153–157), wodurch der Zusammenhang zwischen Existenz (und Kenntnis) von Gestaltungskonventionen und dem Verstoßen dagegen deutlicher hervortritt:
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