Dass die Vereine neben dem sportlichen Können eines Fußballers auch immer mehr auf dessen Wert in der Online-Welt schauen, hat sich aber schon viel früher angedeutet: beim Transfer Mesut Özils von Real Madrid zu Arsenal London. Das war 2013. Und auch da war ich mittendrin.
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Mesut Özil: Notruf im Silicon Valley
In der Gegenwart arbeite ich fast ausschließlich mit Sportvereinen und -verbänden zusammen. Das war nicht immer so. Vor wenigen Jahren habe ich auch Einzelathleten für das digitale »Personal Branding« unter Vertrag gehabt. Sehr erfolgreiche Fußballer. Deutsche Nationalspieler. Das war eine sehr aufregende Zeit. Aber auch eine sehr schmerzhafte. Ich wurde persönlich stark enttäuscht und bin vorsichtiger seitdem.
Ich bin nach Auslandseinsätzen in England, den USA, Australien und Asien für global agierende Technologieunternehmen im Jahr 2005 nach Deutschland zurückgekehrt und habe 2008 mit der Gründung der RESULT mein Comeback im Sport gefeiert. Nach vielen Investitionen in den Anfangsjahren begann ich irgendwann, Geld zu verdienen und personell aufzustocken. Meinen ersten Angestellten verpflichtete ich im Sommer 2012, wir wollten gemeinsam etwas Größeres aufbauen.
Wir vereinbarten, unsere Aufgaben und Kompetenzen aufzuteilen. Mit zusätzlicher Manpower wollten wir das Portfolio der RESULT vergrößern. Wir wollten einzelne Athleten neu gewinnen und operativ betreuen. Ich brachte meine Erfahrung und mein technisches Know-how ein und konnte nützliche Daten aus meinem Crawler zuarbeiten. Zu dieser Zeit waren Profifußballer verstärkt auf der Suche nach Agenturen, weil sie professionelle Hilfe für ihr Social-Media-Management brauchten. Dadurch herrschte in den Jahren 2012 bis 2014 eine echte Goldgräberstimmung. Das »Personal Branding« wurde immer gefragter.
Dann fragte Mesut Özil bei uns an. Ich war in diesen Prozess kaum involviert, mein Mitarbeiter kümmerte sich darum, und nach einer Weile hatten wir tatsächlich Özil als Kunden gewonnen. Das war natürlich eine Riesensache. Mesut war schon damals der erfolgreichste deutsche Fußballer in den sozialen Medien. Er war von nun an unser Faustpfand bei der Akquise weiterer Profifußballer.
Als nächster ›Großer‹ kam Ilkay Gündoğan dazu, der zu diesem Zeitpunkt noch bei Borussia Dortmund spielte. Gündoğan und Özil sind dicke Kumpels. Beide sind türkischstämmig, beide haben ihre Wurzeln im Ruhrpott, beide sind in Gelsenkirchen geboren. Obwohl die beiden auf Profiebene bislang – außer in der deutschen Nationalmannschaft – nie für die selbe Mannschaft kickten, sind ihre Karrieren eng miteinander verknüpft. Es sprach sich herum, dass die beiden nun in unseren Händen waren. Der Profifußball ist ein Dorf. Weitere Kunden der RESULT wurden dann auch noch Antonio Rüdiger (damals VfB Stuttgart/heute Chelsea London), Emre Can (damals Bayer Leverkusen/heute Borussia Dortmund) und der griechische Verteidiger José Holebas (damals Olympiakos Piräus/heute FC Watford). Zusätzlich kümmerten wir uns um die Sängerin Mandy Capristo, die damalige Freundin von Özil. Viel Arbeit, dementsprechend stockten wir personell auf. Mitte 2013 hatte ich eine Handvoll festangestellter Mitarbeiter.
Ich habe damals mit meiner Familie in München gewohnt. Mit meiner Frau Hong Chi (Jahrgang 1978), meinen Söhnen Kevin (Jahrgang 2002) und Noah (Jahrgang 2012) sowie meiner Tochter Helen (Jahrgang 2005) bewohnten wir ein Haus in Waldperlach. Die RESULT stand auf festen Beinen. Die Dienste meines Crawlers nahmen immer mehr Vereine in Anspruch. Mir ging es gut. Ich hatte mir nach vielen Jahren im Ausland wieder ein Fundament in Deutschland gegossen. Ich ahnte nicht, dass es bald die ersten Risse geben sollte.
Emojis gegen Hass
Unsere Aufgabe in der Betreuung von Mesut Özil, Ilkay Gündoğan, Antonio Rüdiger, Emre Can, José Holebas und Mandy Capristo bestand darin, deren Social-Media-Präsenzen zu pflegen, zu professionalisieren und auszubauen. Bei Özil kamen neben den gängigen Plattformen wie Facebook, Twitter & Co. noch zwei chinesische Netzwerke hinzu: Sina Weibo und Tencent QQ. Das war total spannend. Denn Social Media funktioniert in China anders als bei uns.
Sina Weibo ist ein Kurznachrichtendienst mit den Bausteinen Text (bis zu 2.000 chinesische Zeichen), Foto und Video. Vom Umfang und der Funktionalität also ähnlich wie Twitter. Nur schicker. Sina Weibo ist die einzige chinesische Plattform, die bis heute mit 700 Millionen täglichen Nutzern nationale Relevanz hat. Weibo heißt übersetzt Mikroblogging. Diese Plattform ist – wie jedes asiatische Netzwerk – stark getrieben von Emojis und unterhaltsamen Elementen, weil das nun mal Teil der fernöstlichen Kultur ist. Übrigens: Facebook hat bei uns erst 2014 die Emojis eingeführt. Als Antwort darauf, dass der Umgangston auf dieser Plattform in Deutschland immer aggressiver wurde. Mit zunehmenden Beleidigungen, Anfeindungen, Verletzungen und purem Hass. Die Emojis sollten dieses Problem lösen, um eine andere Form der Diskussion anzubieten. Und dieser Plan ist tatsächlich aufgegangen. Zumindest kurzfristig.
Tencent QQ hingegen ist quasi ein Klon von Facebook. Dieser Instant-Messaging-Dienst gehört zum Tencent-Konzern, dem größten Internetunternehmen Chinas, zu dem unter anderem auch WeChat zählt, der meistverbreitete Chat-Dienst des Landes (vergleichbar mit WhatsApp), der mittlerweile auch einen »Mobile-Payment-Service« anbietet (ähnlich wie Apple Pay oder Google Pay). Dazu muss man wissen: In der Volksrepublik China herrscht eine Internet-Zensur. Westliche Social Networks sind komplett verboten. Die chinesische Staatsregierung hat sehr früh erkannt, dass US-Plattformen wie Facebook & Co. riesige Datenkraken sind und letztlich den Drang und Zwang haben, Wissen und Know-how der Gesellschaft abzusaugen. Sobald die User ein Foto auf Facebook, Instagram oder WhatsApp hochladen, geben sie das Recht am eigenen Bild an das Imperium von Firmengründer Mark Zuckerberg ab. So steht es in den Geschäftsbedingungen, die aber kaum ein User liest. Deswegen haben die Machthaber Chinas diesen Plattformen schnell den Riegel vorgeschoben. Ein kluger Schachzug.
Der Auftritt von Borussia Dortmund bei Tencent QQ im Jahr 2014, die chinesischen Plattformen setzten damals schon auf Werbeeinblendungen. Der BVB hatte zu diesem Zeitpunkt 23 Beiträge veröffentlicht und 22.500 Follower.
Übrigens: Das Social Network mit den aktuell am schnellsten wachsenden User-Zahlen weltweit kommt auch aus China und heißt TikTok. Das ist ein Videoportal mit starkem Fokus auf Musik und Full-Playback-Karaoke-Elementen. Es gehört zum Beijing Bytedance Technology-Konzern und wurde im August mit Musical.ly, einer weiteren populären chinesischen Kurzvideo-Social-Plattform, fusioniert. Fast eine Milliarde Menschen sind hier weltweit monatlich aktiv. In Deutschland sind es vier Millionen, die täglich knapp eine Stunde auf dieser Plattform verbringen. Im Schnitt sind sie 16 bis 24 Jahre alt. TikTok ist das einzige soziale Netzwerk, das weltweit zum Download zur Verfügung steht.
Auch zahlreiche Fußballklubs und -stars sind auf TikTok aktiv. Mit über zwei Millionen Followern ist der FC Barcelona im Dezember 2019 vor dem FC Liverpool (1,2 Millionen) und Real Madrid (1,1 Millionen) die Nummer eins in Europa. Auch der FC Bayern und der BVB nutzen diese Plattform, um ihre Popularität im in der jungen Zielgruppe weltweit und besonders im Reich der Mitte zu steigern. Wer es noch nicht weiß: Der größte Konkurrent des Fußballs ist in China Basketball. Es gibt 350 Millionen aktive Basketballer im Land, aber nur 50 Millionen aktive Kicker. Das liegt an Yao Ming, der von 2002 bis 2011 für die Houston Rockets in der NBA spielte. Der 2,29 Meter große Schlaks löste einen riesigen Basketball-Boom in Fernost aus. Die weiterhin beliebteste Sportart im Land ist aber Tischtennis.
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