KAPITEL 1
Die ersten Social-Media-Transfers von digitalen Spielmachern
#1
Der Anruf
13. Juli 2018. Ein Freitag. 10 Uhr. Ich sitze am Schreibtisch in meinem Büro und habe die Wahl. Entweder mache ich mich jetzt ans aktuelle Reporting für einen Verein, oder ich kümmere mich um die Buchhaltung des vergangenen Monats. Das Telefon klingelt. Einer meiner Ansprechpartner bei Juventus Turin ist dran – und teilt mir mit, was ich längst weiß. Am 10. Juli 2018 um 17:34 Uhr hat Spaniens Rekordmeister Real Madrid via Twitter den Wechsel seines Top-Spielers verkündet. In einem mit »Comunicado Oficial: Cristiano Ronaldo« schlicht überschriebenen Tweet verbirgt sich eine Sensation. Der Portugiese wechselt mit sofortiger Wirkung nach Italien zu Juve. Meine Expertise ist gefragt.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich als externer Social-Media-Berater bereits drei Jahre Einblick in die Juventus-Kennzahlen im Netz. Ich arbeite mit dem strategischen Kommunikationsteam des italienischen Rekordmeisters zusammen. Und jetzt bin ich von der einen auf die andere Sekunde mittendrin im aufregendsten Transfer der Fußballgeschichte: Cristiano Ronaldo – von Real Madrid zu Juventus Turin. »CR7«. Der Weltfußballer. Der Rekordtorschütze, der Mann, der fünfmal die Champions League gewonnen hat. Mehrfacher Meister in England und Spanien geworden ist. Europameister mit Portugal. Social-Media-King. Das Idol von Millionen Kids auf der ganzen Welt. Das alles schlagartig in meinen Händen. Wahnsinn!
Die Fakten. Cristiano Ronaldo hat noch ein Jahr Vertrag bei Real Madrid. Aber: Er will weg. Sofort! Er hat mit den Königlichen alles erreicht, sucht eine neue sportliche Herausforderung – und sieht sie bei Juventus. Der Titel in Italiens Serie A fehlt ihm noch in seiner gigantischen Trophäensammlung. Ronaldo ist 33, aber ehrgeizig wie mit 17. Sein durchtrainierter Körper ist eine gnadenlose Maschine. Er will die Herzen der Tifosi erobern. Vor allem aber will er die Machtverhältnisse im globalen Superstarfußball wieder zurechtrücken und seinen neuesten Konkurrenten in den Schatten stellen: Neymar.
Der Brasilianer ist zehn Monate zuvor, im August 2017, vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain gewechselt. Für die irre Ablösesumme von 222 Millionen Euro! Noch nie ist auf dem Planeten mehr Geld für den Transfer eines Fußballers geflossen. Dabei ist Neymar bei den Wahlen zum Weltfußballer des Jahres 2015 und 2017 jeweils »nur« Dritter geworden. Ronaldo lag bei beiden Abstimmungen vor ihm, 2016 und 2017 hat CR7 die Wahl sogar gewonnen. Doch mit der erstmals durchbrochenen Ablöse-Schallmauer von 200 Millionen und der in der Folge ausgelösten Abwanderung seiner Millionen Follower von den Social-Media-Accounts des FC Barcelona zu denen von Paris Saint-Germain hat Neymar Ronaldo den Fehdehandschuh hingeworfen. Der Brasilianer ist Hype, er ist das Jetzt und die Zukunft des globalen Fußballbusiness. Die 222 Millionen Euro lassen ihn erstrahlen, sie lassen ihn größer als Messi und größer als CR7 erscheinen. Cristiano Ronaldo will das nicht auf sich sitzen lassen. Wer bitte ist Neymar?!
SOCIAL-MEDIA-COMMUNITYSDER SPIELER
Die Social-Media-Communitys der Stars sind häufig sehr viel größer als die des Vereins, bei dem sie unter Vertrag stehen.
CR7 ist eine Weltmarke. Zählt man Ronaldos Follower auf allen Social-Media-Plattformen zusammen, folgen ihm heute 400 Millionen Menschen. Allein auf Instagram hat er knapp 200 Millionen Fans. Kein Mensch auf dieser Welt hat mehr.
Im Sommer 2018 beträgt die Anzahl der Follower von Juventus – vor Bekanntgabe des Wechsels – gerade mal ein Siebtel von der von CR7. Das wirft ein paar Fragen auf, für deren Beantwortung die »Alte Dame« meinen Rat benötigt: Wie viele neue Follower wird der anstehende Transfer den Social-Media-Accounts von Juventus bescheren? Wie viele werden mit ihrem Idol von Real zu Juve wechseln? Was für eine Menge an Interaktion werden die Beiträge rund um Cristiano Ronaldo auslösen? Welche Wirkung und Strahlkraft wird der Neuzugang auf Juventus haben? Mit anderen Worten: Wie schnell wird das investierte Geld zurück in die Kassen fließen? Mein Auftrag war es, Argumente zu liefern. Binnen sieben Stunden. Denn Real Madrid ist als börsennotierte Aktiengesellschaft gezwungen, auf die in den Medien aufkommenden Gerüchte über einen Ronaldo-Wechsel schnellstmöglich zu reagieren. Daher der Zeitdruck.
Ronaldo hat sich zu diesem Zeitpunkt längst für einen Wechsel nach Norditalien entschieden. Gehalt und Vertragslaufzeit sind ausgehandelt. Über die Ablösesumme sind sich die beiden Klubs schnell einig geworden: kolportierte 112 Millionen Euro. Viel Geld – und doch nur ein Klacks im Vergleich zu Ronaldos im Vertrag mit Real festgeschriebener Ablösesumme von angeblich einer Milliarde Euro. Doch weil Cristiano unbedingt gehen will und Real damit 21 Millionen Euro Jahresnettogehalt einspart, fordert Madrid diese Fabelsumme von Turin nicht ein. Laut Medienberichten soll CR7 bei Juventus übrigens 30 Millionen Euro netto im Jahr einheimsen. Bedeutet: Nur für Ablöse, Gehalt des Superstars, Beraterprämien und Steuern müssen die Italiener demzufolge ein Paket von über 350 Millionen Euro schnüren. Puh!
Juve braucht eine Kommunikationsstrategie. Wobei sie nicht mit der Unterstützung des Hauptdarstellers rechnen können: Cristiano Ronaldo befindet sich an diesem Tag auf einer Yacht vor Griechenland. Den Urlaub, lässt er ausrichten, wird er erst am Montag zum Medizincheck unterbrechen. Weder ist er zu einem Statement bereit, noch ist an ein Foto im ikonischen, schwarzweiß gestreiften Juve-Trikot zu denken. Basta! Die Kommunikation muss also einzig und allein vom Verein aus erfolgen.
Sofort schreite ich zur Tat, stürze mich in die Kennzahlen und bereite mit Hilfe meines Crawlers und meiner Social-Media-Expertise die digitale Seite des Transfers von Cristiano Ronaldo vor. Meine Prognose, wie viele Follower Turin in welchen Ländern hinzugewinnen wird, ist wichtig, weil der Klub damit auf die Sponsoren zugehen will. Und muss. Denn allein – ohne Hilfe von externen Geldgebern – ist das 350-Millionen-Euro-Paket für Juve nicht zu stemmen. Social Media, das ist die neue, die andere Währung im Profifußball.
So bereitete ich den Wechsel von Ronaldo digital vor
Ich rechne immer quartalsweise. Drei zusammenhängende Monate als Bemessungsgrundlage zu nehmen, macht Daten am besten greifbar. So kam ich zu den Prognosen, dass …
… Real Madrid kurzfristig ein bis zwei Millionen Follower in den sozialen Medien verlieren wird, weil diese mit Ronaldo nach Turin wandern.
… Juve in neun Wochen zehn Millionen neue Anhänger gewinnt.
… die Reichweite der Juve-Posts um ein Vier- oder Fünffaches höher sein wird als zuvor.
… Juventus’ Instagram-Kanal das Social Network ist, das am meisten profitieren wird. Gefolgt von Facebook und Twitter.
… sich der Transfer für Juventus innerhalb von 18 Monaten amortisiert.
Meine konservativen Annahmen werden deutlich übertroffen. Denn der Ronaldo-Transfer löst einen digitalen Tsunami aus.
Allein in den ersten vier Wochen nach Bekanntgabe des Ronaldo-Transfers gewinnt Juventus 350.000 neue Follower auf Twitter hinzu, 500.000 neue Follower auf YouTube, 1,7 Millionen neue Follower auf Facebook und unglaubliche 3,5 Millionen neue Follower auf Instagram. Weitere vier Wochen später hat der Klub auf allen Plattformen zehn Millionen neue Follower eingesammelt. Viele davon sind schon da, bevor Ronaldo auch nur einen Fuß auf italienischen Boden gesetzt hat.
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