„Ist es so recht? Mach ich es richtig?“, fragte sie beständig, und Alfred schmunzelte und sah ihr zu: „O ja, es macht sich.“
„So, sind wir schon fertig?“, fragte sie enttäuscht, als der letzte Stand goldgelb und locker eingestreut war.
„Nun geht’s erst richtig los, jetzt kommt die Hauptsache!“, sagte Alfred und griff nach Striegel und Kardätsche. Mit ruhigen, langen Strichen fuhr er über den warmen Pferdekörper und strich dann die Bürste am Kratzer ab, klopfte diesen auf den Steinplatten aus und zeigte Anne die Striche aus Staub und Schuppen, die herausfielen. Gut geputzt sei halb gefüttert, sagte er. Dann musste es Anne versuchen. Sie glühte vor Eifer.
„Na, Pferdejunge, schon fleißig?“, fragte Reuter hinter ihr. Sie hatte ihn nicht herankommen hören.
Immer war sie unsicher, wenn er sie mit seinen spöttischen Augen ansah. Margot behauptete zwar, er meine es gut, und je mehr er einen quäle, desto ernster nähme er einen. Aber Anne dachte manchmal, man könnte doch auch freundlich und trotzdem ein guter Lehrer sein, sie gab sich weiß Gott die erdenklichste Mühe. Aber Satan war nicht leicht zu reiten, und sie hatte noch nie ein anderes Pferd bekommen. Warum nur? Herta durfte doch auch die Fortuna haben, die immer sanft war und nie ausbrach, und Erika – nun, mit dem Felix auszukommen, war keine große Kunst. Aber stets, wenn Anne fragte, ob sie es nicht einmal mit einem anderen Pferd versuchen dürfe, antwortete ihr ein spöttischer Blick oder ein: „Na, gibt man klein bei? Ist es zu schwer? Ja, wer nicht selbst mit allen Kräften will ...“
Dann biss sie die Zähne zusammen und mühte sich weiter mit Satan ab. Als sie herkam, hatte sie gedacht, eine Ahnung vom Reiten zu haben – das war ein ausgewachsener Irrtum gewesen. Manchmal glaubte sie, sie lerne es nie. Solche Verzweiflungsausbrüche hatten übrigens die andern auch. Erika vor allem, mitunter auch Herta. Nur Margot nicht, die war so herrlich unbekümmert und herzlich vergnügt, dass Reuters Spott bei ihr meist ins Leere traf. Anne beneidete sie um diese Kunst.
Auch jetzt wieder, als sie dastand und putzte, merkte sie, dass sie unruhig wurde, weil er ihr kritisch beobachtend zusah. Ihre Ohren fingen an zu brennen, und sie wurde immer unsicherer, bis er ihr den Striegel aus der Hand nahm.
„Sehen Sie, so – und so – und so.“ Er machte ruhige, sparsame Bewegungen, und man sah es ihnen an, dass er seinen Kram verstand. Anne ärgerte sich ein bisschen: Immer konnte er alles so gut und verstand alles besser, ein rechtes Vortrefflichkeitsekel ...
„So“, sagte das Ekel plötzlich und legte das Putzzeug weg, „wenn Sie Lust haben, reiten wir noch ein paar Runden.“
Wenn sie Lust hatte! Als ob man jemals keine Lust zum Reiten haben könnte!
„Wen möchten Sie? Suchen Sie sich ein Pferd aus“, sagte er. „Nach welchem verlangt Ihr Herz?“ Was würde sie jetzt sagen?
„Nach dem Goldpeter!“, schoss sie heraus. Sie hatte nicht eine Viertelsekunde gezögert. Er lachte.
„Soso. Na, Sie wollen hoch hinaus. Von mir aus ...“
Der Goldpeter war schon lange Annes heimlicher Schwarm. Peter hatte ihn einmal geritten, er war schon sicher zu Pferde. Von den Mädels hatte ihn noch nie eine bekommen. Mit Herzklopfen zog sie den Gurt fest. Vielleicht war es eine Riesendummheit, die sie jetzt beging!
Reuter führte die Gräfin heraus, eine schöne, dunkle Stute, Anne hatte sie noch nie unterm Sattel gesehen. Sie hatte überhaupt noch nie erlebt, dass Reuter mitritt – ein bisschen zaghaft führte sie den Goldpeter zum Stallgang hinaus.
Die Halle sah anders aus als sonst. Es war, als drängte sich der strahlende Morgen durch die Fenster herein. Goldpeter machte seinem Namen alle Ehre, er blinkte und funkelte rotgolden und trug den Kopf so schön. Anne sah ihn ganz hingerissen an. Dann saß sie auf, sie durfte heute mit Bügeln aufsitzen. Das war gut, denn der Goldpeter stand noch weniger still als der Satan.
„So, nun nehmen Sie ihn mal hübsch kurz, damit er Ihnen nicht davongeht“, begann Reuter und trieb seine Gräfin neben den Fuchs, „und keine Bange. Immer mit der Ruhe. Nein, zu treiben brauchen Sie den nicht!“
Was nun kam, war ein Märchen – so wenigstens kam es Anne vor. Reuter war wie umgewandelt, er spottete nicht und schalt kein einziges Mal, sondern gab ruhig, freundlich und höflich Anweisungen, denen man ohne weiteres zu folgen bereit war, und Goldpeter – ach, der!
Zum ersten Mal fühlte Anne eine reine, uneingeschränkte Freude am Reiten, eine Freude, die mit nichts anderem zu vergleichen war. Sie war bei Satan durch eine harte, aber gute Schule gegangen, wahrhaftig! Jetzt saß sie fest, das spürte sie. Und mit einem Mal war alles leicht, alles spielend einfach, was bisher Mühe und Anstrengung gekostet hatte. Wie schon das Pferd warf und fing! Sie verstand nicht mehr, dass sie sich jemals am Sattel gehalten hatte, bis Hände und Oberarme schmerzten. Es gab doch nichts Natürlicheres als dieses einfache Heben und Senken im Sattel. Ihr war, als flöge sie. Nur immer, immer so weiter ...
„So, und nun sitzen wir aus. Kürzer traben, ruhig bleiben, äußerer Schenkel hinter den Gurt, innerer auf den Gurt, der innere treibt – und im natürlichen Tempo Galopp!“
Die Gräfin gab das Tempo an, und der Goldpeter folgte. Anne galoppierte gern, sie wusste, dass dies die an sich leichteste Gangart ist. Freilich waren sie bisher immer nur aus dem Schritt angaloppiert, das war leichter. Aber auch jetzt fand sie die neue Gangart, der Goldpeter griff aus und wiegte sie vorwärts.
„Gut so. Ja, gut so. – Nein, nicht leicht reiten, sitzen bleiben! Sie dürfen nicht im Sattel klopfen, sondern müssen drin kleben – gehen Sie doch mit der Pferdebewegung mit – halt.“
Anne parierte durch.
„Schlagen Sie mal die Bügel hoch. So, und nun galoppieren Sie aus dem Sattel an. Mit dem innernen Schenkel drücken – jawohl!“
Wirklich, das war erst das Wahre! Das war herrlich, einfach wundervoll. Anne begriff plötzlich, was sie bisher nie erfasst hatte, dass man Galopp reiten kann, ohne geworfen zu werden. Sie war eins mit dem Pferd, zum ersten Mal, ein Geschöpf, ein Wille, ein glückliches, naturgewolltes Vorwärtsstürmen ...
„Na also. Was wollen Sie mehr“, fragte Reuter, als sie durchparierten. „Heute ging es wirklich nicht schlecht. Sie können schon, wenn Sie wollen. Warum wollen Sie denn so oft nicht?“
„Ich will immer“, sagte Anne halb verlegen, halb trotzig. Aber im Grunde wusste sie wohl, woran es meistens bei ihr lag. Wenn sie sich über Reuter ärgerte, ihm innerlich widerstrebte, sich seinen Anweisungen nur widerwillig fügte, dann erreichte sie auch beim Pferd nichts. Es war ganz merkwürdig, es war, als habe er eine geheime Macht über die Pferde.
„So, Sie wollen immer? Nun, ich bin respektlos genug, das leicht zu bezweifeln. Immerhin, heute scheinen Sie gewollt zu haben. Vielleicht, weil niemand zusah?“
„Nein, aber weil ...“, sie stockte. Sie konnte doch nicht sagen: Weil Sie mich heute nicht verspottet haben. Jetzt spottete er schon wieder, sie fühlte das mit einer wütenden Verzweiflung, und sie fühlte, wie sie sofort schlecht saß, die Hände unruhig, die Beine verkrampft wurden. Zum Glück saßen sie gleich danach ab. Er konnte es nicht mehr bemerkt haben.
„Goldpeter, du bist der Beste!“, sagte sie und legte beide Arme um seinen Hals. Am liebsten hätte sie einen Kuss auf seine weiche Nase gedrückt. „Dich möchte ich immer reiten dürfen.“
„Glaub ich“, lachte Reuter. „Nun, wir wollen sehen, was sich machen lässt. Ich fürchte aber, Sie müssen sich jetzt beeilen.“ Er hob das Handgelenk und sah nach seiner Uhr.
„Um Himmels willen, ja!“, rief Anne bestürzt. Es war gleich halb neun. Hilfe suchend sah sie sich um. Reuter lachte noch mehr und nahm den Goldpeter am Zügel.
Читать дальше