Während der krankheitsbedingten Abwesenheit ihres Vorgesetzten, welche die Mitarbeiter sichtlich genossen, hatten sie eine Sammlung veranstaltet und von dem Geld bei einem Schreiner eine grosse, stabile Holzbank bestellt, die mit einer kostbar geschnitzten Rückenlehne und besonders stabilen Seitenteilen versehen war. Als die Bank geliefert war, hatten sich die acht Mitarbeiter gleichzeitig auf die Bank gestellt und begonnen, synchron in den Knien zu wippen. Die Bank hielt dieser Belastung stand.
Nach diesem Härtetest wurde sie für voll einsatzfähig befunden und bezahlt.
‚Da wird sich der Chef sicher freuen, wenn er wieder kommt!’, war die einhellige Meinung
Und so war es dann auch.
Als er das Büro betrat, traten ihm vor Rührung fast die Tränen in die Augen. Er bedankte sich bewegt bei jedem einzelnen Mitarbeiter persönlich und gelobte, er werde für sie der beste Chef aller Zeiten sein. Von nun an erfüllte er jeden Wunsch seiner Mitarbeiter, wenn es denn in seiner Macht stand.
***
Herr Aee hatte also beschlossen, krank zu werden. Er wusste:
Herr Sanong würde wegen einer Aushilfskraft für Herrn Aee im Polizei-Hauptquartier in Trat anrufen und den Polizeikollegen Herrn Tong zur Grenzarbeit abordnen. Herr Tong sprach als einziger dort ein wenig Englisch. Er würde gewiss auch gerne kommen, denn er war ein alter Freund.
Wie gewöhnlich würde er von den zusätzlichen „Tageseinnahmen“ am Passschalter am Abend unaufgefordert die Hälfte an Herrn Sanong abgeben.
Beide würden damit zufrieden sein.
Als Herr Aee seinen Chef von seinem schlechten Gesundheitszustand berichtet hatte, hatte der ihn mitleidvoll angesehen, und gemeint, er solle sich richtig auskurieren lassen. Er könne sich bis zur vollständigen Genesung ruhig ein paar Tage länger Zeit lassen, worauf Herr Aee ihm dankte und meinte, so schlimm sei es auch wieder nicht, und er sei sicher in zwei, drei Tagen wieder gesund.
So wünschte der Chef Herrn Aee gute Besserung, und griff nach dem Telefonhörer, um Herrn Tong anzufordern.
Morgen würde wieder ein schöner, ertragreicher Tag für die Herren Sanong und Tong werden…
Gegen neun Uhr früh machte Gerhard sich auf den Weg zur Grenze. Die Abfertigungsgebäude für Personen und Wagen bestanden auf kambodschanischer Seite aus einer Ansammlung von windschiefen Baracken und eingeschossigen Steinhäuschen.
Als er vor dem Abfertigungsschalter stand, durchzuckte ihn ein Schreck: „Wo ist mein Brustbeutel mit meinem Pass?“
Er hing nicht wie üblich um seinem Hals. Mit wackeligen Knien ging er zurück zu einer der ersten Baracken, in der sich ein ‚Restaurant’ befand und bestellte sich einen Kaffee. Er setzte sich auf eine der klapprigen Bänke und versuchte, in Gedanken die letzten Stunden zu rekonstruieren.
Gestern Abend hatte ich ihn noch vor dem Duschen um den Hals baumeln, ihn ausgezogen und dann? Kleiderwechsel, was noch?
Er kann nur im Koffer sein!
Mit zittrigen Händen öffnete er die beiden Schnappriegel und fing an zu kramen. Hurra! Da! Neben dem Kulturbeutel lag er.
Er befühlte ihn – alles klar!
Er schaute vorsichtshalber noch hinein – alles da! Pass, Kreditkarten und die zwei fünfzig Dollar-Scheine.
UUUH!
Das hätte mir gerade noch gefehlt!
Er dachte zwei Monate zurück, als ihm der Pass und sämtliche übrigen Papier in Trat geklaut worden waren.
Die Wiederbeschaffung hatte 6 Wochen gedauert und es hatte über zehntausend Baht gekostet, bis er einen neuen Pass in Händen hielt.
UUUH, Juchhei!
Er ordnete etwas den Kofferinhalt.
Nanu, was ist das denn für eine Tüte? Weiss, mit einem Aufdruck von Seven Eleven. Solche Supermärkte gab es doch gar nicht in Kambodscha! Der Beutel ist nicht von mir.
Er hob ihn hoch und schaute hinein: Zucker oder etwas ähnliches!
Ich hatte noch nie Zucker im Koffer gehabt. Kaffee trinke ich immer schwarz!
Was soll das auch?
Er roch daran: kein Geruch,
Dann steckte er den angefeuchteten Zeigefinger hinein und leckte ein wenig die Fingerspitze ab: sehr bitter!
Was konnte das nur sein?
Wie kommt die Tüte überhaupt in meinen Koffer?
Was kann das sein? Sprengstoff? Rauschgift? Wenn das Rauschgift ist? Kokain, Heroin oder irgendein anderes Zeugs? Oh Gott, oh Gott!
Damit kann ich in Teufels Küche kommen. Aber was anderes kann es nicht sein.
Er dachte scharf nach.
Wenn man mir das Zeug in den Koffer geschmuggelt hat und mich damit als Kurier über die Grenze schicken will?
So was war gelegentlich in deutschen Zeitungen zu lesen gewesen über deutsche Touristen, welche die Türkei verlassen wollten, und dabei als Transporteure missbraucht wurden.
Aber doch nicht hier und mit mir!
Er hatte auch gelegentlich gehört, dass derzeit besonders synthetische Drogen die Renner unter Bangkoks Jugend seien. Für Dealerei wurden immense Strafen verhängt – bis hin zur Todesstrafe.
Falls das wirklich Drogen waren: In welchen Schlamassel bin ich da hineingeraten? Und wie? Und gerade ich, der ich Drogen schon immer verabscheut, sogar gehasst habe!
Habe halt schon viel Drogenelend gesehen. Nicht mal Haschisch habe ich geraucht – Alkohol hat mir immer gereicht.
Und jetzt soll ich wohl tatsächlich auch noch als kosten- und ahnungsloser Kurier eingesetzt werden!
Ein schrecklicher Gedanke: wenn ich an der Thailändischen Grenze damit geschnappt werde, gehe ich in den Knast, und das für Jahre!
Ich sollte zur Polizei gehen. Aber die Polizei hier in Kambodscha hat einen denkbar schlechten Ruf. Über alle Massen korrupt und zumTeil selbst kriminell.
Irgendjemand muss das Zeugs in meinen Koffer getan haben. Aber wer und wo? In Kompong Som gestern morgen habe ich vor der Abreise den Koffer noch ganz neu gepackt, weil ich mir ein paar Turnschuhe, eine neue Jeans und zwei Hemden sehr preiswert gekauft hatte und die beiden Oberhemden, möglichst ohne sie allzu sehr zu zerknittern, unterbringen wollte.
Er versuchte die in ihm aufsteigende Panik zu bekämpfen. Gleichzeitig stieg wahnsinniger Zorn in ihm hoch.
Das muss gestern Abend passiert sein, als die Dame von der Bar mit nach Hause gekommen war und bei mir schlief. Ich war ja auch ganz schön angeheitert gewesen. Und ich hatte ihr erzählt, dass ich am nächsten Morgen nach Thailand zurück wolle!
Wieder kam der Zorn hoch:
Da spielt jemand mit meiner Freiheit, ohne dass ich davon etwas wusste, und riskiert, dass ich in den Knast marschiere… Aber denen werde ich was pfeifen. So leicht würde ich mich nicht unterkriegen lassen! Nur wie? Grübel, Grübel…
Zur kambodschanischen Grenzpolizei hatte er absolut kein Vertrauen.
Die Thailänder haben einen besseren Ruf. Ich werde die Thailänder an der Grenze einweihen!
Allmählich wurden die Gedanken wieder klarer und er beruhigte sich etwas.
Vielleicht spielen die sogar mit, überwachen mich, um die Assi-Gangster zu schnappen, wenn die jenseits der Grenze wieder an den Stoff ran wollen.
Das ist es! So müsste es laufen!
Sein Plan reifte langsam heran.
Ich müsste die Thailänder nur unauffällig informieren. Unauffällig, weil ich ja vielleicht überwacht würde – die Gangster wollen bestimmt verhindern, dass ich ihnen mit dem Stoff durch die Lappen gehe. Also Überwachung durch die Thailänder, Überwachung von mir und meinen Überwachern. Beschattung der Schatten. Wenn die Gangster an das Zeugs ranwollen, müsste man alle hochgehen lassen.
So was ist mir noch nicht passiert. Das wird spannend, endlich mal wieder was los, und ich glücklicherweise auf der guten, sicheren Seite…
Hoffentlich wird das alles gut ausgehen!
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