Anlässlich des Rastatter Kongresses 1798/99 machte die Markgrafenschaft europaweit Schlagzeilen, und die illustren Teilnehmer liebten es, in Baden-Baden zu promenieren und das Leben zu genießen. Dieser beginnende Wandel als internationaler Treffpunkt verstärkte auch den Reiz, sich mit dem Doppelnamen ein verkaufsförderndes Einzelstellungsmerkmal zu Baden bei Wien und Baden bei Zürich zu schaffen. Alle drei Städte lebten von Gästen, bekamen Residenzler, die ihre prächtigen Sommersitze bauten und in einem Buen Retiro ein entspanntes Leben führten. Viele von ihnen wuchsen über sich hinaus und wurden mit oftmals auch unternehmerischer Energie Mäzenaten ihrer zweiten Heimat. Es waren großzügige, weitblickende Geber, keine Nehmer. Die Bénazets inspirierten weitere große Namen und trugen Baden-Baden im 19. Jahrhundert auf ungeahnte Höhen. Die „Ureinwohner“ waren die Dienstleister, vom Bäcker, Winzer, Metzger bis zum Personal. Es war eine Symbiose, eine ganz natürliche Zugewinngemeinschaft. Nicht nur für das Land, auch für die Stadt vermehrten sich die Steuereinnahmen. In der lebenslustigen Thermalstadt an der Oos sprudelte zugleich eine starke private Quelle. Es könnte sein, dass diese Kraft zu ganz anderen Zeiten wieder den entscheidenden Unterschied als Symbol für Aufbruch und Aufschwung setzen könnte. Baden-Baden getragen von drei Säulen: Stadt, Land und einer Bewegung bewegter Menschen. Und subkutan würden dann erneut die Unterströmungen zwischen Engelskanzel und Teufelskanzel an der Wolfsschlucht ihre Sogkräfte entfalten – man wird sehen.
7.
ZWISCHENZEITEN 1991 – 1992
MEINE ENGSTE WEGGEFÄHRTIN URSULA LAZARUS
Die Zeit des „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ neigte sich definitiv dem Ende zu. Die beiden großen Linien einer möglichen grundlegenden Wende in und für die Stadt strömten parallel, forderten strategiebasiertes Handeln, erhöhten Energie- und Zeitaufwand, befanden sich aber in gänzlich unterschiedlichen Stadien.
Die Festspielstadt mit Opernhaus war eine „traumhafte“ visionäre Idee, die Ermano Sens-Grosholz mit dem Comité immer wieder befeuerte. Die Frage, ob diese Vision nach dem Bonmot von Altkanzler Helmut Schmidt „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“ als Blase platzen würde oder ob sie durch ein solides, sprich tragfähiges Konzept, flankiert von schwergewichtigen Namen als erstes Keimblatt in der politischen Landschaft wurzeln könnte, war die Wegegabelung, die es als Erstes zu meistern galt. Ich persönlich hatte mich entschieden, die zweite Variante im positiven Sinn voll auszuloten. Sie begann – es war wohl Frühsommer 1992 – bei einem Mittagessen mit dem ehemaligen „Staatsrat für Kunst“ Professor Wolfgang Gönnenwein in Baden-Baden, der sich kurz zuvor telefonisch aus dem Nichts, aber wohl nicht ohne Wissen des Vorstandsvorsitzenden der Jenoptik AG, MP a.D. Lothar Späth, ankündigte. Er zeigte starkes Interesse und wollte mit all seinen Möglichkeiten einsteigen, um Chancen zu testen. Dazu kamen erste Treffen mit Dr. Werner Kupper aus Zürich, als Treuhänder des Herbert von Karajan-Nachlasses, die, unterfüttert mit Schweizer Tugenden, entscheidend für uns werden sollten. Sein Interesse an Baden-Baden, so konnte man damals nur erahnen, lag wohl darin, neben dem Hauptengagement in Salzburg, eine weitere Option zu erkunden. Das Ganze mündete ein gutes Jahr später in die bahnbrechende Begegnung mit Lothar Späth am Sonntag, dem 10. Oktober 1993, auf Schloss Solitude, bei der in „knisternder Produktivität“ die Königsidee geboren werden sollte.
Die Neuordnung der BKV dagegen lag nicht als Idee in der Ferne. Die BKV musste quasi am lebendigen Leib operiert werden. Der gesamte Organismus mit 400 Mitarbeitern sollte dabei für den internationalen Standort motiviert bleiben und weiterhin trefflich funktionieren. Das war für sich allein schon eine psychologische Herausforderung, je tiefer sich öffentlich-rechtliche Daseinsberechtigung verselbstständigt hatte. Dazu kam, dass der neue Alleinvorstand Günter Götz mich zunehmend und massiv ärgerte. Er erweckte sehr selbstbewusst den Eindruck, dass ihn die sich anbahnende Neuordnung nicht sonderlich scherte. Er suchte geschickt die Hohlräume unterhalb der politischen Ebene, um Sand ins Getriebe zu streuen. Zwei Tage vor einer pompös geplanten Verwaltungsratssitzung der BKV mit Damen 1991 in Meran provozierte er mich erneut bei einer Vorbesprechung durch sein eklatantes Desinteresse an Reformnotwendigkeiten. Die Koffer waren schon gepackt. Ich zog als Verwaltungsratsvorsitzender die Reißleine. Die Reise wurde gecancelt. Die Zeit von Günter Götz neigte sich dem Ende zu. Schließlich verließ er wenig später die BKV. Ich hatte Zähne gezeigt. Es zahlt sich nicht aus, jemanden zur Jagd tragen zu müssen. Es war allein der Sache geschuldet.
Umso mehr war ich darauf aus, mit dem Land durch mehr Vertrauensbildung die Neuordnung zu beschleunigen. Wir erinnern uns, dass der Haushaltsentwurf 1991/92 des Finanzministers Guntram Palm als Reflex auf die Monaco-Pleite eine drastische Reduzierung der Spielbankerlöse androhte. Das konnte zum Glück in höchster Instanz durch persönliche Intervention des Ministerpräsidenten abgefangen werden. Dabei stand ich mit meinem penetranten Nachbohren und Lothar Späths immenser Belastung auch vor dem Hintergrund der anschwellenden sogenannten „Traumschiff-Affäre“ wiederholt auf sehr dünnem Eis. Danach, bei einem Treffen Ende 1990, empfahl er beiden Seiten dringlich, dem Finanzministerium in Person von Benno Bueble, der Stadt und ihrem OB, sich „hinzusetzen“, um zukunftsweisend stabile Grundlagen zu legen. Wenn Lothar Späth „dringlich“ sagte und meinte, dann verengten sich beim Frontalblick seine Pupillen und die schmal gepressten Lippen schlossen jeden Zweifel aus!
Für die Stadt sah ich gemeinsam mit Ursula Lazarus, der CDU-Fraktion und den Freien Wählern im Gemeinderat, wachsende Entschlossenheit, die Alt-BKV und ihre fortschreitende Kannibalisierung zu beenden. Die SPD hatte sogar schon im Schulterschluss mit ihrer Landtagsfraktion eine rechtlich abgesicherte Landesfinanzierung für eine weitgehend kommunalisierte BKV konzeptioniert. Bereits im Wahlkampf hatte ich die offensichtliche und provozierende Dysfunktionalität zwischen Stadt und Land immer wieder in ein Bild gegossen. Nötig, weil – bis heute übrigens – die meisten Baden-Badener zwar wissen, dass es da um viel Geld geht, aber nicht genau warum, weil es vielen einfach zu kompliziert ist. Das machte es übrigens auch Teilen der hotelnahen FDP mit dem Bundestagsabgeordneten Olaf Feldmann, der zugleich auch HOGA-Geschäftsführer war, und den Alt-Badenern unter dem Karlsruher Professor Mürb so einfach, der Öffentlichkeit über Jahre hinweg immer wieder gegen alle Fakten vorzuspiegeln, es sei die Stadt, die bei einer Neuordnung Millionen in Wirklichkeit ihr gehörender Spielbankgelder verlieren würde.
Das Wendt-Bild war so: In der Lichtentaler Allee fährt eine Zweispännerkutsche mit zwei Kutschern, einer für das Land, einer für die Stadt. Jedem von ihnen gehört ein Pferd. Nach den Statuten müssen sie jährlich Zügel und Peitsche wechseln. Dabei wird die Richtung geändert und es gibt Hü-Hott-Politik. Man fährt Umwege und verschwendet Hafer. Deshalb ist es für Baden-Baden insgesamt besser, sich zwei Einspännerkutschen anzuschaffen. Eine für das Land und eine für die Stadt und die Arbeitsteilung, also die Fahrtrouten, so zu organisieren, dass man schneller und sogar mit weniger Futter seine abgestimmten Ziele für das gemeinsame Ganze erreicht.
Konkret bekam das ab Anfang 1992 zunehmend Konturen, nachdem Dr. Wolfgang Bernhardt mit dem klaren Auftrag, die Neuordnung operativ in Angriff zu nehmen, in die Verantwortung kam. Er fand ein kostspieliges Roland Berger-Gutachten vor, das hohe Einsparungseffekte von bis zu jährlich 11 Millionen DM in Aussicht stellte. Dies erwies sich später zu Recht als illusorisch. Die Leitlinie allerdings, ein Mix von Teilkommunalisierung und Privatisierung vor allem Verpachtung, wurde politisch übernommen. Die verbleibende Verantwortung Stadt-Land war in ihrer öffentlich-rechtlichen Ausprägung noch nicht hinreichend konkretisiert.
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