Abb. 1-3Die Panoramaschichtaufnahme (a) eines 77-jährigen Patienten mit metastasierendem Prostatakarzinom und unter Zoledronat-Therapie (i. v.) zeigt den Zustand nach diversen Zahnentfernungen im Ober- und Unterkiefer. Im Oberkiefer Regio 14 (b) und im Unterkiefer Regio 44 (c) ist es zu Wundheilungsstörungen mit teilweise freiliegendem Knochen gekommen. Somit besteht der Verdacht auf eine Medikamenten-assoziierte Osteonekrose unter hochdosierter Bisphosphonattherapie.
Abb. 1-4Die Panoramaschichtaufnahme (a) einer 84-jährigen Patientin mit Osteoporose und unter langjähriger oraler Bisphosphonattherapie (Alendronat) zeigt den Zustand nach Entfernung der Restzähne im Unterkiefer. In Regio 47/48 (b) und 37/38 (c) zeigt sich eine deutliche Wundheilungsstörung mit freiliegendem Knochen. Somit besteht der Verdacht auf eine Medikamenten-assoziierte Osteonekrose unter niedrig dosierter Bisphosphonattherapie.
Diabetes mellitus
Bei einem bekannten Diabetes mellitus sollte vor einer invasiven Behandlung geprüft werden, ob dieser gut eingestellt ist. Ein guter Richtwert ist dabei der Langzeitzucker (HbA1c), der idealerweise unter 7 % sein sollte. Bei ungenügender Kontrolle des Diabetes ist nach oralchirurgischen Eingriffen mit einer verzögerten Wundheilung zu rechnen.
Medikamente mit Auswirkungen auf die Mundgesundheit
Aus präventivzahnmedizinischer Perspektive sind allgemeinmedizinische Faktoren und Medikamente zu prüfen, die einen Einfluss auf die orale Gesundheit – besonders die Speichelproduktion und die Gingiva (Gingivahyperplasien) – haben. Es gibt zahlreiche Medikamente, wie Antihypertensiva oder Antidepressiva, welche die Speichelproduktion quantitativ und qualitativ deutlich beeinträchtigen, was sich dann klinisch als Hyposalivation (subjektiv: Xerostomie) manifestiert. Andererseits sind bei Organtransplantierten die Immunsuppressiva, bei Epileptikern Antiepileptika oder bei Patienten mit Bluthochdruck die Einnahme von Kalziumantagonisten (Nifedipin, Amlodipin) zu beachten, die zu Gingivahyperplasien führen können ( Abb. 1-5).
Abb. 1-5Generalisierte Wucherungen an der Gingiva im Ober- und Unterkiefer (a) bei einem 59-jährigen Patienten unter Amlodipin-Therapie wegen einer Hypertonie. Besonders die Papillenregionen im Seitenzahnbereich im Oberkiefer (b) und in der Frontzahnregion im Unterkiefer (c) zeigen ausgeprägte kolbenförmige Wucherungen.
Allergien
Gezielt sollte auch nach einer vorhandenen Allergie auf häufig verwendete zahnärztliche Materialien oder Medikamente gefragt werden. Von besonderer Bedeutung bei oralchirurgischen Eingriffen sind hier eine etwaige Penicillin-, Latex- oder Jodallergie.
Die Sozial- und Familienanamnese
Bei der Sozialanamnese wird nach den Lebensverhältnissen, dem Beruf, dem Alkohol- und Tabakkonsum sowie bei Frauen nach einer bestehenden Schwangerschaft gefragt. Oft wird dieser Teil der Anamnese in den allgemeinen Teil, d. h. in den entsprechenden Fragebogen, integriert, sodass eine klare Abgrenzung zwischen diesen beiden nicht mehr möglich ist. Das Wissen über die sozio-ökonomischen Verhältnisse der Patienten ist wichtig, um eine adäquate Therapie auch unter eben diesen Gesichtspunkten planen zu können.
Eine Familienanamnese macht Sinn, wenn hereditär bedingte Anomalien, Erkrankungen und Fehlstellungen, wie beispielsweise Anomalien der Zahnzahl, Zahnform und Zahnsubstanz, vorhanden sind. Zudem sollte diese auch erfolgen, wenn Dysgnathien und Syndrome bei direkt verwandten Personen – also bei den Eltern, Geschwistern und Kindern der Patienten – vorliegen.
Die spezielle Anamnese
Die spezielle Anamnese enthält die Schilderung der Patienten über die aktuelle dentoalveoläre Krankheit bzw. Problematik und sollte den Beginn, den Verlauf, die subjektiven Symptome und die bisherigen Behandlungen umfassen. Es sollen spezifisch die Beschwerden im Bereich des Kauorgans erfasst werden. Handelt es sich um ein dentales Problem? Oder scheint die Problematik eher vom Knochen (Maxilla oder Mandibula) bzw. dem Kiefergelenk auszugehen? Liegt ein akutes oder ein chronisches Leiden vor? Bei Beschwerden und Schmerzen werden gezielt Fragen nach der Dauer, der Intensität, dem Auslöser, dem Charakter und der Qualität, dem Zeitpunkt, dem Ort und den bisher getroffenen Maßnahmen gestellt. Hier ist es auch bezüglich Dringlichkeit einer Therapie hilfreich zu fragen, wie stark der Patient durch das aktuelle Leiden im Alltag beeinträchtigt wird. Der Schmerz kann auf einer Skala von 1 bis 10 gemäß der VAS (Visuelle Analog-Skala/visual analogue scale) angegeben und so auch objektiv quantifiziert werden.
Zur speziellen Anamnese gehört im allgemeinen zahnärztlichen Kontext auch eine zahnärztliche Präventionsanamnese, die ein gezieltes Erfragen von Mundhygienegewohnheiten sowie die Anwendung von Zahnpflegeprodukten und Putztechniken umfasst. Ebenso wird nach der Häufigkeit, der Dauer und dem Zeitpunkt der Zahnpflege gefragt. Eine detaillierte Ernährungsanamnese mit einem speziellen Ernährungsfragebogen kann bei Verdacht auf ein erhöhtes Kariesrisiko und/oder Erosionen sinnvoll sein. Nicht selten sind sich die Patient ihres hohen Zucker- und Säurekonsums nicht bewusst.
Fazit
Eine detailliert durchgeführte Anamnese bildet die Grundlage für den Befund, die Diagnose, eine gezielte Therapieplanung mit nachfolgender Therapie und auch der Nachsorge. Sie soll bei geplanten oralchirurgischen Eingriffen helfen, Komplikationen während der Behandlung zu minimieren. Diese Komplikationen können zum einen zu einem Misserfolg der Behandlung selbst – beispielsweise Zahn- oder Implantatverlust – oder zum anderen auch zu schwerwiegenden Wundheilungsstörungen oder Infekten führen, die dann aufwändige und auch langwierige Folgebehandlungen nötig machen. Es liegt in der Verantwortung des Behandlers, durch gezielte und präzise gestellte Fragen und gegebenenfalls in Rücksprache mit Hausarzt oder Facharzt möglichst umfassende Informationen zu gewinnen. Diese sind für die Diagnose und Therapieplanung unerlässlich. Man kann angesichts dieser Tatsachen betonen, dass eine gute und umfassende Anamnese den Schlüssel zu einer erfolgreichen Therapie darstellt. Zudem sollte die Anamnese anlässlich regelmäßiger Kontrolltermine aktualisiert und ergänzt werden. Die Anamnese ist also kein einmaliges oder statisches Ereignis, sondern ein dynamischer Prozess.
Empfohlene Literatur
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2.Eremenko M: Anamnese als Herausforderung für das Praxisteam. Ein Beispiel anhand parodontaler Erkrankungen. Prophylaxe Journal 2018;2:12–15.
3.Gutwald R, Gellrich NC, Schmelzeisen R: Einführung in die zahnärztliche Chirurgie. 1. Auflage. München: Urban und Fischer, 2003:102–103.
4.Reichart PA, Hausamen JE, Becker J, Neukam FW, Schliephake H, Schmelzeisen R: Curriculum. Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten. 2. Band. 2. Auflage. Berlin: Quintessenz 2002:25–26.
5.Schriber M, Suter VGA, Bornstein MM: Anamnese - weshalb sie so wichtig ist. Dimensions/Swiss Dental Hygenists 2015;14:6–9/26–29.
6.Schwenzer N, Ehrenfeld M: Chirurgische Grundlagen, 4. Auflage, Stuttgart: Georg Thieme 2008:2–5.
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