Es war schon reichlich dunkel, aber die helle, weißgelbe Front des Gesandtschaftshauses war noch deutlich erkennbar. Detlev sah genau, wie die vier Araber dort Halt machten und anscheinend mit dem Pförtner oder sonst jemand im Innern durch die kleine Pforte in der Außenmauer verhandelten. Kaum zehn Schritte weiter hatte auch das Auto Halt gemacht. Plötzlich gewahrte Detlev, wie eine rasche Bewegung durch die Gruppe ging. Die Pforte mußte wohl von innen geöffnet worden sein. Ein Arm stand eine Sekunde lang steil in die Luft gereckt, Detlev hörte einen gurgelnden Laut wie den Notruf eines Mannes, den harte Fäuste im Entstehen erstickten. Dann huschten die Araber rasch und lautlos durch die Pforte.
„Was war das, Miß Cawler?“ Detlev wandte sich erregt zu Joy, die ebenfalls befremdet nach der Pforte sah. „Gehört das etwa zu den üblichen Besuchszeremonien hier bei den Arabern?“
„N ... ein.“ Joy schüttelte verwundert den Kopf. „Das sah ja förmlich aus, wie ...“
„Wie ein Überfall!“ Detlevs Stimme flog vor Erregung. „Kommen Sie! Wir müssen sofort hin!“
Die Amerikanerin haschte nach seinem Rockärmel und hielt ihn fest. „Nicht so schnell, Mr. Ring! Ich glaube, wir tun am besten, wenn wir uns nicht in diese Dinge mischen.“
„Aber Ly ... Frau Soelter! Wenn Sie etwa in Gefahr ...“
„Die Verhältnisse um diese Dame sind ebenso mysteriös wie sie selbst. Wir wissen nicht, was da vorgeht, und die Araber können höchst ungemütlich werden, wenn man sich unberechtigterweise in ihre eigenen Angelegenheiten mengt. Vergessen Sie nicht, daß Mrs. Soelter nicht allein ist! Captain Nicholls ist bei ihr und wird sie vor einer etwaigen wirklichen Gefahr schon zu schützen wissen.“
„Ist er wirklich im Haus? Sind Sie dessen ganz sicher?“
„Absolut.“
Detlev zögerte. Aber seine innere Unruhe war zu groß. Er riß sich los und begann die Gasse zurückzugehen. „Warten Sie hier auf mich, Miß Cawler! Ich muß wissen, was das eben zu bedeuten hatte!“
„Wenn Sie müssen ... dagegen läßt sich nichts machen.“ Joy hatte ihn mit zwei Sprüngen eingeholt und ging an seiner Seite. „Aber dann gefälligst nicht ohne mich.“
Einen Augenblick lang hatte Detlev trotz seiner Erregung ein warmes, wohliges Gefühl. Unwillkürlich streifte sein Blick das Mädchen, das resolut an seiner Seite gleichen Schritt hielt, und ein Fetzen des alten Liedes vom guten Kameraden flog ihm durch den Sinn.
„Erst mal das Auto!“ Joy zog Detlev von der Pforte weiter zu dem still harrenden Wagen. „Hallo! Warten Sie auf Captain Nicholls?“
Der Autolenker antwortete nicht. Nur zwei glühende Kohlenaugen sahen einen Augenblick die unerwünschte Fragerin drohend an. Joy wiederholte ihre Frage langsamer in dem Kauderwelsch von Englisch, Arabisch und Türkisch, das hier am Tor Arabiens im Verkehr zwischen den Engländern und Eingeborenen angewandt wurde.
Der braune Autolenker wandte schweigend den Kopf wieder geradeaus und sah an ihr vorbei.
„Er tut so, als ob er nicht verstände,“ wandte Joy sich in deutscher Sprache an Detlev. „Entweder ist das absichtliche Verstellung, oder der Mann müßte wirklich aus dem Inneren des Landes sein.“
„Lassen Sie den Burschen doch!“ Detlev zog seine Begleiterin zu der Tür. Die Pforte war nur angelehnt. Er stieß sie auf und spähte in den Hof. Nichts Verdächtiges. Still und leer lag der Hofraum, stumm und verschlossen das Haus dahinter. Aber die nach innen aufgehende Tür, die Detlev weiter zurückdrückte, stieß gegen etwas Weiches. Ein Mensch lag da! Ein brauner Mann mit zuzammengebundenen Händen und Füßen, einen Tuchknebel im Mund. Offenbar der Pförtner. Da gab es für Detlev kein Halten mehr.
„Halten Sie Wache hier, Joy! Ich gehe hinein!“
„Ich ebenfalls!“
„Nein!“ Detlevs sonst so gutmütige Augen bekamen auf einmal einen stählernen Glanz. „Sie bleiben hier! Es muß jemand hier draußen sein, auf den ich mich verlassen kann!“
„All right! Das ist ein Wort!“ Joys Augen strahlten vor Befriedigung. „Haben Sie Waffen? Nein? Dann nehmen Sie für alle Fälle das Ding hier mit!“ Sie nestelte einen kleinen Browning aus ihrer Handtasche und reichte ihn Detlev. „In diesen Gegenden ist so ein Gebrauchsgegenstand manchmal wichtiger als Puderdose und Lippenstift. Gehen Sie, Mr. Ring! Und verlassen Sie sich drauf, ich werde dafür sorgen, daß Mrs. Soelter nicht etwa in dem Rumpelkasten da davonflitzt, bevor Sie zurück sind!“
Mit wenigen Sprüngen war Detlev über die alten, zerbröckelten Steinfliesen des Hofes. Drei Türen hatte das Hauptgebäude. Er stürmte auf gut Glück durch die mittelste, die weit offen stand. Drinnen im Vorraum hielt er einen Augenblick ratlos inne. Nach allen Seiten führten von dort verschlossene, schön getäfelte und mit Intarsien ausgelegte Türen und außerdem eine gewundene Treppe hinauf in die oberen Stockwerke.
„Frau Soelter! Lydia Soelter!!“
Niemand antwortete auf den Ruf. Aber hinter einer der verschlossenen Türen begann plötzlich eine Faust zu hämmern. Ohne sich zu besinnen, sprang Detlev auf die Tür zu, bearbeitete sie mit Fußtritten, warf sich fünf- bis sechsmal wie ein Sturmbock dagegen, bis sie nachgab und aufflog.
„Frau Soelter!?“
„Yok, effendi!“ Ein Araber gurgelte ihm unter einem halbgelösten Tuch entgegen. Hinten im Raum wälzten sich noch drei andere braune Gestalten und suchten sich von Fesseln zu befreien. Detlev löste mit ein paar raschen Griffen vollends die Bande des Mannes, der offenbar einer der Diener des Hauses war.
„Wo ist Mrs. Soelter?“
Der Araber verstand die englische Frage nicht. Aber seine Gedanken strebten demselben Ziele zu wie Detlevs. Während er rasch seine Kameraden befreite, hob er den Kopf und verdrehte die Augen nach der Decke zu.
„Laila! Da oben! Schnell!“
Detlev stürmte die Treppe hinauf. Hinter ihm fuhren wie Besessene die vier befreiten Araber in dem Vorraum umher, stürzten in eine andere Kammer und kamen sofort wieder zum Vorschein. Als Detlev sich auf dem Treppenabsatz umblickte, sah er die braunen Männer nachstürmen. Ihre Hände hielten plötzlich lange Speere und krumme Messer, und in ihren Augen blitzte ein fanatischer Haß.
„Hier!“ Der von Detlev zuerst Befreite schoß an dem zögernd vor den vielen Türen des oberen Stockwerks Haltmachenden vorbei und riß eine derselben auf. Trotz der Erregung registrierte Detlevs geschultes Fliegergehirn im Nu die Vorgänge in dem orientalisch eingerichteten Erkerzimmer. Captain Nicholls stand da mit verschränkten Armen und schmal zusammengepreßten Lippen aufrecht, aber wehrlos in einer Ecke. Zwei der eingedrungenen Araber hielten ihre tadellos modernen Pistolen auf ihn gerichtet. Seine eigene Pistole lag außerhalb seiner Reichweite auf dem Fußboden. In der anderen Ecke, auf dem Ruhebett, lag Lydia Soelter. Ihre Augen waren weit offen, aber ein Tuch um den Mund hinderte sie am Schreien, und die beiden anderen Araber waren eben dabei, sie wie ein Paket zu verschnüren und transportfertig zu machen.
„Allah!!“ Die Diener stürmten an Detlev vorbei mit wild geschwungenen Waffen in das Zimmer. Detlev selbst riß Joys Browning heraus. Auch Captain Nicholl hatte sofort die neue Situation erfaßt. Seine Fäuste fuhren dem einen seiner sich erschrocken umwendenden Bedroher gegen die Schläfe, entwanden im nächsten Moment dem Taumelnden die Pistole.
Alles ging in Sekundenschnelle vor sich. Detlev war instinktiv schützend vor Lydia gesprungen. Nicholls fluchte wie ein Türke, und auch Detlev hielt seine Waffe unschlüssig in den Händen. Es war unmöglich zu schießen, denn die arabischen Hausdiener hatten sich unter wildem Geschrei auf die Eindringlinge gestürzt, wälzten sich balgend mit ihnen herum, so daß man Freund und Feind nicht unterscheiden konnte. Plötzlich aber schrie einer der Eindringlinge, offenbar der Anführer, irgend etwas auf Arabisch. Seine Leute rissen sich mit einer verzweifelten Anstrengung von ihren Gegnern los. Zwei von ihnen bluteten stark aus Wunden, die ihnen die Messer der Hausdiener zugefügt hatten, aber sie besaßen Kraft genug, mit den anderen zur Türe zu stürzen.
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