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Das Gartenfest nahm seinen Gang. Daheim im alten Europa gab es auch Feste, aber auf den Gesichtern der Menschen dort lag auch beim fröhlichsten Gelage immer noch ein gewisser Ernst, ein Widerschein der schweren Zeit, die jeder durchkämpft hatte. Auch in England. Die Wirtschaftsnot, das Gespenst der Arbeitslosigkeit lasteten überall. Hier draußen aber merkte man wenig davon. Hier waren die Engländer noch immer ein Geschlecht von Herren, die die goldenen Schlüssel zum Orient in den Händen hielten. Auf all diesen ruhigen, sorglos-heiteren Gesichtern stand noch die stille selbstverständliche Überzeugung des „Rule Britannia“. Die Damen flirteten und machten Konversation. Die Offiziere sprachen vom Sport und vom Dienst. Die Verwaltungsbeamten und Diplomaten machten zwischen Tee und Tanz hohe Politik, lächelnd, überlegen, selbstsicher wie Leute, die gewohnt sind, Völker und Herrscher als Schachfiguren in ihrem Spiel hin und her zu schieben.
Um so ernster und verbissener sahen die Gesichter der Araber aus. Man erwies den Turban-Würdenträgern des Imam von Jemen geflissentlich die Achtung, die den Gesandten eines befreundeten Souveräns gebührt. Man betonte diese Aufmerksamkeit sogar heute ganz besonders. Captain Nicholls und ein höherer Seeoffizier waren ihnen sozusagen als offizielle Adjutanten beigegeben. Der Vertreter des Gouverneurs unterhielt sich in herzlicher Freimütigkeit mit ihnen. Die Damen der Diplomatie lächelten ihnen zu. Aber die braunen Gesichter der Jemeniten wurden dadurch um keinen Deut fröhlicher. Wer kannte dieses Getue besser als die Orientalen, die Meister der diplomatischen Höflichkeit. Wer wußte besser als die braunen Männer der Wüste, daß alle offiziellen Zeremonien und Höflichkeitsbeweise nichts anderes waren als die selbstverständliche Pflicht der Gastfreundschaft. Die Jemeniten machten sich wenig aus den Europäern. Der Imam hatte seit Jahren sein Land streng abgeriegelt gegen das Eindringen der Zivilisation. Trotz des „vierzigjährigen Freundschaftsbundes“, den der Imam mit dem Kaiser von Indien geschlossen, hatten die englischen Kaufleute und Industriellen taube Ohren im Jemen gefunden. Keine einzige Konzession zum Bau von Eisenbahnen war erteilt worden. Nein, um sich von den Engländern feiern zu lassen, waren die Gesandten Imam Jahjas nicht nach Aden gekommen. Aber Ibn Saud, der braune Napoleon der Wüste, der unversöhnliche Feind des Imams, war mit seinen Wahabiten aus der Wüste hervorgebrochen. Er, der den Scherif Hussein aus dem heiligen Mekka vertrieben und das ganze Hedschas erobert hatte, rückte von Asir aus gegen das Reich des Imam. Seine Krieger marschierten in Reih und Glied wie europäische Soldaten und hatten die langen Entenflinten mit modernen Maschinengewehren vertauscht. Wenn nicht England zu einem festen Bündnis mit dem Imam zu bewegen war, so standen für das Reich von Jemen böse Tage bevor. Die Gesandtschaft war gekommen, um den Gouverneur zum Abschluß dieses Bündnisses gegen Ibn Saud zu bewegen. Aber der Gouverneur war krank, wie es hieß. Seine Vertreter hatten die Gesandten des Imam mit allen Ehren empfangen, aber all diese Freundschaftsversicherungen und Ehrenbezeugungen — das wußten die Jemeniten — bedeuteten keine Hilfe, keine Aussicht auf einen diplomatischen Schritt bei Ibn Saud und noch viel weniger ein Hilfskorps gegen die herandrängenden Wüstenstämme.
Das Gartenfest wurde in zwanglosen Formen gehalten. Es gab — Detlev stellte das mit aufrichtiger Erleichterung fest — keine offizielle Abendtafel mit Trinksprüchen und Reden. Aber gegen Mitternacht mußte er doch ein wenig aus seiner Zurückhaltung als einfacher Gast heraus. Der Colonel Blake benutzte eine Pause der Musik, um mit ein paar höflichen und herzlichen Worten den deutschen Indienflieger zu feiern.
Detlev hatte auf seinem Asienflug in den verschiedensten Städten schon viele solcher Trinksprüche über sich ergehen lassen müssen. Er wußte selbst nicht, warum ihn hier bei den Worten des Colonels eine verlegene Unruhe überkam und seine Wangen sich rot färbten. Vielleicht war es, weil er während der ganzen Rede die großen, blauen Augen Lydia Soelters aufmerksam, wie in stummem Forschen auf sich ruhen fühlte.
Lydia Soelter war auch eine der ersten, die ihm nach der Rede des Colonels die Hand drückten. „Ich hätte gern noch mit Ihnen gesprochen, Herr Ring,“ sagte sie, ihm ernst in die Augen schauend, „aber ich muß jetzt gehen. Darf ich Ihnen noch meinen Freund vorstellen? Er heißt Sikri ben Abdullah und ist ein Verwandter des Imam Jahja.“
Der hochgewachsene Araber führte grüßend die Hand gegen Stirn und Brust, ohne seine ernste Miene zu verändern. Detlev hatte den Eindruck, daß er ihm gegenüber eine Zurückhaltung an den Tag legte, die nicht auf Sympathie schließen ließ. Er begann auch sofort, eifrig auf arabisch mit Lydia zu reden. Zwei andere der Jemenitischen Gesandtschaft schoben sich unauffällig heran und bildeten förmlich eine Schutzwehr, die Lydia von den übrigen Herren und Damen trennte. Detlev hielt ihre Hand einen Augenblick fest.
„Ich hoffe, gnädige Frau, Sie geben mir die Erlaubnis, Sie wiederzusehen in diesen Tagen, die ich noch in Aden zubringe?“
„Vielleicht ... ich weiß nicht ...“ Lydia löste ihre Hand aus der seinen, und Detlev sah mit Erstaunen: Sie war plötzlich ganz scheu und verlegen geworden, fast wie eine wirkliche Araberin. Als sie inmitten ihrer braunen Begleiter, von Colonel Blake geleitet, davonschritt, sah Detlev sich nach Joy Cawler um. Er brauchte nicht lange zu suchen. Sie stand kaum drei Schritte von ihm entfernt und betrachtete ihn mit einem sonderbaren Ausdruck.
„Ich habe inzwischen mit Captain Nicholls getanzt,“ sagte Joy, als er zu ihr trat. „Haben Sie sich mit Laila verabredet?“
Detlev machte ein mißmutiges Gesicht. „Ich mag diese dumme Bezeichnung ‚Laila‘ nicht. Sie ist doch keine Araberin! Für mich heißt sie Frau Lydia Soelter.“
Joy nickte. „Ich verstehe, Mr. Ring. Sie fiebern nach dieser Dame. Das ist schade. Hoffentlich erleben Sie keine Enttäuschung.“
„Aber liebe Miß Cawler! Ich weiß nicht einmal, wo Frau Soelter hier in Aden wohnt!“
„Oh, dem kann abgeholfen werden!“ Joy winkte lebhaft dem vorübergehenden Captain Nicholls. „Sagen Sie doch, Captain! Wo ist Mrs. Soelter abgestiegen? Ich nehme an, hier im ‚Majestic‘, nicht?“
Nicholls verhielt den Schritt. „Sie hat ein Apartement hier im Hotel genommen und wollte ursprünglich hier wohnen. Aber sie hat soeben ihr Programm geändert. Sie wird privat wohnen, in dem Haus, das der Gesandtschaft des Imam gehört.“
„Ein orientalisches Haus also? Warum das?“
Captain Nicholls zuckte die Achseln. „Sollten Sie als fixe Journalistin noch nicht die neueste Sensation gehört haben, Miß Cawler? Seit einer halben Stunde flüstert man in allen Ecken davon: Boten Ibn Sauds sind unerwartet heute in Aden aufgetaucht. Das diplomatische Spiel beginnt!“
„So, so. Ich brauch mich nicht zu beeilen?“ Der tüchtige Fritz Moll lachte. „Das heißt, ins Hochdeutsche, übersetzt ja wohl, daß Sie’s gar nicht eilig haben, aus dem Backofen hier fortzukommen. Sie, Ring, seien Sie vorsichtig! Ick hab da allerhand schaurige Geschichten gehört von Leuten, die in Haremsfenster reingeklettert sind. Und die braunen Brüder hier sehen auch gar nicht aus, als ob sie sich ihre Mädels wegnehmen ließen. Recht haben sie! Würd auch mit der Faust dazwischenfahren, wenn daheim irgend ’n Fremdländischer mit meinem Mädel scharmuzieren wollte!“
„Blech, Fritz! Ich kümmere mich nicht um die orientalischen Schönheiten. Das wissen Sie doch noch von Lahore her. Aber wenn Sie es durchaus wissen wollen: Ich hab eine Frau hier kennengelernt ... nee, nicht die nette kleine Amerikanerin meine ich ... eine ganz andere, ne richtige Landsmännin, und die möchte ich allerdings ...“
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