»Setz dich einmal her. Ich will mir die Sache überlegen. Wir brauchen notwendig jungen Nachwuchs. Der alte Holly kann nicht mehr lange arbeiten und der Egger schafft das große Revier nicht allein. Ich selber komme auch nimmer so ’naus wie früher, es gibt immer mehr Schreibarbeiten. Wenn du wirklich Lust und Liebe hast zu diesem Beruf, will ich deine Bewerbung gerne befürworten. Einstellen kann ich dich nicht gleich, das hat sich der Freiherr selber vorbehalten. Reich eine schriftliche Bewerbung mit handgeschriebenem Lebenslauf ein und schau in acht Tagen wieder her.«
Adrian stand beglückt auf.
»Danke schön, Herr Oberförster.«
»Oberförster bin ich zwar, ja, aber ich lege keinen Wert auf Titel. Sag nur Förster zu mir. So – dann hätten wir eigentlich alles. Halt, noch was. Du musst dir nicht einbilden, dass du gleich mit einer Büchse herumlaufen kannst. Zuerst musst du eine Zeit lang so mitgehen. Der Egger ist ein ausgezeichneter Jäger, bei dem du was lernen kannst, auch Holzvermessen und -berechnen, das gehört alles dazu. Und dann musst du auch bei mir ein halbes Jahr in der Kanzlei arbeiten. Das gehört alles zur Laufbahn eines Forstangestellten, es sei denn, du willst es nicht weiter bringen als bis zu einem Jagdgehilfen. Aber dazu hast du schon zu viel Wissen in dich hineingestopft. So – und nun überleg dir alles noch mal, bevor du deine Bewerbung einreichst.«
Rucker reichte ihm die Hand, stand auf und geleitete ihn zur Tür. Im Vorraum wartete niemand mehr.
Es war ganz still im Schlosshof. Nur die Springbrunnen plätscherte leise. Von den Rosenbeeten stieg ein betäubender Duft auf. Und über allem lag die pralle Mittagssonne. Ein schwarzer, schmaler Schatten kam eiligen Schrittes auf einem schmalen Seitenweg daher. Es war Herr Siegmund Eberlein, der in der Gärtnerei gerade Rosen geholt hatte um damit die Mittagstafel zu schmücken. Als er Adrian bemerkte, blieb er sofort stehen und zog witternd die Nasenflügel auf.
»Was wollen Sie hier?«
»Ich war in der Forstkanzlei.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, sind – bist du doch der junge Sebald.«
»Ja, Herr Eberlein.«
»Donnerwetter, du hast dich gut herausgewachsen. Früher kamst du so oft zu uns.«
Adrian lächelte beglückt in Erinnerung an diese unbeschwerte Zeit. Und nur weil Herr Eberlein so freundlich zu ihm war, konnte er fragen:
»Ist Isabella zur Zeit hier?«
Sofort zog Herr Eberlein die Brauen schmerzhaft zusammen.
»Es heißt jetzt nicht mehr Isabella, sondern Baroness oder Freiin. Ja, Baroness Isabella weilt augenblicklich hier, reist aber morgen wieder ab. Übrigens, was wolltest du in der Kanzlei?«
»Ich habe mich für eine Anstellung im Forstdienst beworben.«
»So? Im Forstdienst? Warum kommst du da nicht zu mir? Ich hätte es unmittelbar dem Herrn Baron vorgetragen. Reich deine Bewerbung gleich beim Herrn Baron ein, ich werde inzwischen vorarbeiten.«
»Ja, danke, Herr Eberlein. Aber warum tun Sie das?«
Da sah Herr Eberlein den jungen Menschen ganz zärtlich an, so ganz vertraulich, als sei er sein eigener Sohn, dem er nun etwas ganz Gutes sagen müsse.
»Warum? Nun, mein lieber, junger Mann. Weil ich dich schon kannte, als du noch die Hosen voll machtest, und weil – ja, weil deine Frau Mama eine entzückend charmante Frau ist, der du die besten Empfehlungen von mir ausrichten sollst.«
Er nahm drei Rosen aus dem Strauß und reichte sie Adrian.
»Bring sie deiner Frau Mama mit einer Empfehlung von mir. Dein Vater, Gott hab ihn selig, hat auch Rosen gezüchtet, aber er hatte keine glückliche Hand dafür.«
Eiligen Schrittes ging Herr Eberlein nun auf das Hauptportal zu, während Adrian mit drei Rosen in der Hand verloren auf das Geriesel der Fontänen schaute und an die Spielkameradin der Kindheit dachte, die er nun nicht mehr Isabella nennen durfte, sondern Baroness von Siebenzell.
Wie lange hatte er sie eigentlich nicht mehr gesehen? War es wirklich schon fünf Jahre her, dass sie oben im Wald über offenem Feuer Forellen gebraten und dann gegessen hatten? Die Fische waren aus dem Weiher des Sägemüllers gestohlen. Darum hatten sie so gut geschmeckt. Ach ja, eigentlich war Isabella immer ein verwegener Spielkamerad gewesen. Man hätte Pferde stehlen können mit ihr. Ob die Jahre sie nun so gewandelt hatten, dass auch sie ihn mit gerunzelten Brauen ansehen würde, wenn er sie Isabella nennen würde?
Der Sägewerksbesitzer kam jetzt immer öfter ins Malerhäusl. Es gab zwar keine Brennholz mehr zu besorgen, aber man konnte sich auch so unentbehrlich machen. Die Frau war ein wenig unbeholfen in den praktischen Dingen des Lebens, sie brauchte da einen Rat und dort einen. Und der Sägewerksbesitzer wusste ihn zu geben.
Zuerst vermied Irene es, ihn ins Atelier zu führen. Vielleicht hatte sie am Anfang sogar die ernste Absicht, ihm den doppelten Bildverkauf zu beichten. Aber dann unterließ sie es doch wieder aus irgendeinem Grund. Eines Tages jedoch ergab es sich ganz unabsichtlich, dass der Sägewerksbesitzer ins Atelier kam. Irene griff sofort nach einer Lüge und gab vor aus Unachtsamkeit das Bild ein wenig beschädigt zu haben. Darum habe sie es einem Restaurator übergeben.
Anton Antretter ging kaum darauf ein, tat so, als habe er das Bild längst vergessen. Er sprach von ganz was anderem. Sie könne doch ihr Häusl viel besser ausnutzen, meinte er, könne Fremdenzimmer anbauen und vermieten.
Doch, aber es fehlen ihr dazu eben die Mittel.
»Mittel? Wieso Mittel? Haben Sie denn darüber noch nie nachgedacht, wie spottbillig das kommt?«
»Nein, ich habe darüber noch nicht nachgedacht.«
So stieg der Antretter auf den leeren Dachboden hinauf und hantierte mit dem Meterstab.
»Es ist lächerlich«, meinte er, »wie gering die Kosten sind. Hier gibt es mindestens drei Fremdenzimmer. Ich liefere Ihnen Bretter und Balken zum Selbstkostenpreis«.
Am anderen Tag kamen die Bretter und Balken. Oh, er war voller Hilfsbereitschaft, dieser Anton Antretter. Sein Schwung riss Irene mit, sie sah sich bereits als Besitzerin einer gut gehenden Pension. Erst als die drei Zimmer ausgebaut und die Handwerker bezahlt waren, begriff sie, welch ein gewagtes Spiel sie getrieben hatte. Und es wurde ihr immer schwerer, dem Sägewerksbesitzer, wenn er kam, ein lächelndes Gesicht zu zeigen, denn er war es doch schließlich gewesen, der ihr das alles aufgeschwatzt hatte. Aber sie war ihm so willig gefolgt, weil es doch schön war, mit dem Gedanken an die Einnahmen zu spielen.
Nun aber hatte er plötzlich keine Pläne mehr. Er besah sich den Umbau und war zufrieden. Die Rechnung für das Bauholz schrieb er nicht und Irene wagte auch nicht, ihn daran zu erinnern. Sie wagte auch nicht, ihm das Kommen zu verwehren, obwohl sie längst merkte, was ihn eigentlich herzog. Es bedurfte erst eines zufällig im Kramerladen aufgefangenen Wortes, das Irene klarmachte, wie man im Dorf über sie und den Antretter tuschelte.
Nun musste sie dem Unsinn wohl ein Ende machen, denn schließlich war sie noch nicht lange Witwe und hatte einen erwachsenen Sohn.
Als der Sägemüller einige Tage darauf wieder einmal vorsprach, sagte sie ihm geradeheraus, dass es besser sei, wenn er nicht mehr käme.
»Ich weiß nicht, Antretter, ob Sie auch gehört haben, dass man über uns beide spricht.«
Seine Mundwinkel zuckten kaum merklich. »Auf das Gerede der Leute habe ich noch nie etwas gegeben.«
»Sie sind ein Mann, der nimmt die Sache eben leichter als eine Frau.«
»Zunächst wäre einmal zu fragen, ob es über uns beide wirklich etwas zu reden gibt.«
»Bis jetzt noch nicht«, plapperte Irene unbedacht heraus.
»Noch nicht, ist gut«, meinte er lächelnd. »Dann bist du also der Meinung, dass es über kurz oder lang etwas zu reden gäbe über uns.«
Irene wurde nervös. »So habe ich das nicht gemeint, Antretter. Und – Sie sollen mich nicht duzen.«
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